Musikerin Öznur kam 1984 in Istanbul auf die Welt. Sie studierte Türkische Musik am Staatskonservatorium der Fırat-Universität in Elazığ und arbeitete als Musiklehrerin. Seit 2018 wohnt sie in Leipzig. Im November brachte Öznur ihre EP »İz« heraus, was »Die Spur« bedeutet. Im kreuzer-Interview erzählt sie von ihren Inspirationen, kollektiven Schicksalen und dem Leben in Leipzig.
kreuzer: Wie begann Ihre Karriere?
Öznur: Ich wünschte mir schon immer ein Leben voller Musik. Auch meine Familie legte großen Wert darauf. Durch die politischen Strukturen, in denen sich meine Familie bewegte, kam ich mit einer politischen Band in Kontakt, mit der ich dann sieben Jahre sang. Nach dem Studium machte ich Musik mit meinem Mann und meinen Freundinnen. Das versuche ich jetzt in Leipzig fortzuführen. Hier lernte ich den Verein Küko Leipzig kennen (s. kreuzer 11/2020, Anm. d. Red.). Ich bin auch Teil der Band Küko Sound, deren musikalische Richtung man als anatolischen Rock, Pop und Jazz beschreiben könnte.
kreuzer: Was brachte Sie nach Leipzig?
Öznur: Während meines Studiums wurde ich aufgrund von Aktionen wie der Teilnahme an Demonstrationen der Studierendenbewegung mehrfach in Gewahrsam genommen und verklagt. Manche Prozesse gegen mich laufen bis heute. Die Konsequenzen meines politischen Engagements waren allerdings nicht das einzige Problem, das wir dort hatten.
kreuzer: Wie meinen Sie das?
Öznur: Menschen können ihre Identität, Religion und Kultur nicht selbst bestimmen. Vielmehr werden wir in eine Zugehörigkeit hineingeboren. Ist das Glück oder Pech? Aufgrund der politischen Missstände in der Türkei ist es leider viel eher Pech, als alevitische Kurdin auf die Welt zu kommen, weil das Diskriminierung bedeutet. Sie existieren außerhalb der Norm, werden als »die Andere« markiert. Selbst wenn Sie keine andere Hautfarbe haben, haben Sie einen anderen Glauben, eine andere Kultur. Ich wurde selbst als Grundschülerin diskriminiert und später bei der Arbeitssuche auch. Zum Beispiel wurde ich nicht als Musiklehrerin zugelassen, weil auf meinem Personalausweis die kurdische Stadt Tunceli als Geburtsort steht. Das markierte mich. Die späteren Klagen waren eine Fortführung derselben Diskriminierung.
kreuzer: Wie würden Sie die Richtung Ihrer EP »İz« beschreiben?
Öznur: Das ist unser erstes Album. Auch wenn es sich offiziell um mein Soloalbum handelt, ist diese EP das Ergebnis einer kollektiven Arbeit. Wir wollten die Musikrichtung nicht festlegen, sondern experimentieren. Auf der EP befindet sich ein Song auf Kurdisch, der dem Jazz-Genre zuzuschreiben ist. Ein anderer kann als symphonischer Rock bezeichnet werden. Pop und anatolischen Rock bedienen wir ebenfalls. Letzterer trägt Spuren von Musikerinnen, die wir schätzen, zum Beispiel Cem Karaca, Selda Bağcan und Tülay German. Auch wenn es nicht allzu viele Song sind, bietet die EP eine Vielfalt.
kreuzer: Der Song auf Kurdisch ist George Floyd gewidmet …
Öznur: Richtig. Die Tötung George Floyds hinterließ Spuren im Gedächtnis aller. Sie ist kein singuläres Ereignis, sondern die Reflexion des rassistischen Systems. Ungefähr zur gleichen Zeit wie die Tötung von George Floyd wurden in Istanbul die Leichname von kurdischen Jugendlichen aufgefunden. Diese waren in Kisten unter einem Bürgersteig begraben, anstatt dass die Körper ihren Familien übergeben wurden. In Kisten, wie Gegenstände. Diese Parallelität, das gemeinsame Schicksal der Schwarzen US-Amerikanerinnen und Kurdinnen, mit einem Song auf Kurdisch sichtbar zu machen, war uns wichtig.
kreuzer: Wie erleben Sie Leipzig?
Öznur: Zuerst hatten wir Sorgen. Wir wurden von der Ausländerbehörde nach Leipzig versetzt und kannten hier niemanden. Aber rasch konnten wir wertvolle Freundschaften knüpfen. Wir lernten Leipzig sehr zu schätzen. Unser Freund Christian Walter unterstützt uns als lokaler und internationaler Musiker. Auch weitere Freundinnen unterstützten die Entstehung der EP enorm. Ihnen möchte ich meinen Dank aussprechen. Dem Küko Leipzig ebenso, durch den wir uns hier gut vernetzen konnten.
kreuzer: Welche Zukunftspläne haben Sie?
Öznur: Erst die Sprachbarriere ganz loswerden. Danach möchte ich auch hier als Musiklehrerin arbeiten, meinen Studienabschluss anerkennen lassen oder eine Ausbildung dranhängen. Außerdem möchte ich weiterhin Songs aufnehmen, auftreten, an internationalen Musikprojekten teilnehmen.
INTERVIEW UND ÜBERSETZUNG VON SIBEL SCHICK
Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe 12/21 des kreuzer.