In dieser Woche sorgt Disney mit ihrem Marvel-Kracher »Black Widow« für Zoff in der Szene der Kinobetreiber. Außerdem kann man nun Andreas Voigts Dokumentarfilm »Grenzland« sehen, der sich auf die Spuren des Stückes zwischen Deutschland und Polen begibt. Was sonst noch so auf der Leinwand zu sehen ist, gibt es hier im Überblick.
Von Leipzig unbemerkt tobt derzeit in anderen Teilen der Republik ein Krieg gegen Disney. Das Haus mit der Maus startet den neuen Marvel-Kracher »Black Widow« parallel beim hauseigenen Streamingdienst Disney+ (ab 9.7. zum Preis von 21,99 Euro) und verschärft die Konditionen für die Kinos, die zudem unter den Abstandsregeln zu leiden haben und ihre Säle nicht voll auslasten dürfen. Das führte dazu, dass einige Kinoketten wie Cineplex und Kinopolis Disney-Titel boykottieren. Das Nachsehen hat der Zuschauer. CineStar, UCI und Regina Palast starten den Film dennoch. Nach dem schwierigen Jahr kann man es sich nicht leisten, auf die Einnahmen zu verzichten. Abzuwarten bleibt, ob sich der Boykott signifikant auf die Einspielergebnisse auswirken wird.
Film der Woche: International bekannt wurde Andreas Voigt mit seinen »Leipzig-Filmen«. Von 1986 bis 2015 begleitete er die Stadt und seine Menschen, Brüche und Umbruchserfahrungen, radikale Jugendliche und Orientierungslose. Immer wieder geht es um Zugehörigkeit. Wo bin ich zu Hause? Und was gibt mir Halt? »Grenzland« heißt der neue Film des Dokumentaristen. Dort, wo die Ränder Deutschlands und Polens aufeinandertreffen, im Herzen Europas, drehte Voigt ebenfalls bereits Anfang der 90er-Jahre, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges. Knapp 30 Jahre später kommt er zurück in diese Region, vom Dreiländereck Tschechien, Deutschland, Polen, an Oder und Neiße hoch bis zum Stettiner Haff. Dieselben Deiche und auch ein altbekanntes Gesicht erwarten ihn – doch die Veränderung ist allgegenwärtig. Das Chemiefaserwerk Guben, wo Carla, eine der Protagonistinnen arbeitete, hat längst dichtgemacht. In Hoyerswerda wohnt inzwischen Salman, nachdem er aus Syrien flüchtete. Selbst eine australische Familie hat sich auf der östlichen Seite der Grenze angesiedelt: Polen sei wie Australien, sagt der Vater, abenteuerlich, ganz anders als Deutschland oder Dänemark.
Die Reise durch das Grenzland zeichnet ein vielschichtiges Bild. Salmans kurdische Freunde müssen nicht lange überlegen, fragt man sie, ob sie gerne in Deutschland leben. Hier dürfen sie sagen und glauben, was sie wollen und sein, wer sie sind. Kurz darauf sieht man Salman neben seinem Auto stehen. Darauf hat jemand drei große Buchstaben gesprüht: NPD. Er wisse was das heißt, sagt er und lächelt tapfer. Dass nicht alle glücklich sind über die Zugezogenen, bekommt er auch an seinem Arbeitsplatz in einer Kfz-Werkstatt zu spüren. Dennoch bleibt er, und nicht nur das: Vor Kurzem kaufte er eine alte Scheune, »zufällig gefunden auf Ebay Kleinanzeigen«, die er jetzt renoviert. Er wünscht sich eine Frau und Kinder, sagt er und lächelt wieder in die Kamera.
Die deutsch-polnische Grenze spielt keine Rolle mehr, da sind sich alle einig. Und das sei gut so. Polnisch lernen die in Deutschland Aufwachsenden allerdings auch heute nicht. Carlas Freundin sagt, bis auf Benzin und Zigaretten gäbe es für sie keinen Grund, auf die andere Seite zu fahren. Ganz anders die Polinnen und Polen: Sie kommen zum Arbeiten, lernen die deutsche Sprache, erzählen von der gemeinsamen Geschichte. Zum Beispiel die Gruppe junger Männer, die jährlich die Ländergrenze passiert, um Schafe zu scheren. Sie albern mit dem deutschen Bauern herum, die Stimmung ist selbst nach dem harten Arbeitstag gut. Dabei ist auch der nordöstliche Saum Deutschlands von einer alternden Bevölkerung und schwachen Infrastruktur geprägt. Ein Mann sitzt auf einer Bank. Vor seinen Augen wird ein Plattenbau abgerissen. Er sagt, die Einwohnermenge hätte sich seit der Wende halbiert, nennt Zahlen. Doch dann wird er sehr persönlich. »Ich habe nichts mehr, worauf ich mich freuen kann, ich dümple nur so vor mich hin.«
Andreas Voigt stellt die richtigen Fragen und erwartet keine ausgeklügelten Antworten. Seine Stimme ist immer wieder zu hören, wenn er bei seinen Protagonistinnen nachhorcht und Dinge kommentiert. Als Zuschauerin kommt man ihnen ausgesprochen nah, durch die unaufgeregte Art des Regisseurs und die wiederkehrenden fundamentalen Themen. Wo kommen wir her? Und wo wollen wir bleiben? Ein einfühlsames Porträt über einen von Bewegung und Geschichte geprägten Landstrich.
LUCIA BAUMANN
»Grenzland«: 10.7., 18 Uhr, Passage Kinos in Anwesenheit des Regisseurs Andreas Voigt
Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Corona-Thema auch auf der großen Leinwand Einzug halten würde, und hier ist er nun – der Film, der in fast jeder Spielszene die Maske thematisiert, als gäbe es keine anderen Themen in dieser Pandemie. Aber Moment mal, ging es in dem Berlinale-Gewinner nicht um eine Lehrerin, deren geleakter Amateurporno für einen Skandal sorgt? Ja, und um so ziemlich alles andere. Und damit irgendwie auch um nichts. Ein Statement über die Informationsflut der Gegenwart? Darüber mögen die Gelehrten streiten, denn für sie ist »Bad Luck Banging« eindeutig gemacht. Als assoziative Montage von Zeichen und Zitaten gibt Regisseur Radu Jude hier seinen Kommentar über Macht und Moral in Rumänien und anderen Teilen der Welt ab. Nach der expliziten Einstiegsszene sehen wir Lehrerin Emi durch Bukarest gehen und verschiedene Einkäufe tätigen. Im zweiten Teil setzt dieser Erzählstrang aus und der Regisseur bombardiert uns fast eine halbe Stunde lang mit bebilderten Stichwörtern, die ihm zur Politik und Kultur Rumäniens und der Welt von gestern bis morgen einfallen. Der dritte Teil zeigt schließlich das Tribunal der Elternschaft, dem Emi sich wegen ihres »Fehltritts« stellen muss, als theaterhaftes Arrangement von Polemiken und Zitaten, die teils von Smartphones abgelesen werden. Am Ende bleibt außer Kopfschmerzen die Botschaft: Es gibt doch so viel Schlimmeres auf der Welt als zwei Liebende, die einen Porno hochladen. Ach.
KARIN JIRSAK
»Bad Luck Banging Or Loony Porn«: ab 8.7., Passage Kinos (am 8.7. mit anschließendem Publikumsgespräch), Kinobar Prager Frühling
Weitere Filmtermine der Woche
Deutschland zu Fuß
2019 brach Enno Seifried auf und wanderte sechs Monate quer durch Deutschland: 3.442 km von der Nordsee bis in die Alpen, abseits dem Getümmel der Großstädte. Heute feiert der Film des Leipziger Filmemachers Premiere. Mehr über den Regisseur und seine Projekte lesen Sie im kreuzer 01/2021. (D 2021, Dok) R: Enno Seifried
• Luru-Kino in der Spinnerei, 08./09.07., um 21:45 Uhr
Flüstern & Schreien
(DDR 1988)
Dokumentarfilm über die Underground-Musikszene der DDR.
R: Dieter Schumann, DDR 1988, Dok, 115 min
2cl - Sommerkino auf Conne Island
• Donnerstag 08.07., um 21:30 Uhr
Leipzig im Herbst
(DDR 1989, Dok) - Aktion der Utopischen Tafel Ost
Bilder vom Umbruch im Herbst 89.
R: Andreas Voigt, DDR 1989, Dok
HAL Atelierhaus
• Donnerstag 08.07., um 21:00 Uhr
Aznavour by Charles
(F 2019; OmU)
Dokumentarfilm über Leben und Werk des armenisch-französischen Chansonniers, Liedtexters, Komponisten und Filmschauspielers Charles Aznavour, der aus von Aznavour selbst angefertigen Filmmaterial zusammengefügt ist.
R: Marc Di Domenico, F 2019, Dok, 85 min
Passage-Kinos
• Sonntag 11.07., um 12:50 Uhr
• Dienstag 13.07., um 14:15 Uhr
• Mittwoch 14.07., um 14:15 Uhr
Mank
(USA 2020)
David Fincher schwarz-weißes Biopic über den legendären Hollywood-Produzenten.
R: David Fincher, D: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lily Collins, USA 2020, 132 min
Regina-Palast
• Sonntag 11.07., um 17:00 Uhr
Anime Night: My Hero Academia: Heroes Rising
(J 2021)
Als die Klasse 1a die Insel Nabu besucht, bekommen sie endlich die Chance, sich als wahre Helden zu beweisen. Während sie auf der Insel umherwandern, stellen sie fest, dass die Insel überaus friedlich ist, fast schon zu friedlich.
Cineplex
• Dienstag 13.07., um 20:00 Uhr
The Fast and the Furious
(USA 2001)
Der Auftakt der PS-starken Actionserie.
R: Rob Cohen, D: Paul Walker, Vin Diesel, Michelle Rodriguez, USA 2001, 107 min
Autokino auf der Alten Messe
• Dienstag 13.07., um 21:30 Uhr
May, die dritte Frau
(VN 2018; OmU) - Sommerkino der Schaubühne Lindenfels
Als May die dritte Frau eines reichen Landbesitzers werden soll, muss sie sich zwischen der Sicherheit der Ehe und ihrem Drang nach Freiheit entscheiden. - Sommerkino der Schaubühne Lindenfels
R: Ash Mayfair, D: Nguyen Phuong Tra My, Tran Nu Yên Khê, Mai Thu Huong , VN 2018, OmU, 96 min
Markthalle Plagwitz
• Mittwoch 14.07., um 21:30 Uhr
The Big Lebowski
(USA 1998)
Ein Spät-Hippie und Bowling-Freak gerät durch eine Verwechslung in eine haarsträubende Entführungsaffäre. Kultfilm der Coen-Brüder.
R: Joel Coen, Ethan Coen; D: Jeff Bridges, Steve Buscemi, Philip Seymour Hoffman, USA 1997, 112 min
Sommerkino auf der Feinkost
• Mittwoch 14.07., um 21:30 Uhr
CSD Leipzig: Queer-feministischer Pornoabend
- in Anwesenheit der Filmemacherinnen
2cl - Sommerkino auf Conne Island
• Donnerstag 15.07., um 21:30 Uhr
Oh Boy
(D 2012)
Die Odyssee eines jungen Mannes durch Berlin. Absurd-witzige Situationen und tiefe Großstadtmelancholie, mit großartigem Jazz-Soundtrack von The Major Minors.
R: Jan-Ole Gerster; D: Tom Schilling, Katharina Schüttler, Justus von Dohnányi , D 2012, 95 min
Sommerkino auf der Feinkost
• Donnerstag 15.07., um 21:30 Uhr
Patrick
(PT 2021) - Sommerkino der Schaubühne Lindenfels
Patrick, der als Kind entführt wurde, kehrt nach Hause zurück. Die Heimkehr und Wiedereingliederung in seine Familie gestaltet sich jedoch schwierig. - Sommerkino der Schaubühne Lindenfels
R: Gonçalo Waddington, PT 2021, 103 min
Markthalle Plagwitz
• Donnerstag 15.07., um 21:30 Uhr
The Heart of Jenin / After the Silence
- im Rahmen der Filmreihe »Screening Religion« - www.cinematheque-leipzig.de
In »Das Herz von Jenin« spendet ein Palästinenser die Organe seines erschossenen Sohnes israelischen Kindern. In »Nach der Stille« sucht die Witwe eines ermordeten Israelis acht Jahre später Versöhnung mit der Familie des Attentäters im Westjordanland. - im Rahmen der Filmreihe »Screening Religion« - www.cinematheque-leipzig.de
Digitaler Raum
• Donnerstag 15.07., um 19:00 Uhr