Nazis auf den Montagsdemos und Hausbesetzungen, VoPo-Schikane und Kellerrock: Wer etwas über die Leipziger Vor- und Wendezeit aus subkultureller Perspektive erfahren wollte, kommt an »Haare auf Krawall« nicht vorbei. Lange war der Sammelband mit Stimmen aus diesen Jahren vergriffen. Nun wurde er in stark ergänzter Auflage als schickes Hardcover neu aufgelegt. Ein Glücksfall.
Vor zwanzig Jahren erschien das Buch erstmalig. Die Berichte, die vom Ende der Siebziger bis in die frühen Neunziger reichen, waren damals recht frisch und nah dran. Sie bildeten eine Ergänzung oder eine Art Gegenaufklärung zu offiziellen Darstellungen, gaben den Protagonistinnen eine Stimme. Sie waren damit auch ein Mittel der Selbstermächtigung, weil sie der Szene einen Zugriff auf die eigene(n) Geschichte(n) gab und Interessiertedaran teilhaben ließ. Denn zwischen den Bildern von sozialistischer Messestadt mit Chic und dem großen Zukunftsversprechen: »Leipzig kommt«. Heute sind sie selbst zum Zeitdokument geworden. Das macht sie noch wichtiger – sie sind eben auch eine Erinnerung wie Ermahnung: Was möglich ist, wenn man Sachen möglich macht.
[caption id="attachment_121385" align="alignright" width="238"] Cover von Haare auf Krawall, Verlag: Backroad Diaries[/caption]
So ist von Personen, Orten und Ereignissen in Wort und Bild zu erfahren, ohne die Leipzig nicht wäre, was es ist. Man begegnet bis heute beständigen Orten wie dem Eiskeller oder dem Anker, viele Orte sind verschwunden (andere hinzugekommen). Gewiss, in den letzten zwanzig Jahren sind die Freiräume viel kleiner geworden. Hätten sich Menschen sie sich einst nicht einfach – oft war das gar nicht so einfach – genommen, gäbe es viele von ihnen nicht. »Haare auf Krawall« handelt von den Schmuddelkindern, die in offiziellen Geschichtsschreibungen nicht vorkommen. Es bezeugt, dass die DDR doch maßgeblich von Linientreuen lange getragen wurde, sonst wären die Protagonistinnen ja nicht überall angeeckt. Und das Buch zeigt, wie wenig Lust auf emanzipatorische Praxis und Projekte die Politik und Behörden der Nachwendezeit hatten.
Das Buch ist keine Romantisierung oder Nostalgietrip, und sicherlich keine Handlungsempfehlung. Aber es ist Ausdruck puren Lebensdrangs, so zu sein, wie man es selbst will, statt angepasst zu sein. Damit mag es Kompass sein. Nebenher ist das Buch für eine Nachfolgegeneration sicherlich auch spannender Geschichtsunterricht. Schon allein deswegen ist die Neuauflage eine gute Idee – es kann ja nicht jeder die Erstausgabe in der Stadtbibliothek bestürmen. Der herausgebende Verein Heldenstadt anders hat außerdem einen Blog aufgesetzt, auf welchen weiteres Material zum damaligen subkulturellen Leben gesammelt wird. Diese Dokumentation der Kultur von unten wächst also weiter – ganz so, wie Kultur von unten wohl weiter wächst.