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Kultur

Uneins mit der Maschine

Irinia Pauls untersucht den Umgang zwischen Mensch und Maschine

  Uneins mit der Maschine | Irinia Pauls untersucht den Umgang zwischen Mensch und Maschine

In fünf experimentellen Anordnungen kommunizieren die Performenden in »Facing Zero and One« mit virtuellen Signalen. Visualisierte Tonkurven finden darin ihre leibliche Übersetzung. Mit Witz und Spielfreude inszeniert Irina Pauls so die Möglichkeiten des Datentransfers und verwandelt die Bühne in ein Versuchsfeld.

Laufen, laufen, laufen – Stopp! Wie bei einem Warmup-Spiel gehen die vier Tänzerinnen und Tänzer über das Gitterraster auf dem Boden. Den Rhythmus gibt ihnen eine an die Wand projizierte Kurve vor, die eine Performerin an einem futuristischen Kontrollboard einstellt. Fällt die Linie ab, frieren sie in der Bewegung ein. Aus dem einfachen Laufen werden zunehmend komplexere Sprünge und Drehungen, die das punktgenaue Anhalten erschweren. Beim Versuch, der selbstbestimmten Stopp-Regel zu folgen, balancieren und taumeln die Tanzenden bald auf den Zehenspitzen. Ihre Lust an riskanten Bewegungen überschreitet das maschinelle Muster. Losgelöst von der Projektion setzen sie die aus dem Spiel mit der Kurve entstandenen Gesten fort. Die neuen Bewegungsmuster erinnern nur durch plötzliches Innehalten oder einen abrupten Richtungswechsel an den maschinellen Ursprung.

In fünf experimentellen Anordnungen kommunizieren die Performenden in »Facing Zero and One« mit virtuellen Signalen. Die visualisierte Tonkurve ist eine der Schnittstellen, in der die Übersetzung von elektronischen zu leiblichen Impulsen sichtbar wird. Mit Witz und Spielfreude inszeniert Irina Pauls so die Möglichkeiten des Datentransfers und verwandelt die Bühne in ein Versuchsfeld. Wie in einem Laboratorium werden Geräte und Scheinwerfer herumgeschoben und präzise platziert, nur dem menschlichen Bewegungsapparat fehlt die Genauigkeit. Nicht mal der trainierte Körper kann das Zittern vor Anstrengung verhindern oder Gesten exakt wiederholen.

In einem weiteren Experiment probieren sich die Tanzenden einzeln vor einer Kamera aus. Leicht verzögert werden ihre Bewegungen auf eine Leinwand hinter ihnen geworfen, bis ein Schnappschuss das entstandene Duett unterbricht. Erst folgt die Projektion dem Körper, dann wendet sich das Verhältnis um. Die verdrehten Posen, durch die Aufnahme aus dem Bewegungsfluss gelöst, sollen rekonstruiert werden. Gehalten von den anderen stellen sie die Kipp- und Sprungfiguren für einen kurzen Moment nach, allein fallen die Protagonistinnen um. Die Fotografie produziert ein Bewegungsbild, das vom Auge nicht erfasst werden kann. Was auf dem Abbild erscheint, war also nie einfach da. Vielmehr entsteht in der Zerstückelung des Ablaufs etwas Neues, in dem – wie die komischen Rekonstruktionsversuche vorführen – das menschliche Vermögen überschritten wird.

Mit naiver Neugier fragt die Produktion der Leipziger Choreografin danach, wie sich Bewegung in Impulse und die elektronische Musik vom Komponisten Eric Bush in Tanz übersetzt. Die Beziehung, die sie in einer leichtfüßigen Annäherung skizziert, bringt auf beiden Seiten Potenziale und Unzulänglichkeiten mit sich. Im großen Saal des Festspielhauses Hellerau, wo die Produktion vergangenen Samstag Premiere feierte, zeigen die Tänzerinnen und Tänzer den Prozess und scheitern lachend an manchen Konstellationen. Wie treffend ins Zentrum gestellt wird, steckt der kreative Überschuss nicht nur im Tanz, sondern auch in den von Menschen gebauten und bedienten Geräten. In dem, was uneins mit der Maschine bleibt, liegt der künstlerische Ausdruck.


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