Uta Pilling war Malerin, Lyrikerin und Sängerin. Fast täglich sang sie in den Fußgängerzonen Leipzigs ihre unbequemen Chansons. Im letzten Jahr ist sie im Alter von 71 Jahren verstorben. Mario Schneider hat ihr nun einen Film gewidmet.
Vielen, die in den letzten Jahren durch die Straßen der Innenstadt gingen, dürfte sie ein Begriff sein. Ihr Gesicht war stadtbekannt, ihre Lieder gegen Kapitalismus und voller Poesie hallten zwischen den Fassaden der großen Shoppingketten, bis Uta Pilling im Juni 2020 verstarb. Nun kommt ein Dokumentarfilm über sie in die Kinos. Gedreht hat ihn der Hallenser Regisseur, Schriftsteller und Fotograf Mario Schneider. Er und Pilling lernten sich bei den Dreharbeiten zu seinem Film »Akt« kennen, für den er verschiedene Aktmodelle porträtierte, darunter die Straßenmusikerin und Malerin aus Leipzig.
»Während des Schnitts von ›Akt‹, merkte ich, dass es über Uta noch viel mehr zu erzählen gibt, als wir das bei einem Projekt mit mehreren Protagonisten tun konnten«, erinnert sich Schneider. Aus dieser Erkenntnis heraus entschied er sich dafür, einen Film nur über Pilling zu drehen. In dem kommen neben der Künstlerin selbst auch ihr langjähriger Lebensgefährte Jens, ihre Kinder und Enkelkinder und ihre Schwester Elke zu Wort. »Ihre Schwester hat in Utas Kindheit eine große Rolle gespielt«, erzählt Schneider, »sie war für mich eine ganz wichtige neue Protagonistin für den Film.«
Um sie gemeinsam mit ihrer Schwester porträtieren zu können, fuhr Schneider mit seiner kleinen Crew bis nach Hiddensee, wo Elke mit ihrem Mann lebt. Die Dialoge der beiden Schwestern gehören zu den stärksten und zugleich beklemmendsten Momenten in »Uta«. Beide wurden in ihrer Kindheit vom Vater missbraucht. Im Film reden sie darüber. »Für einen Dokumentarfilmer ist es ein Geschenk, wenn man bei so ehrlichen Gesprächen dabei sein kann, wo Menschen etwas ausdiskutieren, ohne vorher das Ergebnis zu kennen«, sagt Schneider. Meist bestand die Crew bei den Drehs neben dem Regisseur lediglich aus dem Kameramann Friede Clausz und jemandem für den Ton. Manchmal musste der Regisseur auch alleine ran. Die Intimität, die er dadurch mit seinen Protagonistinnen, allen voran Uta Pilling, aufbauen konnte, kommt seinem Film zugute. Darin mischte er eigene Aufnahmen mit Szenen aus dem Film »Akt« und VHS-Videos, die Pillings Schwester nach der Wende gemacht hat. So entsteht ein Porträt, das einerseits Uta Pillings Blick aufs Leben einfängt und andererseits tief in die Vergangenheit vorstößt, häufig genug auch dorthin, wo es schmerzhaft ist. »Man muss wirklich sagen, dass Uta arm war und an der Existenzgrenze lebte, aber trotzdem kam es vor, dass sie von ihrem eingespielten Geld einem Musiker auf dem Heimweg etwas in den Hut warf. So war Uta, sie hat trotz der schweren Schicksalsschläge in ihrem Leben nie den Glauben an die Menschen verloren, das war beeindruckend an ihr«, erzählt Schneider. Die unglaubliche Lebensfreude und den Optimismus von Pilling fängt sein Film auf eindrückliche Weise ein, auch weil er seiner Protagonistin ausgiebig Zeit lässt, von ihrem Leben zu erzählen. »Für meine Arbeit war Uta ein Geschenk, sie hatte eine so tolle Sprache, bildete druckreife Sätze, die nie oberflächlich waren«, sagt Schneider. In vielen Szenen sitzt Pilling am Küchentisch, die Hände an das Gesicht gelegt, auf dem die Jahre deutliche Spuren hinterlassen haben.
Am selben Küchentisch sah sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Jens auch noch den fertigen Film an. »Das war eine sehr herzliche Situation«, erinnert sich Schneider. »Sie waren beide von dem Film begeistert und wir haben uns danach umarmt.« Eigentlich hätte »Uta« anschließend in die Kinos kommen sollen. Corona verzögerte jedoch den Start. Im letzten Jahr lief der Film stattdessen auf einigen Festivals wie dem »Dokfest« in München und der »Globale« in Leipzig. Die Reaktionen dort waren durchweg positiv. Vielleicht auch weil Uta Pilling eine Künstlerin war, die in unserer heutigen Zeit fehlt. »Sie war niemand, der zum Zyniker wird. Sie hat sich ihre Glücksfähigkeit bewahrt«, so Schneider über seine Protagonistin, die in »Uta« noch einmal ihre Lebensfreude versprüht. Aufrecht, zärtlich und rau zugleich.
Dieser Text erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe des kreuzer.