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Kultur

Sex, Tod, Pilze

Helen McDonald schreibt Essays, in denen mehr steckt als man denkt

  Sex, Tod, Pilze | Helen McDonald schreibt Essays, in denen mehr steckt als man denkt

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Mit den Essays der Schriftstellerin Hellen Macdonald taucht Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz in die »glitzernden Welt des nichtmenschlichen Lebens« ein.

Wer Helen Macdonalds Buch über Habichte und Falken mochte, könnte bei »Abendflüge« mit seinem Schwalbenverzierten Einband auf eine Geschichte eben jener Schwalben hoffen. Doch die Schwalbe steckt nur in einem Kapitel. Stattdessen versammelt die Autorin in ihrem neuen Buch eine ganze Ladung Essays. »Ich hoffe, dieses Buch funktioniert ein wenig wie eine Wunderkammer. Es steckt voller seltsamer Dinge und beschäftigt sich mit der Eigenschaft des Staunens.« Und Kapitel mit Titeln wie »Sex, Tod, Pilze« und »Gar nicht wie ein Schwein« machen durchaus neugierig.

[caption id="attachment_125477" align="alignright" width="186"] Abendflüge; Cover: Hanser Verlag[/caption]

Gleich im ersten entfalten Macdonalds Gedanken wieder ihren typischen Sog: Wenn sie davon erzählt, dass Vogelnester ihr Verständnis von Heimat und Zuhause geprägt und gewandelt haben. Wenn sie begreift, dass das seltsame Gefühl, dass sie bei der Arbeit in einer Falkenzuchtstation in Wales überkommt, ein Echo der Einsamkeit ist. Eine, die sie als Säugling empfunden habe musste: »Ich lag in einem Brutkasten, denn ich war viel zu früh auf die Welt gekommen. Mein Zwillingsbruder hatte die Geburt nicht überlebt. Und dieser frühe Verlust, gefolgt von Wochen grellen Lichts, die ich allein auf einer Decke in einem Plexiglaskasten lag, hatte mir etwas angetan, das seinen Widerhall in einem Raum voller feucht gehaltener und von einem Drahtgestell bewegter Eier in Gebläsekästen fand.«

Neben den persönlichen Geschichten und Gedanken steckt Wissen in den Essays, das man vielleicht auf den ersten Blick als unnütz abtun will. Dann merkt man aber doch, wie wichtig es ist: Zu begreifen, wie eng alles Leben auf dieser Erde verbunden ist. Zum Beispiel wenn man liest, dass Milane »ihre Nistplattformen in den Bäumen mit Unterwäsche« schmücken, »die sie von Wäscheleinen stibitzt haben.« Macdonald stellt Fragen, die berühren. Fragen danach, wer Zugang zu Ressourcen hat, wer sich gezwungen sieht, Nester auszuplündern – von anderen verteufelt, während die gesamte Gesellschaft Raubbau am Planeten betreibt. Auch Fragen nach Grenzen, nach der »Geschichte unserer Angst, dass wilde Tiere in unser Revier endringen«, nach jeder Mauer spottenden Vogelzügen und Migration. Denn »wenn man von einem Bewusstsein betrachtet wird, das nicht menschlich ist, wird man unweigerlich dazu gezwungen, die Grenzen des eigenen Bewusstseins zu überdenken.« Ein lohnendes Gedankenspiel, verpackt in wunderbare Geschichten mit dem Plädoyer: Vielfalt schätzen und schützen lernen. Weil der Planet, auf dem wir leben »nicht uns allein gehört«.


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