Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen einmal wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Diese Woche taucht Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz mit Daniela Danz ins Dickicht — mit Gedichten zur Natur.
Daniela Danz ist kein Geheimtipp, zum Glück! Die Autorin, die unter anderem bei Wallstein bereits zwei Romane und vier Lyrikbände veröffentlicht hat, lehrt in Hildesheim und leitet das Schillerhaus in Rudolstadt. Mit den unter dem Titel »Wildniß« versammelten Gedichten, mit denen Danz den Deutschen Preis für Nature Writing 2019 gewann, begibt sich die Leserin nicht nur in eine wilde Landschaft, sondern in ein wildes Inneres, geformt und eingehegt durch strenges Formbewusstsein, das von der Wildheit gesprengt und unterwandert wird — immer auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, wer Wildnis bewohnt und warum.
In den »Kaskaden« begegnen uns Gedichte, die genau wie die gleichnamigen stufenförmig angelegten Wasserfälle in die Tiefe rauschen. In Nachterstedt rutschen Häuser in den Tagebau, Schnee fällt, Zorn und Liebe, in einem ukrainischen Stahlwalzwerk rutschen die Tage in die Maschinen und das Licht fällt ins Dunkel, »es ist das Letzte was wir sehen / bevor die Erde über uns gehäuft wird«. Die Kaskade als Sprung, bei dem der Akrobat den Absturz vortäuscht, misslingt, der Absturz ist nicht länger Fiktion, sondern bittere Realität. Eine Realität, die sichtbar wird in der Stadt Beresniki im Nordural, die durch Kaliabbau erst wohlhabend und dann ausgehöhlt wurde, und die sich auch findet im Gedicht über Prypjat, wenn es heißt: »wir haben überhaupt / zu wenig Namen um was wir sehen zu benennen«, und im »Flug der Fledermaus« und dort, »wo in Käfigen gestapelt die Seuchen brüten«.
Neben all diesen geschichtsträchtigen Orten geht die Reise auch hinter die Fassaden, hinein in fremde Betten bei Nacht, bis »ein erster Bus das Ende des Dunkels über / Land fährt«. Es sind diese leisen Zwischentöne, die einen alten Gegensatz vereinen, die verdeutlichen, was längst klar sein sollte: Die Wildnis, das ist Innen und Außen, ist Mensch und Natur. Oder anders: Das Wilde ist alles, nichts steht sich darin gegenüber.