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Kultur

Sexarbeit ist Arbeit

Studio Urbanistan gibt Einblicke in die selbstbestimmte Sexarbeit

  Sexarbeit ist Arbeit | Studio Urbanistan gibt Einblicke in die selbstbestimmte Sexarbeit

In der Audioinstallation Next Door sprechen Menschen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, über die Zwischentöne ihrer Arbeit. Dabei geht es unter anderem um Bedingungen in der Pandemie, das Erfinden einer Figur, aber auch um persönliche Grenzen.

»Einmal kräftig anklopfen, dann sofort reingehen.« Mit diesen kurzen Hinweisen wird das Publikum in Slots für ein bis zwei Personen in eine Wohnung im Leipziger Osten geschickt. Einen Theaterbesuch, der Zuschauerinnen auf ihre Plätze und Akteurinnen auf die Bühne bannt, erwartet es hinter der Tür im obersten Stock nicht. Mit dem Eintritt beginnt das Telefon zu klingeln. Ich soll es mir im Wohnzimmer bequem machen und eine Kassette einlegen, sagt eine weiblich gelesene Stimme, sie komme gleich. Zu Lana del Reys Gesang verflüchtigt sich ein Teil der Aufregung. Die Ungewissheit, was in der audiovisuellen Installation als Nächstes passiert, bleibt.

Studio Urbanistan, das Leipziger Performance-Kollektiv für »Zwischenfälle im urbanen Raum«, gestaltete entlang ihrer monatelangen Recherche zum Thema selbstbestimmter Sexarbeit eine immersive Erfahrung, die mit dem Blick und der Selbstpositionierung der Zuschauerinnen spielt. Jeder Raum, in den man nacheinander von einer Performerin und Sexarbeiterin geführt wird, eröffnet andere Aspekte der stigmatisierten Tätigkeit. Die Arbeiterinnen und Arbeiter berichten in voraufgezeichnetem Interviewmaterial selbst von ihrer Lebensrealität. Sie erzählen von ihrem Berufsbeginn, Übergriffen und einem Gefühl der Selbstermächtigung. Die Performance bewegt sich in einer diskursiven Gemengelage, die nicht grundlos »Porn-Wars« genannt wird. Mit dem Begriff »selbstbestimmten Sexarbeit« wird der Lohnarbeitscharakter wie der Konsens ins Zentrum gerückt.

Von der Performerin, die durch den Abend führt, erfahre ich vorerst nichts im direkten Austausch. Sie schweigt und verschwindet in einen angrenzenden Raum. Auf dem roten runden Bett im Zentrum packt sie ihre Tasche. Handschuhe, zwei Dildos, eine schwarze Lederpeitsche. Mit etwas Abstand sitze ich neben ihr auf dem Bett und versuche mich selbst in meiner Zuschauerinnenposition zu verorten. Wie kann ich sie ansehen, ohne in einen penetrierenden Blick zu verfallen? Betrachte ich sie und ihre Handlungen anders als eine Kundin oder Voyeurin? Ohne den Schutz des verdunkelten Parketts ist klar: Sie sieht auch mich. Die Reziprozität verdeutlicht: Die Zuschauerin ist nicht passiv. Und auch Blicke können gewaltvoll sein.

Für den Verlauf der Performance ist der Zwang, die eigene Haltung zu prüfen, so wichtig wie die Audios und Handlungen der Performerin. In Zusammenarbeit mit dem Lofft gelang ein Einblick in die selbstbestimmte Sexarbeit, der durch das Changieren zwischen Intimität und Distanz, Blicken und erblickt werden, Fragen der Schausituation im Theater durchspielt. Die Aussagen der Interviewpartnerinnen und -partner beschönigen nicht. Sie berichten von sexistisch motivierter Gewalt und Vorurteilen im engsten Umfeld, aber auch von den gewöhnlichen Vorgängen, die zu ihrem Arbeitstag gehören.

Die Haltung der Performance ist klar: »Sex work is work.« Denn Sexarbeit als Sorgearbeit anzuerkennen, gibt die Möglichkeit, an die Aufwertung von Reproduktionstätigkeiten anzuknüpfen: Putzen, Kochen, Pflege und Sex genauso wie körperliche Nähe. Im Laufe der Zeit wurden sie ins Private verschobenen, weiblich konnotiert und zugleich abgewertet. Sex nur so zum Spaß und nicht zum Kinderkriegen erfuhr eine Herabwürdigung und teilweise Kriminalisierung. Im Blick zurück wird ersichtlich, warum Sexarbeit auch als bezahlte Dienstleistung um gesellschaftliche Anerkennung ringt. Für einen queerfeministischen Arbeitskampf ist die Solidarität zwischen Sex- und allen anderen Sorge-Arbeiterinnen unabdingbar.


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