Sportvereine Sachsens sind geschlossen, gesportelt wird höchstens noch im Zoom-Meeting. Wie kommen die Vereine durch den Teillockdown? Eine Hochschulsport-Trainerin und ein Vereinsvorstand berichten.
Beim Wort »Wellenbrecher« dachte man früher noch an aufschäumende Gischt und salzige Meeresluft. Inzwischen steht der Begriff maßgeblich für die deutsche Corona-Politik. In der Rede von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am 19. November fiel das Wort mehrfach: Vor knapp einem Monat verkündete der sächsische Ministerpräsident die neuen Maßnahmen für sächsische Sportvereine. Schließen, lautete die Devise. »Breitensport ist nur als Vereinssport für Kinder unter 16 Jahren zulässig«, steht seitdem auf der offiziellen Website zum Coronavirus in Sachsen.
»Ganz ehrlich: Für uns ist das gerade wieder der Horror«, gesteht René Rößler. Er ist Vorsitzender des Leipziger Sportvereins Aktive Senioren. Seit 1991 gibt es den Verein, der für Menschen über 50 der Größte im ganzen Bundesland ist. Neben etwa 60 Sportangeboten bietet der Verein auch Kultur an, veranstaltet gesellschaftspolitische Vorträge oder historische Lesungen, Englischangebote oder Gedächtnistraining. Mit den Kulturangeboten ist seit einem knappen Monat Schluss, mit den meisten Sportkursen ebenfalls – nur Rehasport darf als »medizinisch notwendige Maßnahme« noch eingeschränkt stattfinden. Schon im vergangenen Jahr habe der lange Lockdown den Verein hart getroffen. Dass nun wieder alles von vorne losgeht, fühle sich an wie ein »Nackenschlag«, so bezeichnet es Rößler. Bei der Frage, ob die Sommermonate genug Erholungszeit bieten konnten, schüttelt er vehement den Kopf. »Wir bräuchten sicherlich noch zwei Jahre, um wieder die alte Mitgliederstärke zu erreichen«, schätzt Rößler. Daher haben die neuen Regelungen den Verein kalt erwischt: »Wir waren vorbereitet, hatten ausgefeilte Hygienerichtlinien und Einbahnstraßensysteme. Wir haben uns Gedanken gemacht, sodass alles unter 2G reibungslos läuft.« Dass dann einfach so abrupte Schließungen verordnet wurden, sei für den Verein ein »Schock« gewesen, »nicht nachvollziehbar«, so Rößler. »Zu 20. dürfen wir uns privat treffen, aber unter kontrollierten Bedingungen mit zwölf Leuten, Masken und Abständen nicht?«, hatte sich Rößler gefragt.
Die eine Seite sei das Finanzielle: Die sieben hauptamtlichen Mitarbeiter müssen schließlich bezahlt werden, dazu kommen Fixkosten wie Raummiete. Doch zum Glück habe das Leipziger Sozialamt sie nicht hängen lassen, nach einigen zähen bürokratischen Anträgen kamen die ersten finanziellen Hilfen. »Ansonsten haben uns glücklicherweise unsere Mitglieder am Leben gehalten«, erzählt Rößler dankbar: 80 Prozent der knapp 900 Mitglieder blieben dem Verein treu. Doch diese Mitglieder sind der zweite, viel ernstere Grund für Rößlers Frust: Viele der alten Leute seien durch die Lockdown-Monate in sozialer Isolation versunken, erzählt er. Nach den harten Wintermonaten habe er einige Leute kaum noch erkannt, Demenz und körperlicher Abbau waren rasch fortgeschritten, »manche waren erschreckend zusammengefallen und auch geistig kaum wiederzuerkennen«, sagt Rößler. Der Verein versucht, dem entgegenzuwirken und bietet Telefongespräche und offene Ohren an. »Eher psychologischer Beistand« sei das momentan, erzählt Rößler. Online-Sport hätten sie zwar versucht, aber erfolglos: »Bei 70- oder 80-Jährigen wird das äußerst schwierig. Dafür muss man erstmal digitale Medien nutzen können«, sagt Rößler.
Auch für Olha Lopez Usuga kam die Entscheidung Ende November überraschend. Als Trainerin im Leipziger Hochschulsport gibt sie Zumba-Kurse: Tanzen zu Latino-Musik. Wenn sie über die Maßnahmen spricht, sprüht Optimismus aus ihren Worten: »Ich bevorzuge auch Sportkurse in Präsenz, aber bevor es ganz ausfällt, ist online zumindest eine Möglichkeit.« An besagtem Novemberwochenende ging alles relativ schnell: Auf die ersten Infomails der Universität folgten direkt die neue Online-Sport-Angebote. »Die Struktur dafür wurde ja schon beim ersten Lockdown organisiert – ich schätze, daher ging’s diesmal so schnell«, mutmaßt die Sporttrainerin. Für technisches Equipment, ausreichend Platz und gutes Internet musste Lopez selbst sorgen, den Zoom-Account stellt das Zentrum für Hochschulsport. Auch ansonsten empfand sie die Kommunikation als recht einfach und unkompliziert: Sie erhielt die Zoom-Daten und verschickte die erste Einladungsmail an den Kurs; »vamos a bailar«, stand darin, und: »Ich freu mich auf euch«. Vergleichbar mit der normalen Teilnehmerzahl sei die Präsenz der Online-Kurse jedoch längst nicht, beim Tanzen vor dem Computer seien deutlich weniger Leute dabei. Dennoch sind für die Trainerin selbst die Online-Kurse kein Weltuntergang: Sie hat ihre Zumba-Karriere tatsächlich in Lockdown-Zeiten gestartet – da war nicht viel mit »real-life-Training«. Zunächst lief alles über private Kurse, mit Freunden und auf Spendenbasis. Als sich Lockdown und Frühsommer zum Ende neigten, begann sie mit ersten richtigen Kursen, übernahm Vertretungen in Fitnessstudios und den Hochschulsportkurs. Ironischerweise hat sie sich fürs Zumba entschieden, um nicht 40 Stunden pro Woche vorm Bildschirm zu verbringen – »hat gut geklappt«, sagt sie lachend angesichts der aktuellen Online-Lage.
Wie es sich anfühlt, vor schwarzen Zoom-Kacheln herumzutanzen statt in der Halle? »Klar macht das einen großen Unterschied«, sagt die Zumba-Trainerin schulterzuckend. »Im Präsenz-Kurs hast du die Leute da, kannst Gesichter sehen und die Energien wahrnehmen. Ich merke viel mehr, ob mir jemand einschläft, als durch den Computer«. Sie habe auch das Gefühl, in »echt« mehr aus sich rauszuholen, die Motivation aus den Menschen neben sich zu ziehen. Über angeschaltete Kameras freut sie sich jedes Mal – »dann weiß ich, ich tanz gerade nicht allein«, lächelt sie. Doch oft mache die Internetverbindung einen Strich durch die Rechnung: »Bei Zumba ist das krass, wenn das Bild nur zwei Sekunden stoppt. Dann ist die Musik verschoben, der Rhythmus kaputt, das verwirrt einen unheimlich«, berichtet sie. Hauptsache also stabiles WLAN. Doch der Online-Sport birgt auch Schlimmeres als nervige Internetprobleme: Lopez berichtet von einem Vorfall, als mitten in der Zumba-Session eine Kamera anging und ein nackter Mann zum Vorschein kam, vermutlich unter falschem Profil eingeloggt. Das Meeting musste sie erstmal abbrechen. »Das war schon krass, solche Geschichten passieren nicht in real life«, erzählt sie mit gerunzelter Stirn.
Ihr Fazit: Online-Sport kann gut funktionieren – wenn das technische Know-How vorhanden ist, bei Trainern wie Schülerinnen. Der Vergleich zwischen Jung und Alt zeigt: Digitale Möglichkeiten sind in pandemischen Zeiten ein Segen – doch die Bildschirmbarriere ist hoch. Leute, denen das technische Equipment oder schlicht die digitalen Fähigkeiten fehlen, fallen durch das Raster. Lopez empfiehlt dabei, in den Austausch zu gehen, sich gegenseitig technische Tipps zu geben und notfalls einfach per Handy ins Meeting zu schalten, egal ob verwackelt oder nicht – »es geht ja um den Spaß!«
DEBORAH WEBER