An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Mai-Ausgabe des kreuzer. Darin erzählt Chefredakteurin Juliane Streich über die Ungleichstellung der Geschlechter, gläserne Decken und fordert: Die Macht muss weicher werden!
Die Erkenntnis ist weder neu noch überraschend: Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert. Ja, ach?! Dass sich das nicht ändert, ist Teil des Themas, Teil des Problems – obwohl seit Jahren, Jahrzehnten, gar Jahrhunderten Menschen diesen Zustand anprangern. Macht ist immer noch männlich – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dabei sprechen alle Studien dafür, dass es sich sowohl wirtschaftlich als auch fürs Arbeitsklima lohnt, mehr Frauen zu fördern. Doch Frauen bleiben unter den gläsernen Decken stecken, ohne sie zu zerschmettern. Weil zum Beispiel Männer meist ihnen ähnelnde Nachfolger bestimmen, die man nicht gendern muss. Weil entscheidende Karriereschritte oft im Alter zwischen 30 und 40 stattfinden, wenn viele Frauen wegen des Kinderkriegens draußen sind. Und aus so vielen Gründen mehr.
Vielleicht liegt es auch an der Macht selbst. Machtmenschen sind halt einfach unsympathisch, so wie sie will man ja nicht sein. Ego-Typen, die sehr von sich selbst überzeugt sind, Gegnerinnen rücksichtslos bekämpfen und zu jeder Tages- oder Nachtzeit hart arbeiten. Doch statt dass Frauen nun anfangen, an sich herumzuoptimieren, um härter zu werden, muss die Macht weicher werden! Attraktiv für Menschen, die kollegial sind, ihre Freizeit zu schätzen wissen und kein Bock auf geschmacklose Shitstorms haben, die Frauen weitaus härter treffen als Männer. Während ich das schreibe, meldet mein Handy, dass Annalena Baerbock als Kanzlerin kandidiert. Damit ist sie erst die zweite Kanzlerkandidatin überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik – aber was aus der ersten geworden ist, wissen wir alle: Im Leben aller 16-jährigen Mädchen gab es noch nie einen männlichen Bundeskanzler.
Auch in Leipzig ist die Gleichstellung noch lange nicht durch. Wie ungleich die beiden Geschlechter – und es tut uns leid, dass wir den Fokus nur auf die beiden und nicht auf die non-binären legen, die Zahlen der Stadt gaben leider nicht mehr her – in Führungspositionen verteilt sind, machen Leonie Ziem und Tobias Prüwer in der Titelgeschichte deutlich – auf Wunsch einer kreuzer-Leserin übrigens. Rike Fischer schrieb uns vor gut einem Jahr, als wir nach Leserthemen fragten: »Mich würde interessieren, wo Leipzig in Gesellschaft, Alltag und Politik bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit steht, zum Beispiel: Wie ist der Zugang zur lokalen Politik und Arbeitswelt für Frauen (es hat mich gefreut, dass wir bei den Oberbürgermeisterwahlen Parität unter den KandidatInnen hatten!), welche Schwierigkeiten sieht der/die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, wie sieht es im Lohnsektor für Leipzig aus (…)?« Einige dieser Fragen wollen wir Frau Fischer und Ihnen in diesem Heft beantworten. Spoiler schon mal: Nicht so gut.
Einer meiner schönsten Momente im letzten Jahr war das erste Bier im Biergarten. Nach Wochen des Lockdowns traf ich endlich wieder Freunde, wir stießen im Abendsonnenschein an und hatten kurz das Gefühl, dass alles gut werden wird. Damit lagen wir gründlich daneben, aber mit diesem Frühling kommt auch die Hoffnung auf ein Bier im Freisitz, mit dem man darauf anstoßen kann, dass der lange harte Winter vorbei ist. »Es ist der schönste Monat«, sagt Botaniker Martin Freiberg auf Seite 13 über den Mai. Und er hat recht. Nicht nur weil die Pflanzen blühen, sondern vor allem weil wir wissen, dass der Sommer noch kommt.
In diesem Sinne: Möge die Macht mit Ihnen sein!JULIANE STREICH