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Stadtleben

»Gegen wen lehnt man sich eigentlich noch auf?«

Autoren von »The Great Connewitz Swindle« im Interview

  »Gegen wen lehnt man sich eigentlich noch auf?« | Autoren von »The Great Connewitz Swindle« im Interview

»The Great Connewitz Swindle« heißt eine Broschüre des Roten Salons, eines Diskussionszirkels aus dem Conne Island. Darin nehmen die Autoren, die sich seit Jahrzehnten mit dem Stadtteil beschäftigen, den Mythos Connewitz auseinander. Wir haben sie gefragt, was das soll und wie sie die linke Subkultur und Szene in Leipzig wahrnehmen.

kreuzer: Unter dem Titel »Für immer Punk möchte ich sein« habt ihr mit dem Roten Salon schon 2015 gefragt: Braucht es noch linke Zentren? Wie fällt heute eure Antwort aus? Braucht es sie noch?

Marcel: Eine wichtige Antwort, die wir auch schon damals formulierten: Es gibt jetzt hier in Leipzig die Notwendigkeit für so eine Subkultur nicht mehr so massiv wie zum Beispiel Anfang der neunziger Jahre.

Philipp: Zugespitzt könnte man sagen, dass die Zeit das Conne Island überholt hat. Von uns hat niemand was gegen Jugendzentren. Wir waren selber mal jung, und es gibt nichts Schöneres – so ist meine Erfahrung –, als sich als Jugendlicher einen Freiraum zu erobern, nicht gegängelt zu werden und sich gemeinsam mit anderen für seine Interessen einzusetzen. Und wenn das dann noch mit Musik einhergeht wie im Fall vom Conne Island, kann das sehr viel Spaß machen. Aber heute sind wir skeptischer, ob das jetzt ein linkes Jugendzentrum sein muss. Die Kämpfe, die das Conne Island am Anfang führen musste – abgesehen davon, dass es auch damals schon Aufgeschlossenheit vonseiten der Stadt gab –, muss man heute nicht mehr führen. Die Stadt ist linker denn je, pluraler denn je. Man hat das uneingeschränkte Wohlwollen der Verwaltung. Gegen wen lehnt man sich hier eigentlich noch auf? Was formuliert man an linker Gesellschaftskritik? Man sieht ja auch, dass das Island in den letzten 10, 15 Jahren an politischer Bedeutung verloren hat. Was jetzt gar kein Vorwurf ist. Die linken Gruppen sind abgewandert, zum einen, weil das Conne Island selber praktisch keine Politik mehr gemacht hat. Zum anderen wegen der Pluralisierung der Stadt. Andere Stadtteile sind viel interessanter.

kreuzer: Auf die Frage, gegen wen man sich noch auflehnen kann, muss man vielleicht nicht nur in die Stadt schauen, die sich weltoffen und gegen rechts gibt. Aber wenn man vom Conne Island nur wenige Kilometer fährt, ist man im tiefsten Sachsen, wo man mehr als genug findet, gegen das man sich auflehnen könnte. Reicht das nicht als Berechtigung?

Philipp: Was die Situation auf dem Land oder in der Provinz betrifft: auf jeden Fall. Da sieht die Lage natürlich anders aus. Nicht nur, dass man es dort mit Hardcore-Nazis zu tun hat, die man auch aus den neunziger Jahren noch kennt, sondern weil sich da auch ganz schnell unheimliche Allianzen bilden, zwischen AfD oder irgendwelchen kommunalen Bürgervereinigungen, die dann mit der CDU zusammengehen.

kreuzer: Offensichtlich bräuchte man linke Zentren in Grimma dringender als in Connewitz. Aber das bedeutet ja nicht, dass sie hier keine Berechtigung mehr haben. Denn es kommen auch Leute aus Grimma her und politisieren sich.

Marcel: In der Provinz in Sachsen ist es scheiße. Das ist definitiv so. Deshalb kommen Leute, die einigermaßen aufgeschlossen sind, in die Stadt. Und die ziehen vielleicht nach Connewitz und gehen ins Island und so entsteht dann mitunter eine selbstgenügsame Atmosphäre, in der man dann wiederum auf die Provinz blickt und sagt: Oh, wie schlimm ist es dort! Aber jeder und jede Einzelne hat ja am Ende sozusagen mitgeholfen, dass die Provinz so ist, indem sie oder er in die Stadt gezogen ist. Das wollen wir natürlich niemandem vorhalten, denn so, wie die Zustände dort sind, will man zu Recht weg. Und dann ist es gut, wenn hier in Leipzig Freiräume existieren. Aber so bleibt dieses Ungleichgewicht auch weiter bestehen.

Cover
Cover: Roter Salon

kreuzer: Ihr schreibt in eurem Text »The Great Connewitz Swindle«, dass Militanz und Gewalt das »letzte Alleinstellungsmerkmal« seien, das »nur noch der Herausstellung der eigenen Radikalität« diene, da der Großteil der Gesellschaft sich in Sachen Antifaschismus, Feminismus, Diversity etc. einig ist.

Marcel: Ja. Als aktuelles Beispiel: Die neue Bundesinnenministerin, die auf einen CSU-Innenminister gefolgt ist, der tatsächlich linke Kritik verdient hatte, sagt zu ihrer Amtseinführung: Das größte Problem in Deutschland ist der Rechtsextremismus. Wenn das sogar unsere Innenministerin sagt, was sollen dann linke Zentren fordern? Wenn man aus der Gesellschaft keinen Gegenwind mehr bekommt, weil die Forderungen schon übernommen wurden, wählen die Leute Mittel, um sich tatsächlich noch zu unterscheiden. Und das macht Gewalt als Alleinstellungsmerkmal so attraktiv.

kreuzer: Michael Kretschmer hat auch schon mal gesagt, dass der Rechtsextremismus das größte Problem ist – und der bietet weiterhin sehr viel Angriffsfläche für linke Kritik.

Philipp: Ja, vielleicht kann man das nicht so eins zu eins runterbrechen. Aber wir sehen eine historische Entwicklung. Und anders als in den neunziger Jahren, vor allem seit dem Antifasommer 2000, hat Antifaschismus einen neuen Stellenwert, viele wichtige Initiativen und Projekte werden staatlich gefördert. Und das hat tatsächlich etwas verändert. Unseres Erachtens besteht die Neonazibedrohung nicht mehr in dieser Form. Um es auf den Punkt zu bringen: Es gab und gibt eine Entwicklung, und die muss man bei dem, was man für Antifaschismus hält, mit einbeziehen. Dass die Linke sich biografisch-generationell bedingt alle paar Jahre austauscht und dann keine eigene Anschauung von den Zuständen in den neunziger Jahren mehr hat, trägt zu mangelnder Urteilskraft über den gegenwärtigen Grad der Bedrohung sicher bei.

kreuzer: Wenn ihr die Entwicklung einbezieht, wie sollte eine linke Subkultur heute aussehen?

Philipp: Schwierige Frage. Was mir aufstößt, ist dieser verbale Radikalismus und dass man praktisch mit staatlichen Stellen in keinster Weise was zu tun haben will. Eine Einladung des Oberbürgermeisters an Connewitzer Gruppen vor anderthalb Jahren, um über den Stadtteil zu sprechen, wurde ausgeschlagen. Das Erste, was den Leuten, die in Connewitz aktiv sind, dazu einfiel, war: Nein, da gehen wir nicht hin! Sie schreckten aufgrund der eigenen Radikalität davor zurück, Politik zu machen. Aber wenn Gentrifizierung das Problem ist – das im Übrigen hochgradig komplex ist und dem man mit eingeschmissenen Fensterscheiben und Demos nicht beikommen wird –, müsste man in dem Fall nicht versuchen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, und sich im Viertel umgucken, was es hier für Kräfte gibt, mit denen man klassische Bündnispolitik machen könnte? Ich glaube, es gibt gerade in Connewitz und der Südvorstadt ein Milieu, das über diese klassischen Scherbendemos hinaus ansprechbar ist, wenn es darum geht, als Stadtteil praktisch Einfluss zu nehmen auf Entscheidungen, die die Stadtpolitik in z. B. Gentrifizierungsfragen trifft. Aber das passiert nicht. Diese Erweiterung des eigenen politischen Raums gibt es nicht, stattdessen gibt man sich radikal und bleibt unter sich.

kreuzer: Das sind Fragen, die in der linken Szene schon immer verhandelt wurden. Gewalt – ja oder nein? Und wenn ja, wann und gegen wen? Mit dem »Establishment« zusammenarbeiten – ja oder nein? Und da die Szene sehr heterogen ist, finden da die verschiedenen Leute auch verschiedene Antworten drauf. Hat sich die linke Szene in Connewitz aber generell verändert?

Marcel: Ich habe das Gefühl, dass solche Debatten, wie es sie jetzt nach unserer Broschüre gab, wo man sich im Conne Island trifft, zu einem Thema Input holt und dann kontrovers diskutiert, weniger geworden sind. Das war in den 2000er Jahren oder bis in die frühen 2010er Jahre anders. Was der Grund ist, weiß ich nicht so richtig. Vielleicht hat das mit neuen Formen des Austauschs, der Erfahrung von Social Media und Filterbubbles zu tun.

Philipp: Die Szene selbst hat sich wahnsinnig verändert. Die war früher viel kleiner und eigentlich auf einen Stadtteil beschränkt. Da diskutierte man natürlich viel häufiger miteinander, auch wenn man sich nicht mochte. Aber als der Leipziger Westen und dann der Osten als attraktive Viertel dazukamen, lösten sich diese Zusammenhänge auf. Und auch, dass es keine übergreifende Szenezeitschrift mehr gibt, ist der Diskussionskultur sicher nicht gerade zuträglich.

kreuzer: Ist das ein Problem, dass die Szene größer geworden ist als in den Neunzigern und sich mehr über die Stadt verteilt hat? Oder ist das nicht eigentlich gut? Kriegt man so nicht mehr Diversität, mehr Vielfalt in diese Szene rein?

Marcel: Es sollte eigentlich so sein. Aber ich habe das Gefühl, dass trotzdem mögliche Debatten eher selten ausgefochten werden. Da, wo Pluralisierung herrscht, herrscht auch eine gewisse Beliebigkeit. Es fehlt der Anreiz, sich mit anderen Gruppen auseinanderzusetzen, weil man sich irgendwie selbst genügt.

kreuzer: Ihr schreibt in eurer Broschüre: Es gab noch nie mehr Freiraum in Leipzig. Da würden wohl viele Menschen sofort widersprechen.

Philipp: Das bezog sich ganz konkret auf das Bündnis »Soziale Kampfbaustelle Connewitz«, das sich im September 2020 gegründet hatte und die These vertrat: Die Faschisierung der Gesellschaft steht bevor. Wo man sich fragte, mit welchen Begriffen wird denn hier gearbeitet? Das andere zentrale Argument war, dass die Freiräume immer kleiner werden. Also dass staatlicherseits alles darangesetzt würde, linke Politik zu beschneiden. Im Vergleich zu den neunziger Jahren ist die Alternativkultur in Leipzig jedoch geradezu explodiert. Linke oder links angehauchte Kneipen, Clubs, Projekte, Galerien, was weiß ich, finden sich heute in jedem Stadtteil. Wer so etwas auf die Beine stellen will, kann das realisieren. Ich glaube, es gibt diese Freiräume, in denen man sich ausprobieren kann, noch. Auch der Umgang mit dem Gelände des ehemaligen Black Triangle scheint der These, dass der Staat die Freiräume einschränkt, zu widersprechen: Dort plant die Stadt ein alternatives Kulturzentrum. Und Gentrifizierung wird oft nicht als gesellschaftliches Problem reflektiert, sondern kriegt immer so eine persönliche oder personalisierte Note, indem sie auf die Investoren reduziert wird, die irgendwie so frech wären, zu den Hausbesetzern in der Ludwigstraße zu sagen: Das ist nicht euer Haus!

kreuzer: Das ist sehr optimistisch betrachtet. Es mussten gerade in den letzten Jahren viele Orte schließen, ob Four Rooms, So&So, Westwerk … Sollte man dagegen nicht protestieren, anstatt es einfach hinzunehmen? Und der Protest richtet sich dann natürlich auch gegen Investoren und Immobilienbesitzer.

Philipp: Na ja, was heißt einfach hinnehmen? Ich glaube, es ist der Lauf der Zeit: Linke Zentren sind Vorreiter, machen die Viertel attraktiv für Investoren, und dann fallen sie hinten runter. Das ist das Los der Gentrifizierung. Wenn, dann hat die Stadt das Problem zu spät erkannt. Die war froh, dass Leipzig wächst und der Bevölkerungsrückgang der neunziger Jahre überwunden ist. Und dann hat sie zu spät gesehen, welche Probleme damit einhergehen, und zu spät auf die Bremse getreten. Aber das ist doch nicht den Investoren anzulasten.

kreuzer: Auch im größeren Bild zeigt sich, dass Proteste durchaus was bringen können.

Marcel: Definitiv. Das zeigt sich aktuell ja auch beim Gleisdreieck, das es nur so geben wird, weil die Leute vom Black Triangle da waren. Ja, es braucht den Protest. Aber es braucht dann auch Leute, die die Stadt in die Pflicht nehmen. Da gibt es im Stadtrat genügend Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, die solche Sachen jetzt wissen. Die erinnern sich, dass die Kommune Häuser privatisiert hat, als Leipzig Schulden hatte und das Geld brauchte. Dass jetzt aber, wo mehr Leute kommen und der Wohnraum knapp wird, die Stadt das irgendwie wieder rückgängig machen muss. Leute, die sagen: Wir können nicht mehr Häuser verkaufen, sondern die Stadt muss wieder als Eigentümerin auftreten, um sowohl sozialverträgliches Wohnen als auch Kultur zu ermöglichen. Aber es gibt in der Stadt – bis zu Burkhard Jung selbst – ein ziemlich großes Bewusstsein dafür.

kreuzer: Zurück nach Connewitz. Ihr habt den »Mythos Connewitz« ausführlich auseinandergenommen. Dennoch bleibt die Frage: Waren nicht die Schlachten hier erfolgreich? Sind sie am Ende nicht der Grund, wieso hier alle so entspannt und nazifrei abhängen können?

Marcel: Nehmen wir die große Straßenschlacht 1992: Am Ende der DDR war Connewitz ein Abrissbezirk, gleichzeitig zogen dort Leute hin, weil sie da schwarz wohnen durften. Es gab unklare Besitzverhältnisse. Der Stadtteil bot Freiraum, sowohl zum Wohnen als auch für Kultur. Und dann gab es diese Straßenschlacht, die nur sehr entfernt mit diesen Themen zu tun hatte, aber es entwickelte sich der Mythos, dass genau sie es war, die dazu geführt hat, dass Connewitz auch weiterhin ein Freiraum blieb, der billigen, guten Wohnraum und Projekten ein Zuhause bietet. Aber in dem Text zeigen wir, dass es eben nicht diese Straßenschlacht war, sondern dass es schon damals vonseiten der Stadt eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Leuten gab, die in Connewitz gewohnt und alternative Projekte entwickelt haben. Aus verschiedenen Gründen: Man war froh, dass das Viertel nicht weiter verfallen ist. Man wollte auch nach den Erfahrungen der DDR und der Gängelung so etwas wie freie Entfaltung ermöglichen. Kurz gesagt: Auch Anfang der Neunziger gab es Unterstützung, wenn sich das in gewissen rechtlichen Bahnen bewegt hat. Und unsere Schlussfolgerung ist: Die Leute haben auf das falsche Pferd gesetzt, indem sie auf Krawall gesetzt haben. Sie hätten die ausgestreckten Hände, die es schon damals gab, viel offensiver ergreifen sollen.

Philipp: In der Broschüre selbst wird ja Gewalt nur in einem Aspekt für berechtigt erklärt: um Naziangriffe zurückzuschlagen. Und wir stellen nicht in Abrede – das wissen wir auch aus eigener Erfahrung –, dass ein Grund, warum es Connewitz, so wie es heute ist, überhaupt gibt, lautet: Weil man die Nazis damals zurückgeschlagen hat. Aber dieser Ruf, der Connewitz vorauseilt, dass die Stadt sich gesagt hat: Okay, hier können wir nicht so schalten und walten, wie wir wollen, weil es dann Ärger gibt, das wird überschätzt. Ausschlaggebender war das Wohlwollen. Und heute braucht es diese Gewaltandrohung erst recht nicht mehr, weil die Stadt weiß, was sie an den Linken und an der linken Alternativkultur hat.


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