anzeige
anzeige
Kinder & Familie

Freiräume schaffen

Der »Frei Day« soll Kinder zum Handeln ermutigen

  Freiräume schaffen | Der »Frei Day« soll Kinder zum Handeln ermutigen

Die Beschwerden über das Bildungssystem reißen nicht ab. Veraltete Lehrinhalte, stockende Digitalisierung, frustrierte Schüler – die Liste der Probleme ist lang. Das weiß auch Margret Rasfeld. Die ehemalige Rektorin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum kämpft seit vielen Jahren für eine Neuausrichtung der deutschen Bildungslandschaft. Von Leipzig aus bewirbt sie den »Frei Day«. »In unseren Lehrplänen sind die aktuellen Herausforderungen wie die Biodiversität oder die Klimakrise noch nicht zentral verankert, genauso wenig wie viele andere hochbrisante Themen, die die Kinder beschäftigen«, erzählt sie dem kreuzer. »Gleichzeitig wissen wir aus der Forschung, dass Wissen alleine mitnichten ausreicht, vor allem junge Menschen brauchen Selbstwirksamkeitserfahrungen, um sich etwas zuzutrauen, Hoffnung und Zuversicht zu haben. Sie brauchen die Erfahrung, ich kann etwas tun, ich kann wirksam sein, dafür benötigen sie Freiräume zum Handeln.« Um solche Räume strukturell an den Schulen zu verankern, wie es auch der 2017 verabschiedete »Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE) fordert, hat Rasfeld ein eigenes Unterrichtsformat entwickelt – den »Frei Day«.

Die Idee dahinter erklärt sie so: »Geplant sind vier Stunden jede Woche, an denen die Kinder und Jugendlichen ihre Themen aus dem Pool der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele wählen. Sie finden sich in Interessengruppen zusammen – die einen interessieren sich vielleicht für Wildbienen, die anderen für Solarenergie. In einem ersten Schritt eignen sie sich Wissen zu ihrem Thema an. Wichtig ist dann, dass sie dieses Wissen in einem zweiten Schritt umsetzen in Handeln, etwa indem sie andere Menschen aufklären, Projekte planen, aktiv werden.«

Von Leipzig aus reist Rasfeld seit Monaten durchs Land, um den »Frei Day« bekannter zu machen, und stößt dabei auf hohe Resonanz. Achtzig Bildungseinrichtungen haben das Format bereits übernommen, darunter die Kurt-Masur-Schule in Leipzig. »Wir sind auf dem Weg zum ›Frei Day‹, so lautet das dieses Schuljahr«, erzählt Ko-Rektorin Christiane Dubiel am Telefon. Noch setzen sich die Klassen an ihrer Schule unterschiedlich intensiv mit dem neuen Angebot auseinander. Besonders aktiv sind die Schüler der dritten Jahrgangsstufe. »Dort haben wir Studierende dazugenommen, eine ›Frei Day Lounge‹ eröffnet, in der die Kinder Literatur zu Nachhaltigkeitsthemen finden können, und ein digitales Zimmer geschaffen, in dem sie sich austauschen können«, sagt Dubiel.

Auch konkrete Aktionen gab es schon. So hat die Klasse einen Kühlschrank in die Loggia gestellt. »Die Schülerinnen haben überlegt, wie man Dinge besser einsortiert, damit sie sich länger halten«, erzählt Dubiel. In der 4c wiederum verkauften Kinder Spielzeug, das sie nicht mehr benötigten, auf dem Feinkostflohmarkt und spendeten anschließend 900 Euro an die Aktion »Weihnachten im Schuhkarton«, nachdem sie sich zuvor mit dem Nachhaltigkeitsziel »Weniger Ungleichheit« beschäftigt hatten.

Für Dubiel und ihre Kolleginnen birgt der »Frei Day« Herausforderungen. »Wir denken ja gerne, die Kinder brauchen unsere Aufgaben, um sich weiterzuentwickeln. Dieser Perspektivwechsel, dass die Kinder von sich aus ihre Schwerpunkte finden und sich daran weiterentwickeln, das sind wir nicht gewohnt«, sagt sie, »aber viele brennen dafür und dieses Brennen ist ansteckend.«

Margret Rasfeld erklärt den Erfolg ihrer Idee mit deren relativ leichter Umsetzbarkeit. »Das ist was Kleineres, wofür du nicht die gesamte Schule umstellen musst«, sagt sie. Mit ihrer Initiative unterstützt Rasfeld auch sogenannte Zukunftsschulen, die innovative Ansätze wie den »Frei Day« im großen Rahmen ausprobieren, Laboratorien für ein neue Art der Bildung sein möchten.

»Ich glaube, es bewegt sich gerade vieles, auch weil die Krisen uns näherrücken und bei unseren Kindern große Ängste auslösen«, so Rasfeld. Bis 2025 wollen sie und ihr Team 13.500 Schulen überzeugen, beim »Frei Day« einzusteigen. Auch in Leipzig wollen der Kurt-Masur-Schule bald weitere folgen.

JOSEF BRAUN

Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe 12/21 des kreuzer.


Kommentieren


0 Kommentar(e)