An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Januar-Ausgabe. Chefredakteurin Juliane Streich schwelgt darin in Erinnerungen an ihre Anfangszeit in Leipzig und gibt einen Einblick in die Titelgeschichte des Hefts.
Vor genau 15 Jahren bin ich nach Leipzig gezogen. Im Januar 2007 landete ich in einem WG-Zimmer (7,5 Quadratmeter, 80 Euro), das zwar laut Stadtplan noch in der Südvorstadt lag, aber nur eine Steinwurflänge entfernt von Connewitz. Und damit von einem Ort der Möglichkeiten, den mein von der Kulturlandschaft Berlins verwöhntes Ich nicht erwartet hatte. Abendgestaltungen noch und nöcher boten sich dar – und alle fußläufig zu erreichen. Im Conne Island, UT Connewitz, Werk 2, Ilses Erika spielten Bands, die ich liebte, und Bands, die ich danach lieben würde, in der Frau Krause gabs Bier, Käse und Rauch, überhaupt wurde überall geraucht wie verrückt, die Kneipen trugen Namen wie Könich Heinz, Goldfish oder Waldfrieden, es gab richtig gutes veganes Essen (Zest) und neben all dem versteckten sich noch die ganzen Läden, die lieber nicht im kreuzer auftauchen wollten, mit ihren Ladyfesten, Voküs, Punkkonzerten, Diskussionsrunden, Demo-Trainings, Lesungen, linken Bibliotheken, feministischen Zirkeln, queeren Galas und was weiß ich nicht alles.
15 Jahre später ist vieles davon erfreulicherweise immer noch da, einiges leider verschwunden. Das Lazy Dog ist drei Mal umgezogen, Kippen gibts beim Schwan, auf dem Biergarten vom Black Label steht jetzt ein teures Haus, auf dem Keller für illegale Technopartys auch. Das Graffito »No Cops« wurde entfernt und wieder rangesprüht und entfernt und wieder rangesprüht… und ziert inzwischen T-Shirts. Der Rewe ist schicker geworden, der Kiez auch, Stadthäuser wurden gebaut und beschmiert. Alte linke Männer erklären gerne und zu oft, wie es früher war und wie es heute sein sollte. Junge linke Männer schlagen gerne und zu oft zu. Linke Frauen machen gerne und zu selten Stress. Und ich wollte längst woanders wohnen: erst im Westen, dann im Osten, weil es dort jetzt wilder ist, billiger und nicht so weiß. Aber ich bin immer noch hier, still loving CNNWTZ.
Er würde gerne in Connewitz sterben, erzählt Autor Alex Pehlemann am Telefon. Warum er hier vor allem aber gerne lebt und wie er die Subkultur als Fan und Macher mitgestaltet, hat er für uns aufgeschrieben. Was soll das eigentlich sein: linke Subkultur? Dieser Frage geht Deborah Weber nach und landet auch in anderen Stadtteilen. Zu Connewitz haben ja alle was zu sagen. Sogar die entfernten Verwandten aus dem Erzgebirge, die sich gern mal aufregen über »die gefährliche Eisenbahnstraße in Connewitz« und damit den Wahrheitsgehalt der medialen Außenwirkung des »Krawall-Bezirks« ganz gut zusammenfassen. Wir haben dagegen bei denen nachgefragt, die die Szene hier besser kennen, und feiern den 30. Geburtstag des Conne Island (happy, happy birthday und herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle!) Und während wir uns hier noch so unsere Gedanken machen, brennt es in Connewitz schon wieder. Aber anders, als die erzgebirgische Verwandtschaft denken mag. Bei der Vergebung war ein Feuer, in dieser seltsamen, liebenswerten Kneipe mit Katze, Aschenbechern und Abendbrot, von der man hofft, dass sie Corona übersteht. Die Solidarität ist groß, auch als sich herausstellt, dass es vor allem das Hinterhaus erwischt hat (geben Sie aber ruhig noch was, die Paypal-Aktion heißt »Spenden für Vergebung«, das kann nicht falsch sein). Und das bleibt in Connewitz das Tolle: Solidarität wird großgeschrieben (auch an Häuserwänden)!
Es steht aber noch so viel mehr in diesem ersten Heft des Jahres, das leider wieder nur wenige Veranstaltungen ankündigen kann in diesem dunklen und an Veranstaltungen sowieso schon armen Monat. Gehen Sie trotzdem raus!
Frohes Neues und heiter weiter
Juliane Streich