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Kultur

Zwei Jahre Einsamkeit

Das Theaterstück »Architekture of Separation« untersucht unterschiedliche Erfahrungen während der Pandemie

  Zwei Jahre Einsamkeit | Das Theaterstück »Architekture of Separation« untersucht unterschiedliche Erfahrungen während der Pandemie

Die Performance des Dresdner Ensembles feierte am 3. Dezember Premiere und ist als Livestream erneut am 8. und am 11. Dezember zu sehen.

Jeder Zentimeter des WG-Zimmers wurde bereits abgeschritten, kein Wohnungswinkel blieb verborgen. In den letzten Monaten sind die eigenen oder geteilten vier Wände immer näher gerückt. Menschen in Isolation übertraten tagelang die Schwelle ihrer Haustür nicht. Andere arbeiteten Doppelschichten – ohne die Möglichkeit, sich vor ihren Erlebnissen ins Private zurückzuziehen. Die Ordnung des alltäglichen Lebens zerriss im Modus des »new normal«. Neue Routinen mussten erfunden, Habit-Tracker heruntergeladen werden, um es in schrumpfenden Zimmern mit sich selbst auszuhalten.

In »Architecture of Separation« verdichtet sich die langsam verrinnende Zeit in fünf Möbelhaus-Stillleben, die je eine tanzende Person mit Bewegung füllt. Balanceakte auf Stühlen, ausladende Dehnübungen und die ständige Neuordnung des Interieurs vermessen den Container-Raum und tasten entlang der metallenen Wände die beschränkten Möglichkeiten ab. Amy Schönheit, Emily ShawRuss und Charles Washington entwickelten diese choreografierte Meditation über die erzwungene Langeweile für den digitalen Raum. Die Zuschauenden entscheiden in der 360-Grad Aufnahme, auf welchen intimen Lebensausschnitt sie ihren Blick richten möchten.

Olimpia Scardi, eine inzwischen über 60-jährige Choreographin und Tänzerin, dekonstruiert in ihrer Miniatur alltägliche Bewegungen. Der Gang vom Stuhl zum Kleiderhaken – nur eine Lampe und eine Pflanze befinden sich sonst im eng begrenzten Raum – lässt das Laufen zu einem befremdlichen Vorgang werden. Mit gekrümmten Knien probiert sie das absurde Bewegungsmuster und versetzt es mit einigen Tanzschritten. Die euphorische Hektik wird von Posen unterbrochen: Scardi liegt auf dem Boden, krümmt sich über dem Stuhl und versteckt sich hinter der Garderobe. So dringt in die freudige Geschäftigkeit Schwere und Einsamkeit, die sich mit den eingespielten Erinnerungen verbindet.

Vor einem Jahr wurden Tonspuren aufgenommen, in denen fünf Personen über die Pandemie reflektieren. Sie berichten von gefüllten Notaufnahmen, Einsamkeit und der nagenden Ungewissheit. Die individuellen Erinnerungen stammen von Menschen, deren verschiedene Privilegien im Vergleich hart hervortreten. Während eine gut situierte Frau über die Selbstfindungsqualitäten eines Lockdowns nachsinnt, schildert eine Krankenschwester das tägliche Sterben. Vermittlung oder Kommentar der Zeugnisse bleibt den Zuschauenden überlassen, im Tanzstück stehen sie als Einzelne nebeneinander.

Die Möglichkeit der Wiederannäherung ist das Fragezeichen am Ende der Produktion. Aus den Öffnungen der Frachtcontainer treten die vormals Getrennten auf einen gemeinsamen Platz. Sie beginnen umeinanderzulaufen. Auf einen Blickkontakt folgt ein gestreifter Arm. Erste, beiläufige Berührungen geschehen und intensivieren sich. Die Kameraperspektive bringt das Publikum unter die Nähe suchenden Tänzerinnen, die sich zunehmend aufeinander stützen und Vertrauen in der gemeinsamen Bewegung aufbauen. Das zeitgenössische Dresdner Tanzstück versucht sich so an der Aufhebung des Paradox, dass die geteilte Erfahrung der Trennung das Bindeglied der vergangenen Monate ist.

LARA WENZEL


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