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Kultur

»Geheimnisse sind das, was Menschen wirklich ausmacht«

Tobias Bamborschke über sein Schaffen als Lyriker und Songwriter

  »Geheimnisse sind das, was Menschen wirklich ausmacht« | Tobias Bamborschke über sein Schaffen als Lyriker und Songwriter

Am 7. Oktober erscheint der neue Gedichtband von Tobias Bamborschke, »Schmetterling im Winter«, am darauffolgenden Tag das neue Album von Bamborschkes Band Isolation Berlin mit dem Titel »Geheimnis«. Tobias Bamborschke schafft, was vor ihm vor allem Lyrikerinnen und Lyriker des Expressionismus geschafft haben: die überbordenden Gefühle des Lebens in einer Großstadt präzise in Worte zu fassen. Seine Gedichte sind dabei meist kurz, doch voller Emotionen. Die eigene Unnahbarkeit wird ebenso zum Inhalt wie die Angst vor wiederkehrender Depression. Anlass genug, mit dem Lyriker und Songwriter über die beiden kommenden Veröffentlichungen zu sprechen, aber auch über Kreativität im Allgemeinen.

kreuzer: Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Arbeit und einem erfüllten Leben?

Tobias Bamborschke: Ich persönlich lebe für die Arbeit, mein ganzes Leben besteht daraus. Ich fahre auch nie in den Urlaub und wenn ich wegfahre, sehe ich die Reise auch schon als Mittel zur Arbeit. Auch alle persönlichen Erfahrungen, die ich sammele, verarbeite ich währenddessen im Hinterkopf. Mein ganzes Leben ist die Dichtung. Für mich ist das eine Lebenseinstellung. Aber es ist halt auch eine besondere Art Arbeit, Dichter zu sein. Ich habe das riesige Glück, dass ich damit Geld verdienen kann. Das ist ja wirklich sehr selten.

kreuzer: Gibt es für Sie sowas wie banale Kunst?

Bamborschke: Schon, aber das ist schwierig, in Worte zu fassen. Ich würde sagen, Kunst ist dann banal, wenn sie einfach so nebenbei geschaffen wird, um auch mal was Künstlerisches zu machen. Nicht banale Kunst muss einem selbst, dem Erschaffenden, irgendetwas bedeuten und ich glaube, dass man das auch spürt.

kreuzer: Die Banalität von Kunst ist für Sie also bereits an den Schaffensprozess gebunden. Wie entstehen Ihre Texte denn genau?

Bamborschke: Einige meiner Gedichte sind aus einem Rausch heraus entstanden. Aus einem Rausch – sei es ein Alkohol-, ein Liebes- oder ein depressiver Rausch – kann viel entstehen. Ich notiere meine Gedanken daher immer erstmal und bewerte sie später. Das erscheint mir ehrlicher zu sein, als Kunst zu schaffen mit dem Ziel, etwas Bestimmtes auszusagen. Ich versuche einfach alle Gedanken erstmal festzuhalten. Durch einen Rausch kann vielleicht auch das Unterbewusstsein als Quelle der Kreativität besser angezapft werden. Dieses Entstehen-Lassen finde ich besser, als mich davon beeinflussen zu lassen, was vielleicht aktuell im Trend ist und welche Meinung oder Aussage gut bei den Menschen ankommt. Da verfällt man schnell in eine Schulterklopf-Poetik und das möchte ich nicht. Ich habe eine Art Credo für mich entwickelt, das lautet: Du musst es nicht veröffentlichen. Durch dieses Credo habe ich eine Freiheit im Schreibprozess entwickelt, die etwas Interessantes entstehen lässt, weil ich mich selbst überraschen kann.

kreuzer: Gibt es für Sie dann überhaupt so etwas wie Schreibblockaden? In »Der Hundefänger« klingt es so, als würden Sie diese auch wieder kreativ verarbeiten können.

Bamborschke: Ich versuche es zumindest. Aber es gibt schon immer mal wieder Zeiten, in denen nichts kommt, wobei ich auch dann versuche, diese Phasen zu nutzen. Der Erfahrung nach kommt immer irgendwann wieder eine produktivere Phase, da darf man nicht in Panik geraten. Je mehr dieser Wellen ich erlebe, desto mehr vertraue ich auch darauf, dass die Kreativität wiederkommt.

kreuzer: Holen Sie sich auch Inspiration über andere Musik oder Dichtung oder eher aus dem Alltag heraus?

Bamborschke: Ich hole mir viel Inspiration aus Gedichten und anderer Musik. Das ist schon ein sehr wichtiger Einfluss. Irgendwie musste ich auch lernen, zu schreiben und das habe ich, indem ich mich viel mit Dichtung beschäftigt habe. Ich habe schon sehr früh angefangen, Gedichte zu lesen: Hesse, Rilke, später dann Kaléko und Lasker-Schüler. Lange Zeit bin ich nur mit einem Eichendorff-Buch herumgelaufen und habe überall daraus gelesen, wo ich grad war. Aber da wusste ich auch immer, dass ich nicht so schreiben würde, das ist nicht mein Stil. Später habe ich dann Richard Brautigan entdeckt und der hatte eine ähnliche Bedeutung für mich wie in der Musik die Sex Pistols und die Ramones. Ich erinnere mich an ein Brautigan-Zitat: »Gedichte sind Telegramme der menschlichen Seele.« Das hat bei mir ein Fenster geöffnet, da habe ich gedacht: So will ich auch schreiben. 

Buchcover von Schmetterling im Winter
Cover: Kiepenheuer und Witsch

kreuzer: Im Oktober erscheinen das neue Album von Isolation Berlin und Ihr Gedichtband fast zeitgleich. In welchem Verhältnis stehen die beiden Werke zueinander?

Bamborschke: Tatsächlich war nicht geplant, dass beides gleichzeitig erscheint. Das ist eher durch Corona so entstanden. Das Album wollten wir früher schreiben, aber dann gab es viele Komplikationen, auch schon vor Corona, da wir uns ein neues Studio bauen mussten. Also sind es grundsätzlich schon zwei verschiedene Werke. Dadurch, dass die Texte aber parallel entstanden sind, würde ich trotzdem sagen, dass auch eine Art Gesamtkunstwerk entstanden ist. Man muss es nicht gemeinsam konsumieren, aber ich glaube, dass das Lesen des Buches dabei hilft, das Album zu verstehen und andersherum. Die Themen sind natürlich ähnlich, auch wenn sie im Gedichtband nochmal anders behandelt werden als auf dem Album.

kreuzer: Gibt es für Sie Themen oder Gefühle, die sich durch Musik oder Lyrik besser ausdrücken lassen?

Bamborschke: Es ist einfach ein anderer Ansatz. Der Vorteil von Gedichten ist ihre Kürze und damit einhergehend die Möglichkeit, kleinere Gedanken auszusprechen. Gedichte sind außerdem leiser. Da ist die Musik nicht irgendwie hinderlich. Das kann sonst auch der Fall sein, wenn man zum Beispiel nicht auf Gitarrenmusik steht. Dafür kann ich mir in der Musik ein bisschen mehr Pathos erlauben als in der Dichtung, weil es durch die Musik wieder ausbalanciert wird. Einige Emotionen können außerdem durch die Musik noch verstärkt werden.

kreuzer: Denken Sie, dass Ihre Gedichte und die Musik von Isolation Berlin von denselben Menschen rezipiert werden? Denken Sie beim Schreiben überhaupt über ein Publikum nach?

Bamborschke: Ich denke auf jeden Fall an ein Publikum. Kunst ist für mich Kommunikation, sonst könnte ich es auch lassen. Das Publikum ist natürlich sehr unterschiedlich, aber ich denke, es gibt schon eine große Schnittmenge von Leser*innen und Hörer*innen. Aber solange ich schreibe, blende ich das komplett aus, diese Gedanken mache ich mir erst bei der Veröffentlichung.

Cover von Geheimnis
Cover von »Geheimnis«

kreuzer: Ich hatte beim Hören des neuen Albums den Eindruck, es ist musikalisch vielfältiger geworden. Sie haben sich entwickelt und verändert. Liegt das an der Pause, die Sie zwischendurch machen mussten oder war das von vornerein Ihr Ziel?

Bamborschke: Wir hatten tatsächlich diesen Plan: Wir wollten ein ganzes Jahr nur an der Musik arbeiten, weil wir das davor immer relativ schnell gemacht haben. Beim ersten Album kannte der Rest der Band die Hälfte der Songs noch nicht als wir ins Studio gegangen sind. Dieses Mal wollten wir uns mehr Zeit nehmen. Der Corona-Lockdown war dann auch gar nicht schlecht für unsere persönliche Entwicklung, weil wir uns ziemlich verstrickt hatten mit den Songs. Hätten wir es früher veröffentlicht, wären wir vielleicht nicht so zufrieden, wie wir es jetzt sind. Das Schreiben von Texten im Studio hat für mich auch nicht funktioniert und durch den Lockdown habe ich dann monatelang allein verbracht und Texte geschrieben. Das war für mich ganz gut, weil ich mich besser konzentrieren konnte.

kreuzer: Bezogen auf den Albumtitel: Sind Geheimnisse die besseren Wahrheiten?

Bamborschke: Ich glaube, Geheimnisse sind näher an der Wahrheit dran, weil es sich um etwas handelt, für das man sich schämt. Ich habe da auch einen persönlichen Ansatz: Ich versuche mich nicht selbst zu zensieren, durch den Gedanken, dass irgendwas nicht gesagt werden darf. Das hat auch was mit Geheimnissen zu tun. Deshalb spielen Geheimnisse für mich eine große Rolle und das ist auch das Interessante: die Geheimnisse von Menschen. Geheimnisse sind das, was Menschen wirklich ausmacht und was sie wirklich auszeichnet, im Gegensatz zu dem, was sie der Welt zeigen. Das ist nur ein ganz kleiner Teil. Ich probiere wirklich, an den wahren Kern der Gefühle und Persönlichkeit zu kommen.

kreuzer: Also ist Ihre Dichtung eine Möglichkeit, Ihre Geheimnisse öffentlich zu machen und der Wahrheit im Allgemeinen näherzukommen?

Bamborschke: Ich würde sagen ja, weil ich durch die Dichtung über Dinge sprechen kann, die für viele Menschen schwer zu ertragen sind und die deshalb selten mit dem Umfeld geteilt werden. Ängste, Schuld oder Unsicherheiten, die im Alltag wenig Platz finden, können durch Dichtung und Kunst besprochen werden. Das ist ein Weg damit umzugehen und zu bemerken, dass man mit diesen Emotionen nicht allein ist. Durch Kunst können Menschen zusammenfinden.

INTERVIEW: JOACHIM KERN

TITELBILD: NOEL RICHTER


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