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Klimanot in Kleinparis

Wo Leipzig in Sachen Klimarettung steht

  Klimanot in Kleinparis | Wo Leipzig in Sachen Klimarettung steht

Leipzig möchte seinen Beitrag zu den Pariser Emissionszielen leisten. Das beweist der Klimanotstand, mit dem sich die Stadt dazu verpflichtet hat, mehr fürs Klima zu tun. Doch was ist seitdem passiert? Was wurde erreicht und wo gibt es Nachholbedarf? Die Titelgeschichte zu Klimaprogrammen, Umwelt-Aktivismus und dem Wettlauf gegen die Zeit aus der März-Ausgabe des kreuzer 03/21.

Klimanotstand – na und? Vor zwei Jahren hat sich Leipzig diesen selbst verhängt. Was aber bedeutet ein ausgerufener Klimanotstand eigentlich? Welche Handlungsmöglichkeiten ergeben sich daraus? Und wie hilft dieser Zustand dabei, anhaltende Dürre, Extremwetterschwankungen und alle anderen bereits bestehenden und kommenden Übel abzuwenden? Allein nicht viel, so viel steht fest. Er ist zunächst ein Bekenntnis der Stadt, mehr und schneller für den Klimaschutz einzutreten. Der Wille scheint vorhanden, aber einmal mehr ist zu sehen, wie Bürokratie und Tempo einander ausschließen.

»Als ich mich in diesen Prozess gestürzt habe, war ich noch kein Stadtrat«, erzählt Michael Neuhaus. Gemeinsam mit Fridays for Future und dem Jugendparlament forderte der 27-Jährige Anfang 2019 Leipzig auf, den Klimanotstand zu verhängen. »Ich gebe zu, dass ich erstaunt darüber war, dass die Kommune so etwas kann«, erinnert sich Neuhaus. Die erste Fassung des Klimanotstands sei ein eher symbolischer Akt gewesen, sagt er.Als Reaktion darauf erarbeitete die Verwaltung einen Standpunkt. Anschließend setzten sich die Jugendlichen mit den Grünen und der Linkspartei an einen Tisch, um ihren Antrag auf Klimanotstand zu konkretisieren. An diesem Punkt war aus der anfänglichen Idee längst eine Liste mit Forderungen geworden.

Im Stadtrat verfolgte Neuhaus dann, wie am 30. Oktober 2019 über den Klimanotstand diskutiert wurde. Dabei stießen sich Politiker von CDU, SPD und FDP vor allem an dem Begriff. Dieser würde zusätzliche Ängste schüren, erläuterte etwa die SPD-Fraktion in einem kurzfristigen Änderungsantrag. Am Ende reichte die gemeinsame Mehrheit von Linken und Grünen, inklusive einzelner Stimmen aus anderen Parteien. Nach einer langen Sitzung rief man den Klimanotstand aus – als 66. deutsche Stadt und Gemeinde.

Doch was bedeutet das eigentlich? Der Klimanotstand ist nicht rechtlich bindend, sondern eine Absichtserklärung. »Der treibende Faktor für uns war, zu sagen, wir haben eine Politik, die die Klimakrise überhaupt nicht ernst nimmt und viel zu kleine Schritte macht, weil sie zu wenig auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist«, sagt Lisa Marleen Allissat von Fridays for Future. Im Dokument zum Klimanotstand sind konkrete Maßnahmen festgehalten, wie der Klimaschutz in der Stadt vorangebracht werden soll. Viele davon haben Auswirkungen auf die Arbeit im Rathaus. So wurde etwa die Beschaffung und Nutzung von Dienstfahrzeugen ohne Elektromotor eingeschränkt.

Dass im Bereich des Klimaschutzes Fortschritte dringend nötig sind, zeigt ein Blick in die Statistik. Seit 2011 gibt es für Leipzig in sich stimmige und vergleichbare Bilanzen der Treibhausgas-Emissionen. Die letzten verfügbaren Daten 
beziehen sich auf das Jahr 2017. Sie wurden von der Verwaltung in einem Diagramm verarbeitet, welches seitdem auch bei Klimaschützern großen Anklang gefunden hat (siehe Grafik). Dort zeigt sich deutlich, was aktuell das Problem ist: Wenn die Stadt nicht umsteuert, dann ist das Restbudget an Treibhausgasen, das ihr aufgrund ihres Einwohneranteils ideell am Pariser Klimaabkommen gemessen noch zusteht, bereits im Jahr 2026 aufgebraucht. Nach diesen Berechnungen müsste Leipzig, um die Pariser Ziele auf kommunaler Ebene einzuhalten, bereits 2027 klimaneutral sein. Eine eher unwahrscheinliche Aussicht. Entsprechend hoffen Aktivisten und Politiker darauf, die Emissionen in den nächsten Jahren so senken zu können, dass das Budget länger ausreicht. Im Idealfall bis 2050. Spätestens für dieses Datum strebt Leipzig die Klimaneutralität an und orientiert sich damit an den Zielen der Bundesregierung. Das heißt für Leipzig, den Ausstoß von Treibhausgasen auf 2,5 Tonnen pro Einwohner abzusenken – 2017 lag er noch bei 5,27 Tonnen. Das Vorhaben wird nicht leicht umzusetzen zu sein, einigen geht das nicht weit genug. Sophia Kraft von den Grünen etwa fordert, die Neutralität schon für das Jahr 2035 anzustreben.

Sofortmaßnahmen

Zu den ersten konkreten Auswirkungen des ausgerufenen Klimanotstands gehört ein Sofortmaßnahmenprogramm, das der Stadtrat im Juli 2020 verabschiedete. Mit rund 20 Millionen Euro unterfüttert, enthält es Schritte, die schnell angegangen werden können. So plant die Stadtverwaltung für sich selbst, in all ihren Abteilungen und Prozessen bereits bis 2035 klimaneutral zu werden. Immerhin 15 Jahre bevor ganz Leipzig dieses Ziel erreichen soll. Weitere Beispiele sind die Entwicklung klimagerechter Quartiere, eine Erweiterung des Straßenbaumbestands sowie ein Förderprogramm für den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten in Landwirtschaft und Lebensmittelbranche.

Neu sind diese Ziele nicht. Viele standen bereits im Energie- und Klimaschutzprogramm 2014–2020, das Leipzig zur »europäischen Energie- und Klimaschutzkommune« führen sollte. Darin befanden sich 105 beschlossene Maßnahmen von der Bauplanung über die Mobilität und Energieversorgung bis zur Kommunikation, die die Emissionen deutlich senken sollten. Stand 2019 fanden sich nur 26 davon vollständig umgesetzt.

Eine Bilanz, die den Umweltverbänden und -schützern Sorgen bereitet. Auf kreuzer-Anfrage schreibt etwa der Ökolöwe: »Um einen riesigen gesellschaftlichen Tanker wie die Stadt Leipzig auf einen anderen Kurs zu bringen, braucht es einen sehr langen Atem und viele Menschen, die mitdrücken.« Lisa Marleen Allissat von Fridays For Future kritisiert, dass die soziale Frage im Sofortmaßnahmenprogramm außen vor gelassen wurde. »Leipzig versteht nicht, dass es nicht um ein oder zwei Solaranlagen mehr geht, sondern darum, unsere Lebensweise zu ändern, so dass wir alle gut miteinander leben können«, sagt sie. Für Grünen-Politikerin Krefft geht das Programm in die richtige Richtung. Beim Ausbau erneuerbarer Energien hätte sie sich allerdings ambitioniertere Vorgaben vonseiten der Stadt gewünscht. »Andere Kommunen haben sich da bereits viel höhere Ziele gegeben: Das Leipziger Ziel von 15 Prozent bis 2030 ist definitiv, auch im Vergleich zu den Bundeszielen zwischen 55 und 65 Prozent, zu niedrig«, sagt sie. Einig ist man sich darin, dass das Sofortmaßnahmenprogramm nur einen Schritt auf dem Weg zu mehr Klimaschutz darstellt.

Handlungsfelder

»Leipzig ist nicht die Landeshauptstadt Dresden, Leipzig ist schon gar nicht Berlin und der Stadtrat auch nicht der Bundestag«, sagt Michael Neuhaus am Telefon. Der Linken-Politiker zeigt sich verärgert über manche Kollegen, die Forderungen stellen, von denen sie wissen müssten, dass sie so nicht umsetzbar sind. »Man muss ganz ehrlich sein, die Instrumente, um 2035 klimaneutral zu sein, die hat Leipzig als Kommune einfach nicht«, sagt er. Über die letzten Jahrzehnte seien die Kommunen in Betriebe verwandelt worden. »Da muss alles wirtschaftlich sein. Wenn die Stadt am Ende pleitegeht, haben wir wirklich Probleme«, erläutert er. Beschränkte Handlungsmöglichkeiten konstatiert Neuhaus auch für andere Felder. Etwa beim Leipziger Flughafen, dem größten Verursacher von Schadstoff- und Lärmemissionen. Dieser gehört nur zu zwei Prozent der Stadt. »Da können wir einen Kopfstand machen, entschieden wird das auf Landes- und Bundesebene.« Dort sehen viele Umweltaktivisten Oberbürgermeister Jung als Präsident des Deutschen Städtetages in der Verantwortung, sich für ambitionierteren Umweltschutz einzusetzen.

In der Kommune bedeutet Klimaschutz, in den Feldern aktiv zu werden, in denen die Stadt Handlungsspielräume hat, beim Verkehr zum Beispiel. Zwar gibt es auch hier eine Mobilitätsstrategie, doch geschehen ist bisher eher wenig. Negatives Aushängeschild: der Radverkehr (s. Interview).Aktiv werden kann die Kommune auch im Bereich der Strom- und Wärmeversorgung. Nachdem der Vertrag mit dem Kraftwerk in Lippendorf nicht verlängert wurde (kreuzer 03/19), arbeitet man bei den Stadtwerken an der sogenannten Wärmewende. Für eine nachhaltigere Fernwärmeversorgung wird derzeit an der Bornaischen Straße ein hochmodernes Gaskraftwerk gebaut, das auch für die Zukunftstechnologie Wasserstoff geeignet wäre. Wann dieser zur Energiegewinnung eingesetzt werden kann, weiß jedoch niemand. Bis dahin wird das Kraftwerk mit fossilen Brennstoffen betrieben werden müssen.Dass sie mit gutem Beispiel vorangeht, wünscht sich Michael Neuhaus von der Leipziger Wohnungsbaugenossenschaft. Generell sieht er im Bausektor noch Chancen für die Politik, strengere Vorgaben zu machen. »Über die Erstellung von Bebauungsplänen können wir den Leuten vorschreiben, dass sie Fassadenbegrünung zu machen haben, dass sie eine Photovoltaikanlage aufs Dach legen sollen«, sagt er.

Gefragt nach den Baustellen in Leipzig in Sachen Klimaschutz, nennt der Ökolöwe an erster Stelle die Verwaltungsspitze. »Dort hat man vielleicht schon verstanden, dass für ein klimaneutrales Leipzig ein tiefgreifender Umbau in allen Handlungsfeldern gleichzeitig geschehen muss, aber ganz offensichtlich noch nicht, dass das in einem bisher nie da gewesenen Tempo geschehen muss«, führen die Aktivisten aus.

Mangelnde Geschwindigkeit

»Um die Klimakurve effektiv abzuflachen, müssten wir bei den Klimamaßnahmen beschleunigen und die Leipziger Zivilgesellschaft sowie die Beteiligungsunternehmen wirksamer einbeziehen«, sagt Stadträtin Kraft. Damit das funktionieren kann, braucht es jedoch Menschen in der Verwaltung, die sich darum kümmern. An denen mangelt es momentan. Zwar wurde 2020 ein Referat Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz eingerichtet. Doch 
momentan sind dort nur drei Stellen besetzt. Unter anderem fehlt ein Referatsleiter. Der soll zum 1. Juni sein Amt antreten. Auf kreuzer-Anfrage formuliert die Verwaltung zudem: »Die Besetzung der drei weiteren Stellen im Referat und der sechs Ämterstellen des ›Kernteams Klimaschutz‹ soll ebenfalls bis zum Sommer abgeschlossen sein.« Neben dem Personalbestellen steht auch das Konzept für die klimaneutrale Verwaltung weiter aus. Aus dem Rathaus heißt es dazu, dass man für die Erarbeitung eines solchen Konzeptes externe Unterstützung benötige. »Insofern wollen wir alsbald mit der diesbezüglichen Vergabe beginnen und zum Ende des Jahres einen Arbeitsstand vorlegen«, schreibt die Verwaltung. Intern werde bereits an einzelnen Schritten gearbeitet.

»Ich habe in letzter Zeit in Gesprächen mit verschiedensten Menschen den Eindruck gewonnen, dass es nicht am Geld liegt, sondern tatsächlich eher an bürokratischen Prozessen«, sagt Neuhaus mit Blick auf die schleppenden Fortschritte.

Seine Stadtratskollegin Sophia Kraft nennt die Konsequenzen fatal: »Viele Maßnahmen aus dem Klimanotstand, wie zum Beispiel das Klimavorlagenmanagement, werden so verzögert.« In die gleiche Richtung zielt der Klimacheck, den sich die Ökolöwen wünschen. Wenn die Ratsversammlung die entsprechende Informationsvorlage inklusive eines aktuell vorliegenden Änderungsantrags beschließt, könnte das zu folgendem Szenario führen: Jede Maßnahme der Stadt wird auf ihre Klimaverträglichkeit überprüft. Ist sie nicht klimaverträglich, muss das entsprechend kompensiert beziehungsweise ausgeglichen werden.

Die nächsten Schritte

Die Coronapandemie hat ihre Spuren im Bereich Klimaschutz hinterlassen. Im Februar letzten Jahres sollte eigentlich die dritte Klimakonferenz stattfinden. Die Konferenz bietet Bürgern die Möglichkeit, mit Mitgliedern aus dem Rathaus ins Gespräch zu kommen, eigene Ideen für einen effektiveren Schutz der Umwelt vorzustellen. Im November 2020 fand dann doch noch eine digitale Version statt. Dort beteiligten sich mehr als 200 Interessierte. Vorgestellt wurde dabei auch eine frühe Fassung des Energie- und Klimaschutzprogramms 2030. Das soll neben dem Sofortmaßnahmenprogramm für die nächsten Jahre die Leitlinien in Sachen Klimaschutz vorgeben. Nach verschiedenen kritischen Einwänden vonseiten der Bürger und Umweltaktivisten liegt es jetzt wieder bei der Verwaltung zur Überarbeitung. Der Plan ist, dass es, mit einiger Verzögerung, in diesem Jahr fertiggestellt wird.

»Dadurch, dass das Programm noch nicht fertig ist und wir nicht wissen, was darin steht, können wir die entsprechenden Haushaltsmittel dafür nicht bereitstellen«, sagt Stadtrat Neuhaus. Seine Sorge ist, »dass wir den Klimaschutz im Energie- und Klimaschutzprogramm erst im nächsten Haushalt richtig verankern können«.

»Die Klimaanpassungsstrategie und der Klimacheck. Es gibt viele Konzepte und gute Ansätze, doch faktisch passiert sehr wenig«, heißt es vonseiten der Ökolöwen. Das Problem liegt nicht nur aus Sicht des Vereins in der Umsetzung bereits beschlossener Maßnahmen. Eines ist sicher: Der Kreis an Bürgern, die sich dafür einsetzen, dass Leipzig sein Engagement in Sachen Klimaschutz ausweitet, wird größer. Mit dem knappen Zeithorizont von 2026 vor Augen wächst das Bewusstsein, dass mehr geschehen muss. Ob das zu rascherem Handeln und Handlungsdruck führt, bleibt offen. Bei den Ökolöwen bringt man das so auf den Punkt: »Wichtig ist, dass da draußen jetzt eine real umgesetzte Klimaschutzmaßnahme nach der anderen aufploppt.«

»Herr Oberbürgermeister, machen Sie die Klimakrise zur Chefsache«Vertreter von Leipzig fürs Klima über Probleme in der Verwaltung, Emissionswerte und mangelnde Transparenz

Im Januar schrieb das Bündnis Leipzig fürs Klima einen offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung und den Stadtrat. Im Gespräch erläutern Heike Wex (Scientists for Future), Martin Rebmann (BUND) und Steffen Peschel (Parents for Future) die darin enthaltenen Forderungen und werfen einen Blick auf den Klimaschutz der letzten Jahre.

kreuzer: Sie vertreten Leipzig fürs Klima. Was steckt dahinter?Steffen Peschel: Leipzig fürs Klima ist ein Bündnis verschiedener Klimagruppen aus Leipzig. Also die For-Future-
Initiativen oder Gruppen wie Extinction Rebellion und Ende Gelände, aber natürlich auch bestehende Verbände wie 
BUND Leipzig. Wir arbeiten zusammen aus dem Verständnis heraus, dass wir gemeinsam mehr erreichen.

kreuzer: Sie haben im Dezember einen offenen Brief an den Oberbürgermeister geschrieben, in dem Sie die
Klimaschutzpolitik der Stadt als nicht ausreichend kritisieren. Was war der Auslöser?Heike Wex: In Leipzig wird immer vor sich hergetragen, dass ganz viel für den Klimaschutz getan würde. Wenn man sich aber tatsächlich die Zahlen anschaut, dann ist die Abnahme von CO2 viel zu gering. Da gibt es eine wunderbare Grafik, die darstellt, wie die Treibhausgasemissionen der Bürgerinnen der Stadt sind. Dort kann man sehen, dass, wenn man das pariskonform in die Zukunft fortschreibt, unser Budget hier 2026 aufgebraucht ist. Das weiß die Stadt und da wollten wir unbedingt sagen, dass das auch den Bürgerinnen bewusst ist. Wir haben dazu auf der letzten Klimakonferenz einen Vortrag gehalten und dabei auch das Forderungsschreiben entwickelt, das ging Hand in Hand.

kreuzer: In Ihrem Brief fordern Sie ein Krisenbewusstsein bei der Politik. Nimmt die Politik in Leipzig den 
Klimawandel nicht ernst genug?Martin Rebmann: Es gibt Ansätze. Wir sind aber der Meinung, dass diese nicht ausreichen. Ein Beispiel ist, dass die Verwaltung einen Antrag gestellt hatte, weiter einen Verbrenner fahren zu dürfen. Das zeigt uns einfach, dass das Krisenbewusstsein noch nicht in dem Maße da ist, wie es sein müsste. Wenn wir wirklich konsequent den Klimaschutz vorantreiben wollen, dann sind alle gefragt, insbesondere die, die den Klimaschutz effektiv vorantreiben können, und das sind nun mal die Mitarbeiterinnen in der Verwaltungsspitze. Die müssen mit gutem Beispiel vorangehen.Peschel: Es ist ja positiv hervorzuheben, dass die Stadt nicht erst gestern mit Klimaschutz begonnen hat, sondern schon vor einigen Jahren ein Bewusstsein dafür entwickelt hat. Nur ist es so, dass wir in vergangenen Energie- und Klimaschutzprogrammen konkrete Maßnahmen stehen haben, auf die man jetzt schon zurückblicken kann. Wenn man das tut, sieht man, dass vieles nicht umgesetzt wurde, ja, teilweise geplante Maßnahmen nicht einmal gestartet wurden.

kreuzer: Sie bemängeln, dass die Bürger beim Klimaschutz nicht ausreichend mitgenommen werden. Wieso ist das 
aus Ihrer Sicht so wichtig?Rebmann: Wenn Maßnahmen beschlossen werden, die in der Bevölkerung auf absolutes Unverständnis mangels Informationen stoßen, dann werden diese natürlich auch nicht mitgetragen. Das ist aber essenziell notwendig, denn jeder von uns ist in der Verantwortung. Die Maßnahmen, die entschieden werden, müssen transparent genug aufgeschlüsselt werden, so dass sie nachvollziehbar und sinnvoll bleiben.

kreuzer: Mehr Transparenz fordern Sie auch in Ihrem offenen Brief. Was würden Sie sich da konkret wünschen?Rebmann: Die Klimakonferenz, die letztes Jahr abgehalten wurde, ist ein Beispiel, wie man Maßnahmen beziehungsweise Erkenntnisse der Bevölkerung mitteilen kann. Weitere Möglichkeiten wären, dass man die vielen Werbeflächen nutzt, die durch Corona frei geworden sind. Oder dass man Sprechstundenbüros eröffnet, wo Menschen zur Verfügung stehen, die qualifizierte Antworten liefern können. Wenn man möchte, gibt es viele Wege, die Bürgerinnen zu informieren. Wichtig dabei ist, dass man die Informationen auch entsprechend aufbereitet. Sonst erreicht man damit nur die Leute, die sich sowieso schon für das Thema interessieren.Peschel: Da kann man definitiv auch noch mehr im Internet machen. Wir haben in Leipzig viele Menschen, die sich ehrenamtlich mit offenen Daten auseinandersetzen. Gerade die Emissionsdaten liegen zwar vor, werden aber in einem PDF präsentiert. Also nicht als offene Daten, die man nutzen könnte, um darzustellen, wo liegen jetzt zum Beispiel die größten Emissionen an CO2. So bleibt das alles etwas unklar.Wex: Das eine ist die Bürgerinnen informieren. Wichtig ist aber auch, dass die Stadt transparent macht, was sie plant und wie gut die einzelnen Maßnahmen funktionieren. Deutschland stürzt sich jetzt auf den Wasserstoff, wahrscheinlich, vermute ich, weil wir den Zug erneuerbare Energien – also Windräder und Solarausbau – ein bisschen verpasst haben. Das ist aber nicht wirklich eine sinnvolle Lösung. Wir müssen eigentlich Windräder und PV-Anlagen ausbauen und da könnte die Stadt eine Menge tun. Ich glaube nur, dass diese Dinge auch bei der Stadt selbst nicht so klar sind, weil da schlicht das Personal fehlt. Die haben zwei Menschen, die in der Klimaleitstelle arbeiten, und die Aufstockung des Personals dauert lange. Bis da der Rest der Stadtverwaltung aufgeklärt und mitgenommen ist, so dass alle für die Klimaziele arbeiten, das ist noch mal ein ganz anderes Thema. Insgesamt ist es wichtig, das Wissen über die Klimakrise in die Welt zu bringen – und das gilt für alle, die die Möglichkeit dazu haben, auch für Sie als Journalistinnen.

kreuzer: Sie haben Ihren Brief auch an die Stadträte adressiert. Glauben Sie, dass der Klimaschutz im neuen 
Doppelhaushalt ausreichend berücksichtigt werden wird?Peschel: Na ja, ich würde das tatsächlich so allgemein ein bisschen zurückgeben an die Stadt Leipzig, an uns alle, wie wir hier leben. Die Frage ist, haben wir eine andere Wahl. Und da würde ich sagen: nein. Denn die Klimakrise geht nicht weg, wenn wir nichts tun. Fakt ist, dass wir heute noch wesentlich billiger dagegen ankämpfen können als in fünf oder zehn Jahren. 
Das heißt, wenn man wirklich wirtschaftlich da rangeht, ist man sehr gut beraten, heute richtig Gas zu geben.

kreuzer: Welche Reaktionen haben Sie bisher erhalten?Wex: Eigentlich war geplant, coronakonform nicht nur eine ausgedruckte Version des Forderungsschreibens an Oberbürgermeister Jung zu überreichen, sondern parallel dazu auch noch eine Pappversion des Eiffelturms, der ein Symbol für das Pariser Klimaschutzabkommen und die Klimagruppen hier in Leipzig geworden ist. Dann kam aber der Lockdown, weswegen der Termin abgesagt werden musste. Jetzt überlegen wir, ob wir vielleicht auf ein Onlinetreffen gehen oder noch warten. Zu einem Gespräch wird es aber wahrscheinlich kommen. Und dann wird unsere Botschaft sein: »Herr Oberbürgermeister, machen Sie die Bekämpfung der Klimakrise zur Chefsache.«

kreuzer: An welchen Stellen lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels in der Stadt erkennen?Wex: Tote Bäume und Trockenheit. Wenig Schnee im Winter, okay, wir sitzen hier gerade in einer Ausnahme, aber das ist die natürliche Variabilität des Klimasystems. Außerdem erinnere ich mich noch gut an die Überflutungen, die es hier und in der Umgebung in den letzten 20 Jahren immer wieder gab. Die Zunahme solcher Extremwetterereignisse wird schon lange von Wissenschaftlerinnen vorausgesagt. Wir fangen gerade erst an, das zu sehen.Rebmann: Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, wir besitzen die Fähigkeit, die Zukunft vorausahnen zu können, und handeln nicht. Von daher müssen wir aus der Fähigkeit zu denken jetzt auch tatsächlich den Nutzen ziehen und in eine Tätigkeit umschwenken. Das ist die entscheidendste Sache überhaupt.Peschel: Ich wollte noch kurz den Blick auf das restliche sächsische Land wagen. In den Jahren 2018, 2019 und 2020 ist hier viel zu wenig Regen niedergeschlagen. Die Folge waren Flüsse mit zu wenig Wasser. Außerdem ist der Grundwasserspiegel enorm nach unten gegangen. (kreuzer 06/20)

kreuzer: In Ihrem Brief schreiben Sie: »Die Leipziger Klimaschutz-Ziele sind nicht annähernd an den Anforderungen des Pariser Abkommens ausgerichtet.« Wo müsste Leipzig seine Ziele nachjustieren?Rebmann: Ein Feld, in dem die Stadt aktiv werden kann, ist bei den Vorgaben für Neubauten. Da kann sie bei der Vergabe von Flächen zum Beispiel fordern, dass klimaschutztechnische Maßnahmen mit berücksichtigt werden. Etwa dass, wenn möglich, eine Dachbegrünung stattfindet, dass PV-Anlagen errichtet und Gebäude besser gedämmt werden. Außerdem ist es notwendig, dass gewisse Stadtanpassungen an die Klimakrise stattfinden. Hierzu zählt, dass Straßenzüge begrünt werden, damit man für die Hitzesommer mehr Schattenbereiche zur Verfügung hat. In diesem Zusammenhang ist es sehr befremdlich, wenn am Wilhelm-Leuschner-Platz jetzt Grünflächen abgetragen werden.Wex: Der ganze Verkehrsbereich. Die Stadt hat die Möglichkeit, den Verkehr, den sie in die Stadt hineinlässt oder wie sie ihn durchleitet, zu steuern. Ich denke da auch an das 365-€-Ticket, das im Bürgermeisterwahlkampf Thema war. Das wäre so eine Möglichkeit, wie man Menschen in den Nahverkehr bringen könnte. Dann müssen die Radwege verstärkt ausgebaut werden. Da hat Leipzig ein großes Defizit. Auch über die Verknappung von Parkraum könnte man nachdenken. Aus Städten, die solche Maßnahmen schon ergriffen haben, ist bekannt, dass sich die Lebensqualität über alles verbessert hat.Peschel: Man kann an der Stelle noch mal hervorheben, dass etwa 75 Prozent der Bürgerinnen in Deutschland in Städten oder Ballungsgebieten leben. Wenn wir also jetzt an Veränderungsprozesse denken, dann müssen die in den Städten stattfinden. Leipzig ist die achtgrößte Stadt in Deutschland. Da gibt es viel Potenzial, Dinge zu verändern. Nur, dafür muss die Stadt aktiv werden. Das geht ja schon in die richtige Richtung – so wurde beschlossen, wieder mehr in den ÖPNV zu investieren. Aber zum Beispiel die ganze Radinfrastruktur wird seit Jahren verschleppt.

kreuzer: Welche Erwartungen setzen Sie in diesem Zusammenhang in die Fortschreibung des Energie- und 
Klimaschutzprogramms 2030?Peschel: Bei der letzten Klimakonferenz, wo das Programm zum ersten Mal vorgestellt wurde, hatten wir die Gelegenheit, einen Vortrag zu halten. Dort kam ein Großteil unserer Forderungen zur Sprache. Die Reaktionen darauf haben uns gezeigt, dass wir sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung haben. Und ich glaube, das hat auch die Stadtverwaltung so wahrgenommen. Deren Rückmeldung an dem Abend war, dass sie danach festgestellt haben, mit dem gerade Erarbeiteten noch längst nicht fertig zu sein. Für mich ist das ein gutes Beispiel dafür, wirklich etwas verändern zu können.Wex: Die Stadt hat sich vorgenommen, die Bürgerinnen an der Erarbeitung zu beteiligen. Aufgrund von Corona ist da einiges erschwert worden. Insgesamt ist dieses Energie- und Klimaschutzprogramm also in der Mache. Wenn der fertige Entwurf vorliegt, werden wir alle noch mal draufschauen, um zu sehen, wie pariskonform das Ganze geworden ist.

kreuzer: Was muss Ihrer Einschätzung nach in diesem Jahr in Sachen Klimaschutz unbedingt passieren?Rebmann: Wir haben für dieses Jahr ein Sommerfest geplant. Dort wollen wir mehr Menschen über die aktuelle Lage informieren und unsere Gruppen präsentieren. Das ist wichtig, weil wir die Beteiligung möglichst vieler Bürgerinnen brauchen.Wex: Ich würde mir wünschen, dass Oberbürgermeister Jung die Dringlichkeit der Lage anerkennt und sich des Klimawandels als allererste Priorität annimmt. Ich weiß, dass das in Zeiten von Corona wahrscheinlich sehr vermessen ist, weil mir völlig klar ist, dass da gerade auch ganz viele andere Probleme behandelt werden müssen. Aber der Klimawandel wird uns entgleiten, wenn wir uns nicht darum kümmern.Peschel: Ein Ausblick ist ja definitiv die Bundestagswahl, die dieses Jahr stattfindet. Momentan sieht man davon noch nicht so viel, aber das liegt eher am Lockdown. Gerade in Leipzig gibt es eine ungeheuer aktive Klima-Community. Viele der For-Future-Gruppen wie Omas for Future oder die Scientists for Future hatten hier ihre Erstgründungen. Wenn die Aktivitäten zur Bundestagswahl zunehmen, dann wird man das in der Stad


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