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Politik

»Wir betreiben keine Missionarstätigkeit in der Bundeswehr«

Leipziger Zsolt Balla ist neuer Militärbundesrabbiner

  »Wir betreiben keine Missionarstätigkeit in der Bundeswehr« | Leipziger Zsolt Balla ist neuer Militärbundesrabbiner

Erstmals seit mehr als 100 Jahren und damit 76 Jahre nach dem Holocaust gibt es wieder eine jüdische Militärseelsorge in Deutschland. Der 42-jährige Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Leipzig, Zsolt Balla, wurde vom Zentralrat der Juden für diese Stelle ausgesucht. In seiner Position steht er bis zu zehn Militärrabbinern vor. Neben der Seelsorge für vor allem die jüdischen Soldatinnen sind sie auch Ansprechpartner zum Thema Judentum in der Bundeswehr. So soll der interreligiöse Austausch gefördert und die Sichtbarkeit von Juden und Jüdinnen in der Armee gestärkt werden.

Der historischen Bedeutung seiner Position ist sich Balla bewusst und nimmt deshalb auch die Medienaufmerksamkeit in Kauf. Sucht man im Internet einmal nach seinem Namen, bekommt man das Gefühl, er gehe von einem Interview zum nächsten. Jetzt ist er froh, dass er »endlich arbeiten kann« und häufiger mit Soldatinnen als Journalistinnen spricht. Nur an uns als Lokalmagazin muss er noch vorbei. Aufgrund seines gefüllten Terminkalenders führten wir das Interview per Videoschalte. Kurz zuvor war er mit einer Delegation der deutschen Luftwaffe für eine Übung in Israel.

kreuzer: Herr Balla, wie sieht ihr Alltag als Seelsorger für die jüdischen Soldaten und Soldatinnen aus?

Zsolt Balla: Ich bin ein Seelsorger für jeden Soldaten. Das möchte ich betonen. Natürlich, ich bin ein Rabbiner und damit hauptsächlich Seelsorger für die jüdischen Soldaten. Aber Seelsorger schauen nicht, wer zu ihnen kommt und das ist auch bei mir der Fall. Ich freue mich sehr darüber, weil es meine Arbeit sehr vielfältig macht.

kreuzer: Fahren sie also von Kaserne zu Kaserne und bieten der Truppe das Gespräch an?

Balla: Es ist tatsächlich so. Entweder fahre ich zu einer Kaserne oder die Truppe kommt zu uns in die jüdische Gemeinde. Manchmal vereinbaren wir auch einen gemeinsamen Treffpunkt. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir koscheres Catering für Veranstaltungen der Bundeswehr organisiert haben. Vor allem finde ich es aber spannend, unterschiedliche Divisionen zu besuchen, wie zum Beispiel die Panzerdivision in Koblenz. Gerade bin ich von einer Dienstreise zurück gekommen, auf der ich die Gelegenheit hatte, eine Delegation der Luftwaffe nach Israel zu begleiten. Dort gab es eine gemeinsame Übung zwischen acht Ländern. Die Generale der deutschen und der israelischen Luftwaffe sind dabei gemeinsam in ihren Fighter-Jets über den Knesset geflogen. Solche Momente sind unglaublich.

kreuzer: Wozu braucht es überhaupt die verschiedenen Seelsorger in der Bundeswehr?

Balla: Man muss die Möglichkeit herstellen, dass die Soldaten zu dem Seelsorger gehen, dem sie sich am nächsten fühlen. Wer das ist, das ist ihre eigene Wahl. Es gibt auch Soldaten aus anderen Glaubensrichtungen, die sich bei einem Seelsorger einer anderen Konfession am wohlsten fühlen. Wir betreiben ja keine Missionarstätigkeit in der Bundeswehr. Es kann also sein, dass ich als muslimischer Soldat das Gefühl habe, dass mich ein jüdischer Seelsorger am besten versteht. Das ist bei mir schon vorgekommen. Ich kann vielleicht, weil die jüdische und die muslimische Kultur sehr viele Berührungspunkte haben, dessen Probleme als orthodoxer Rabbiner besser verstehen als ein Seelsorger einer christlichen Konfession.

kreuzer: Einen Militärimam gibt es bei der Bundeswehr ja auch nicht, obwohl die Anzahl an Muslimen in der Bundeswehr sehr viel größer zu sein scheint als die der Juden und Jüdinnen.

Balla: Ja, Leider. Das hat aber technische Gründe. Obwohl die jüdische Gemeinde viel kleiner ist, ist sie besser organisiert und unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland zusammengefasst. Wir sprechen also mit einer Stimme und sind zentral repräsentiert. Das ist bei der muslimischen Gemeinde leider nicht der Fall. Ein weiteres Problem ist, dass die staatlich anerkannte Ausbildung von Imamen in Deutschland noch nicht so verbreitet ist wie die Rabbinerausbildung. Ich hoffe aber sehr, dass es bald auch Militärimame geben wird. Der Bedarf besteht, denn es gibt zahlreiche muslimische Soldaten.

kreuzer: Welche Rolle spielt der interreligiöse Austausch in der Bundeswehr?

Balla: Es gibt viele unterschiedliche interreligiöse Initiativen, angefangen mit den interreligiösen Rüstzeiten. Die Teilnahme daran war auch meine erste Tätigkeit als Militärbundesrabbiner. Dort treffen Soldaten aus allen Konfessionsrichtungen aufeinander. Auch ein Imam hat daran teilgenommen. Das war ein sehr berührender Moment. Der interreligiöse Austausch ist sehr wichtig und muss weitergeführt werden.

kreuzer: In der Bundeswehr gibt es aber auch erhebliche Probleme mit rechten Tendenzen und sogar Rechtsextremismus. Wie gehen Sie das in ihrer Arbeit an?

Balla: Antisemitismus und rechte Tendenzen in der Bundeswehr sind selbstverständlich ein Problem. Gleichzeitig möchte ich nicht gegen etwas kämpfen, sondern für Verständigung eintreten. Ich bin für demokratische Werte. Es ist ja selbstverständlich, dass der freiwillige Wehrdienst Menschen mit rechten Tendenzen anzieht, egal in welchem Land. Die Disziplin, die Waffen – das ist für diese Menschen sehr attraktiv. In Deutschland wird besonders viel darüber berichtet. Das beruhigt mich eigentlich, denn das bedeutet ja, dass wir die Vorfälle thematisieren. Antisemitismus und Hass gegenüber Minderheiten ist etwas, was wir als Gesellschaft leider niemals eliminieren können. Wir können es nur mehr isolieren. Ein guter Weg ist, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen. Im Nationalsozialismus wurde den Wächtern in Konzentrationslagern beigebracht, den Gefangenen nicht in die Augen zu schauen, um das Menschliche nicht zu erkennen. Das ist etwas, was nicht nochmal passieren darf.

kreuzer: Wie kann man dem Antisemitismus in der Gesellschaft das Wasser abdrehen?

Balla: Darauf weiß ich alleine keine Antwort. Sonst hätte man sie in den letzten 80 Jahren schon beantwortet. Ich denke, der Grund, warum noch niemand ein Gegenmittel gefunden hat, ist, dass es kein Gegenmittel gibt. Wir können aber persönliche kleine Schritte gehen, um Tendenzen zu isolieren. Besonders die Jugendlichen, die auf der Kippe hin zur Radikalisierung sind, gilt es abzuholen. Wenn die merken, dass ich dieselben Werte teile wie sie und mich für die Streitkräfte einsetze, dann verstehen sie auch, dass antisemitische Parolen nicht wahr sind. Sie machen dann eigene Erfahrungen. Ich glaube das ist der richtige Weg und deshalb bin ich froh, diese Arbeit machen zu können.

kreuzer: Wie werden jüdische Soldaten und Soldatinnen in der Bundeswehr wahrgenommen?

Balla: Wenn ich einen Soldaten frage: Haben Sie schon mal einen Juden gesehen? Sagt dieser: Noch nie. Ich bin manchmal der erste Gesprächspartner, von dem sie auch wissen, dass er ein Jude ist. Durch diese Art von offenen Gesprächen über Herkunft und Konfession möchte ich die Atmosphäre in der Bundeswehr und auch in Deutschland verbessern.

kreuzer: Lassen sie uns kurz über den Vorfall im Westin-Hotel sprechen. Ist die Debatte über den Vorfall gut oder lenkt sie von den strukturellen Problemen ab?

Balla: Ich möchte mich nicht zu dem Vorfall an sich äußern. Ich weiß ja nicht genau was dort passiert ist. Viel interessanter sind die Kommentare in den sozialen Netzwerken. Die sind offen antisemitisch und damit auch sehr gefährlich. Darüber muss man sprechen. Aber wir als jüdische Gemeinde haben immer gut mit dem Westin zusammengearbeitet. Wir sitzen ja nur 60 Meter entfernt. Ich selbst habe dort oft in Kippa und mit anderen religiösen Gästen gesessen, Tee getrunken und keine schlechten Erfahrungen gemacht. Was nicht heißt, dass andere Menschen keine anderen Erfahrungen gemacht haben können.

kreuzer: Wie gehen sie mit den vielen Medienanfragen und allgemein der Aufmerksamkeit um ihre Person um?

Balla: Es war Gott sei Dank nur eine Welle in den ersten zwei Monaten und jetzt kann ich endlich richtig arbeiten. Ich habe nicht mehr täglich zwei oder drei Interviews. Das war zu viel. Auch wenn ich verstehe, dass wir das brauchen. Heutzutage leben wir in einer Zeit, in der Medienaufmerksamkeit viel bedeutet, aber ich versuche es zu vermeiden, dem selbst zu große Aufmerksamkeit zu schenken. Mir ist die persönliche Arbeit viel wichtiger als die Öffentlichkeit. Und dafür habe ich jetzt Gott sei Dank mehr Zeit.

INTERVIEW: TILL WIMMER


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