Depression ist eine ernst zu nehmende psychische Erkrankung, die nach wie vor stigmatisiert ist. Vor allem der zweite Lockdown wurde von vielen Menschen mit Depression als belastend empfunden. Der kreuzer sprach mit Sebastian Bammel vom Leipziger Bündnis gegen Depression über Hilfsangebote, Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven.
kreuzer: Was macht das Leipziger Bündnis gegen Depression?
SEBASTIAN BAMMEL: Wir setzen uns für eine Entstigmatisierung der Erkrankung ein. Es geht uns darum, über die Erkrankung aufzuklären und die Hürden bei der Suche nach Hilfe für Menschen, die darunter leiden, zu minimieren. Denn Depression ist eine ernst zu nehmende Erkrankung und keine Persönlichkeitsschwäche, als die sie immer noch von vielen betrachtet wird. Bei unserer Arbeit haben wir zwei wichtige Leitbotschaften: Depression kann jeden und jede treffen, egal wie arm, reich, alt oder jung jemand ist. Und dass Depression behandelbar ist. Das ist für uns ein entscheidender Punkt. Denn wenn sie wissen, dass es eine Erkrankung ist, die weitverbreitet und behandelbar ist, holen sich Betroffene eher Hilfe.
kreuzer: Wie sieht Ihr Hilfsangebot aus?
BAMMEL: Wir verstehen uns zum einen in unseren Beratungen als Filter und Wegweiser für Betroffene und Angehörige, denen wir die Möglichkeiten in der Leipziger Versorgungslandschaft aufzeigen, die man in Anspruch nehmen könnte und mit denen andere Betroffene gute Erfahrungen gemacht haben. Das ist meistens mit der Suche nach Therapeutinnen und Behandlungsplätzen verbunden, aber es geht auch grundsätzlicher um Fragen danach, welche Behandlungsmethoden es für Depression überhaupt gibt.
Zum anderen organisieren wir Selbsthilfeangebote im kreativen und sportlichen Bereich, aber auch klassische Formate, in denen man einen fachlichen Input bekommt, um die Erkrankung besser zu verstehen. Die sind explizit für Betroffene gedacht, wo sie sich untereinander über ihre angeeigneten Erfahrungen austauschen können. Sie müssen sich in den Gruppen nicht rechtfertigen oder verstellen, wie sie das sonst im Alltag teilweise tun müssen. Am Ende gilt, auch wenn wir eine Entscheidungshilfe sein können, liegt die Entscheidung, welche Angebote Betroffene annehmen wollen, natürlich bei ihnen selbst.
kreuzer: Es sind nicht alle depressiv, die sich niedergeschlagen fühlen. Was macht eine Depression aus und wie erkenne ich sie, wenn ich das erste Mal damit konfrontiert bin?
BAMMEL: Es gibt eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebensymptomen. Unter die Hauptsymptome fallen eine gedrückte Stimmung, innere Leere, es fällt Betroffenen schwer, eigene Gefühle wahrzunehmen. Viele sagen, sie wirken wie versteinert. Das kann sich in einer Interessen- und Freudlosigkeit über Dinge, die früher Spaß gemacht haben, ausdrücken.
Dann gibt es Nebensymptome, die vereinzelt auftreten können. Darunter fallen Konzentrationsschwierigkeiten, vermindertes Selbstwertgefühl, Schlaflosigkeit, verringerter Appetit und Gefühle von Schuld- und Wertlosigkeit. Oft kommt es auch vor, dass Betroffene das Gefühl haben, Freunden und Angehörigen mit der eigenen Bedürftigkeit zur Last zu fallen. Eine negative Zukunftsperspektive kann sich dann dramatisch auswirken. Menschen mit Depression denken dann, sie kommen da nie wieder raus, worauf Suizidgedanken und -handlungen folgen können, weil sie das Gefühl haben, es geht nicht weiter.
Liegen jeweils mindestens zwei dieser Haupt- und Nebensymptome länger als zwei Wochen vor, wird die Diagnose Depression gestellt. Wenn einem Symptome auffallen, sollte man für eine gesicherte Diagnosestellung in jedem Fall die Haus- oder Fachärztin oder Psychotherapeutin aufsuchen.
kreuzer: Wie wichtig ist das soziale Umfeld für Menschen, die an Depression leiden?
BAMMEL: In den Gesprächen zeigt sich oft eine Ambivalenz bei der Person mit Depression zwischen dem Bedürfnis, die Erkrankung verstecken zu wollen und gleichzeitig, wie verschlüsselt auch immer, Hilferufe nach Außen zu schicken. Wichtig ist, dass Angehörige und Freunde ein Gefühl dafür haben, wenn sie diese Signale beim Partner oder Freund beobachten. Es ist meistens schwierig anzusprechen, aber wichtig. Die eigenen Sorgen dahinter sollten dabei nicht vorwurfsvoll, sondern mit Verständnis und vor allem Geduld vorgebracht werden.
Freunde und Angehörige neigen dazu, Druck aufzubauen, Dinge in die Hand zu nehmen. Gut gemeinte Ratschläge kann man sich eigentlich immer sparen. Dinge wie »reiß dich mal ein bisschen zusammen« oder »mach mal Urlaub« helfen nicht. Ich bin mir sicher, dass Betroffene genau das machen würden, wenn sie es könnten oder es helfen würde. Eine Depression kann man vielleicht mit einer körperlichen Erkrankung vergleichen. Bei einem gebrochenen Bein würde man ja auch nicht raten, jemand solle mal ordentlich aufspringen und das Bein so richtig belasten.
Aber auch für Freunde und Angehörige können Depressionen überfordernd sein kann. Darum gibt es auch für das soziale Umfeld Hilfsangebote, die wir empfehlen. Es ist wichtig, die Erkrankung zu verstehen und Wissen darüber zu erlangen. Dann kann man vielleicht auch besser für Betroffene von Depression da sein. Wichtig ist dabei vor allem, die eigene Überforderung nicht bei der Person zu lassen, die depressiv ist.
kreuzer: Womit wenden Menschen mit Depression sich an Sie? Spielt die Pandemie eine Rolle?
BAMMEL: Man kann seit Beginn der Corona-Pandemie einen Anstieg der Anfragen beobachten. Wir haben den Eindruck, dass die Dringlichkeit erhöht ist, schon vor der Pandemie brauchten viele Leute Hilfe. Das ist jetzt spürbar gewachsen und häufiger geworden.
Das hat mit dem Wegfall von sozialen Kontakten und von der mühsam erkämpften Wochenstruktur bei Betroffenen zu tun. Diese Kompensationen fallen weg. Wenn das nur an einer Stelle wegbricht, ist es machbar, weil man einmal pro Woche Therapie, Selbsthilfegruppe oder Sport hat und man trifft sich noch mit Freunden. Sobald das aber alles wegfällt, wie das in der Pandemie auf einen Schlag geschehen ist, ist das natürlich ganz schlimm. Und wenn dann noch Beratungs- und Unterstützungsangebote eingeschränkt werden, ist das sehr belastend. Je länger die Pandemie anhält und diese Ungewissheit vorherrscht, desto schlimmer wird das natürlich auch.
kreuzer: Wie gehen Sie damit um?
BAMMEL: Wir sind relativ schnell auch auf den digitalen Raum gewechselt. Durch unsere Online- und Hybridangebote versuchen wir zu gewährleisten, dass der Austausch zwischen den Betroffenen bestehen bleibt. Da haben wir sehr positive Rückmeldungen bekommen. Insbesondere, weil Menschen mit Depression sich durch den Antriebsmangel sehr schwertun mit Entscheidungen. Da konnten wir eine Kontinuität herstellen. Dennoch gibt es auch Schattenseiten. Natürlich fehlt der persönliche Austausch und einige berichten, dass die online Kommunikation eher anstrengend ist. Vor allem für Ältere ist das keine Alternative, weil ihnen oftmals das Wissen und die technische Ausstattung fehlt, um an Onlineveranstaltungen teilzunehmen. Wir versuchen sie zwar anders zu erreichen, aber das ist nicht so leicht.
kreuzer: Was sind mittelfristige Perspektiven über die Pandemie hinaus, die Ihnen in Ihrer Arbeit wichtig sind?
BAMMEL: Wir haben das Ziel, dass Depression soweit anerkannt wird, dass man bei der Arbeit sagen kann: »Du, mir geht es nicht gut, ich brauch Hilfe«, wie bei einem gebrochenen Bein oder einer schweren Erkältung, ohne dass man negative Konsequenzen fürchten muss. Entscheidend ist, dass wir dahin kommen, dass man nicht sagt »Du bist nichts wert, weil du im Moment nicht so viel leisten kannst«.
kreuzer: Diese Perspektive hat in einer Gesellschaft, die maßgeblich über Leistung und Produktivität definiert ist, fast etwas Utopisches...
BAMMEL: Ja, wahrscheinlich. Ich meine, dass die Frage auch die nach der Arbeit einschließt. Also was wird gesellschaftlich anerkannt, was ist wertgeschätzte Arbeit. Für viele kann Lohnarbeit belastend sein, es hilft vielen Betroffenen aber auch den Alltag zu strukturieren, soziale Kontakte zu pflegen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Wenn das wegfällt, wie jetzt durch Homeoffice oder Arbeitslosigkeit, kann das für Menschen mit Depression schwerwiegende Folgen haben. Wie man sich als Betroffener gegenüber seinem Arbeitgeber positioniert, hängt natürlich ganz stark vom Kontext ab. Es ist immer eine Einzelentscheidung, erfordert seitens der Betroffenen in jedem Falle aber ein Höchstmaß an Mut und Energie.