In den Filialen der »Effekt«-Gesellschaft, einem Leipziger Franchise des Pizzalieferkonzerns Dominos, geht es im Moment um nichts weniger als um die Frage nach der Freiheit, sich gewerkschaftlich zusammenschließen zu können.
Die Vorwürfe, die die anarchistische Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) gegen »Effekt« erhebt, wiegen schwer. Die Gewerkschafterinnen, die sich in einer Betriebsgruppe zusammengeschlossen haben, sprechen von Schikanen im Job-Alltag. Diese würden gezielt sie treffen, weil sie sich für die Einhaltung rechtlicher Standards einsetzten.
Von der Verletzung gesetzlicher Ruhezeiten und von Strafversetzung in andere Filialen ist die Rede, von Mobbing durch Storemanager und Geschäftsführung und willkürlichen Abmahnungen. Auch Fotos von Kundgebungen und Demonstrationen der FAU würden gesichtet werden, die Gewerkschafterinnen auf ihre mutmaßliche Teilnahme angesprochen. So sei Mascha gekündigt worden, nachdem sie auf die Teilnahme an einer Demonstration für bessere Arbeitsbedingungen im August angesprochen worden war. Sie möchte nicht mit richtigem Namen genannt werden. Das Kündigungsschreiben, das auf einen Tag nach der Demonstration datiert ist, liegt kreuzer vor.
Doch der FAU geht es laut eigenem Bekunden nicht nur um ihre Mitglieder. Sie prangern seit einem halben Jahr die Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen an. So würde »Effekt« etwa einen Teil des Trinkgeldes pauschal einbehalten, kritisieren sie. Damit würde das Unternehmen sogar den gesetzlichen Mindestlohn unterlaufen.
»Effekt« weist die Vorwürfe der Gewerkschaft zurück: »Es wird kein Geld einbehalten«, äußert sich die Geschäftsführerin Josephine Willing im Gespräch mit kreuzer. »Es kann sein, dass einzelne Storemanager eine Weihnachtskasse aufstellen«, sagt sie. Aber das wäre auf freiwilliger Basis. Dahinter stecke kein System. »Und, wir machen keine Schikane«, unterstreicht sie. Dass aber Fotos von Mitarbeiterinnen, die an Demonstrationen teilgenommen hatten, gesichtet wurden, bestätigt Willing am Telefon: »Ich habe Fotos im Internet gesehen. Bei einer Demo war ich direkt vor Ort und natürlich habe ich dort Mitarbeiter erkannt«, sagt sie. Entlassen habe sie aber niemanden, sie könne sich den Fall auch nicht erklären.
Bedingte Gesprächsbereitschaft
Trotz der scharfen Kritik sei man zu Gesprächen mit der anarchistischen Gewerkschaft bereit, sagt Willing. Auch Kathrin Rezac erklärt für den Hamburger Dachkonzern Dominos Pizza: Das Unternehmen sei gesprächsbereit, »sofern die FAU sich klar von sämtlichen Aktionen distanziert, die der gewaltsamen Durchsetzung von ihren Forderungen dienen, bestehende Gesetze verletzen oder Mitarbeiter und deren Gesundheit gefährden«.
Konkret geht es um Sachbeschädigungen an einem Store im Leipziger Westen. Dort waren im Juni und August Scheiben beschädigt worden. Die Polizei ermittelt in beiden Fällen. Der Pressesprecher der Betriebsgruppe, Aaron, der nur mit Vornamen genannt werden möchte, dementiert, dass die Gewerkschaft etwas damit zu tun hätte: »Es ist nicht in unserem Interesse, dass unser Arbeitsplatz Schaden nimmt. Wir wollen ja gerade bessere Bedingungen und dass unsere Rechte respektiert werden«, entgegnet er.
Das sieht Willing anders: Die Art und Weise, wie die FAU arbeitet, zerstöre das Betriebsklima, findet sie. Bei ihr würden sich Mitarbeiterinnen melden, die sich vom Vorgehen der Gewerkschaft eingeschüchtert fühlten. Was genau vorgefallen sei, will sie nicht sagen. Das sei nicht ihre Art, mit Konflikten umzugehen, erklärt Willing am Telefon.
Das stellt sich für Aaron ganz anders dar: »Mir ist kein Store bekannt, wo sich Leute durch uns eingeschüchtert fühlen.« Ihm zufolge sei es umgekehrt: »Die Art, wie die Geschäftsführung mit dem Konflikt umgeht, sorgt dafür, dass die Betriebsgruppe zunehmend Unterstützung im Betrieb erhält«, erklärt er. »Dass sich aber die Storemanager eingeschüchtert fühlen, kann ich mir vorstellen, weil sie verantwortlich sind.«
Gewerkschaftsarbeit strukturell erschwert
Zumindest hier scheinen sich Willing und Aaron einig zu sein. Die Geschäftsführerin betont, dass sie die konkreten Abläufe in den Stores nicht steuere. Etwa auf die Verteilung des Trinkgeldes nehme die Geschäftsführung keinen Einfluss. »Wie das im einzelnen Store umgesetzt wird, wissen wir nicht«, erklärt sie. Es könne schon sein, dass da Sachen nicht rund laufen, sagt Willing. »Wir haben viele neue Führungsoffiziere«, wie sie die Storemanager nennt. Eine Bezeichnung, die auf die straffen Hierarchien im Militär- und Geheimdienstwesen verweist.
Diese Art und Weise, Betrieb zu führen, ist tief in die Franchise-Struktur von Dominos eingeschrieben. Sie genießt erhebliche Vorteile gegenüber Großkonzernen, die sich oft im Mikromanagement zu verlieren drohen. »Die Franchise-Partnerinnen kümmern sich eigenverantwortlich um die Ausgestaltung ihrer Beschäftigungsverhältnisse«, heißt es aus der Hamburger Firmenzentrale. Zugleich betont Willing: »Wir sind sehr an die Zentrale in Hamburg gehalten.« Für Arbeiterinnen bleibt so oft unklar, wer für die Arbeitsbedingungen letztlich verantwortlich ist. Im Zweifel wird auf die Storemanager verwiesen.
So wird gewerkschaftliche Arbeit strukturell erschwert. Neben starken Fluktuationen in der Belegschaft sind dies entscheidende Gründe dafür, warum etablierte Gewerkschaftsverbände wie die DGB-Mitgliedsgewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in diesem Feld kaum vertreten sind. Sie hält aber eine gemeinsame Organisierung in der Branche für absolut notwendig.
Informelle Unterstützung der Gewerkschaft
Auf Anfrage teilt NGG mit, dass es zwar keinen direkten Austausch mit der FAU gebe. »Aber es gibt Kontakt zwischen Einzelpersonen. Einzelne in der NGG organisierte Kollegen von Lieferando haben an Demonstrationen der Betriebsgruppe teilgenommen«, schreibt Anja Kräupl für die Gewerkschaft. Mit Blick auf das Vorgehen von »Effekt« unterstreicht sie: »Wir verurteilen jegliche Form von Union Busting.«
Der Sprecher der Leipziger Betriebsgruppe Aaron bestätigt zwar einen informellen Austausch zwischen einzelnen FAU-Mitgliedern und NGG-Kolleginnen. Aktiv sei die DGB-Gewerkschaft aber nicht geworden. Das Unternehmen muss also die anarchistische Gewerkschaft als einzige Verhandlungspartnerin anerkennen: »Wenn wir sie nicht anerkennen würden, hätten wir uns nicht mit ihnen getroffen«, erklärt Willing.
Einer Betriebsratsgründung würde das Unternehmen nicht im Wege stehen, sagt sie. Das könne sie rechtlich auch gar nicht. Es wäre ihr sogar »lieber, es gebe einen Betriebsrat, als das, was gerade ist«. Mit der Frage hätte sich die Geschäftsführung aber nicht aktiv auseinandergesetzt. Gerade stünden andere Dinge an. Die Befriedung des aktuellen Arbeitskampfes etwa.
Mit welchen Mitteln das Unternehmen das machen wird, will die Geschäftsführerin von »Effekt« noch nicht sagen. Der Store, in dem der Konflikt begonnen hatte, wurde mittlerweile geschlossen. Das hat laut Geschäftsführung nicht direkt etwas mit der FAU zu tun. Aber die Stimmung in dem Store sei zu schlecht geworden. »Das Wichtigste ist, dass die Leute Spaß haben«, unterstreicht Willing. Und vielleicht ist auch nicht unwichtig, dass das Unternehmen Profite macht. Das wird durch die gewerkschaftliche Arbeit der FAU wohl erschwert.
FELIX SASSMANNSHAUSEN