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Literatur

Zwischen Wasser und Stein

Röhnerts Wanderbeschreibungen überzeugen durch wunderbares Vokabular und wachen Blick

  Zwischen Wasser und Stein | Röhnerts Wanderbeschreibungen überzeugen durch wunderbares Vokabular und wachen Blick

Unzählige Bücher überfluten den Markt. Linn Penelope Micklitz und Josef Braun helfen wöchentlich auf »kreuzer online« bei der Auswahl. Literaturredakteurin Linn Penelope Micklitz wandert diese Woche mit dem Leipziger Autor Jan Röhnert durch Geologie, Geschichte und Kultur verkarsteter Landschaften.

Wer schon mal mit der Bahn von Leipzig nach Saalfeld gefahren ist, kennt die Landschaft, von der Jan Röhnert im 73. Band der Reihe »Naturkunden« erzählt. Eine Landschaft, deren Namen aus dem serbokroatischen kommt und nichts anderes bedeutet als »steiniger Boden«. Eine Landschaft, die Röhnert schon auf der ersten Seite seines Textes vor dem inneren Auge seiner Leserinnen zu erschaffen weiß: »uneben geschmirgelte Säulen und Flächen, mit vorstehenden schrundigen Nasen und Stirnfalten, ausgewitterten, windgeschliffenen Hohlräumen, Einbuchtungen, Kehlen, Schlunden, Löchern, Rillen«, »diese porösen, vielen als reiz- und gestaltlos geltenden Landstriche, die auch landwirtschaftlich kaum Erträge abwerfen« – Röhnert erzählt vom Karst.

[caption id="attachment_126450" align="alignright" width="160"] Vom Gehen im Karst; Cover: Matthes & Seitz Verlag[/caption]

Warum diese Landschaft, »in der das Feste flüssig, das Flüssige fest wird,« so faszinierend für ihn ist? Es ist die »herausfordernd bizarre, zwischen Schauder und Schönheit changierende Formensprache«, eine Beschreibung, die auch auf Röhnerts Buch zutrifft. In diesem wandert der gebürtige Thüringer Karste in allen vier Himmelsrichtungen, nach denen »Vom Gehen im Karst« auch gegliedert ist, und bedient sich staunend an der Sprache der Geologie (»Wasserwegsamkeit«), durchzogen vom »autobiografischen Fundament der Neugier«. Es ist dieses wunderbare Vokabular und Röhnerts wacher Blick, die diese Erkundungen so lesenswert machen. In seinen Streifzügen entfaltet sich neben den vielfältigen Erscheinungsformen des Karsts gleichermaßen eine Erd- und Kulturgeschichte, dem Gestein eingeschrieben und vom Autor wieder herausgelesen: »Landschaft kennt keinen einzelnen, privilegierten Standpunkt, sondern eine Vielzahl von Zugängen – eine Tatsache, die gleichermaßen auf die Aneignung von Landschaft im Gehen wie im Lesen zutrifft.« So spart Röhnert auch den Blick auf die jüngeren Ereignisse nicht aus, Stichworte wie Uranbergbau, Zweiter Weltkrieg, Raubritter sind nur Beispiele dessen, was der Autor so zusammenfasst: »Auf unheimliche Weise stoßen im Karst Erd- und Zeitgeschichte unmittelbar aufeinander, und es mag dieses Oszillieren zwischen Erhabenem und Entsetzlichem sein, das zur Signatur der Landschaft gehört.«

Die Karste der Küsten, Mitteldeutschlands, des Zentralmassivs – Röhnert lädt ein auf eine Reise über und unter der Erde, die gerade in Zeiten eingeschränkter Mobilität einen großen Zauber entfaltet. Übrigens: 2021 ist das internationale Jahr von Höhlen und Karst. Es bleibt nur, diesem Buch viele Leser zu wünschen. Und dem Karst viele Wanderer.


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