Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. In dieser Woche begibt Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz mit Menschenrechtlerin Harriet Taylor Mill auf die Spuren der Kämpfe für das Frauenwahlrecht in den USA.
Der Wikipedia-Eintrag zu Philosophin und Feministin Harriet Taylor Mill ist traurig. Ihre Werke und Neuausgaben derselben sind nicht hinreichend aufgeführt, ihr Wirken wird abgetan mit den Worten: Sie »veröffentlichte (…) nur einige Essays und das Werk 'The Enfranchisement of Women'«. Im übrigen Teil des kurzen Eintrags wird über das Mitwirken an den Schriften ihres Mannes spekuliert. Darin wurde außerdem festgestellt, dass es keine Rolle spiele, wer den Stift halte, wenn »two persons have their thoughts and speculations completely in common«. Beide gehörten »zu den radikalsten feministisch-politischen DenkerInnen des 19. Jahrhunderts. Am radikalsten aber war wohl, dass sie ihre Ideen in die Tat umsetzten und dabei ein philosophisches Gemeinschaftswerk schufen«, schreibt Autorin Luise F. Pusch. Sie stellt auch klar: »Die Ergebnisse ihrer Denkarbeit erschienen überwiegend unter seinem Namen, weil ihnen dadurch mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit gewiss war.«
[caption id="attachment_123133" align="alignright" width="202"] Harriet Taylor Mill: Zur Erteilung des Frauenwahlrechts; Cover: Limbus Verlag[/caption]
Umso erfreulicher, dass ihr Essay »Zur Erteilung des Frauenwahlrechts« im letzten Jahr in neuer Übersetzung in der Reihe Limbus Preziosen erschienen ist. Anlässlich des Einsatzes der National Women’s Rights Convention für die Gleichberechtigung der Frau in den 1850ern in den USA entlarvt Mill in ihrem Essay die vermeintlich unverrückbaren Belege für die Unterdrückung der Hälfte der Weltbevölkerung. Vom Jahr der Erscheinung darf man sich hier nicht abschrecken lassen. Analysen und Forderungen von Mill sind modern, geradezu zeitlos und dank der Übersetzung — trotz der Schwere des Themas — auch oft in einem zum Lachen reizenden Ton formuliert. So steht es denn auch treffend auf dem Umschlag: »Keine andere untergeordnete Kaste, von der wir gehört haben, hat man gelehrt, ihre Degeneration als ihre Ehre zu betrachten.« Neben klugen und zeitgemäßen Gedanken zum vermeintlich naturgegebenen Schicksal der Mutterschaft plädiert Mill für die gleichberechtigte Partnerschaft von Mann und Frau in geistiger und intellektueller Hinsicht.
Ab und zu treten die Jahre, die der Text auf dem Buckel hat, dann doch hervor. Beispielsweise wenn von »Wilden« die Rede ist, einhergehend mit unzulässigen Verallgemeinerungen und Stereotypen. Auch die Ansicht, dass die Frau die Eigenschaften des Mannes anstreben und erreichen dürfen muss, damit der Mann sich nicht der angeblichen Schwäche der Frau angleiche, ist von der heutigen Vorstellung von Gleichberechtigung weit entfernt. Mills Essay ist trotz dieser wenigen, der Zeit geschuldeten überholten Ansichten absoluter Grundlagentext und heute in seinen Forderungen noch immer dringlich. Denn eins ist klar: Wir sind noch lange nicht am Ziel.