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Stadtleben

Sechs Jahre später

Weiterer Prozess zum Neonazi-Angriff auf Connewitz beginnt

  Sechs Jahre später | Weiterer Prozess zum Neonazi-Angriff auf Connewitz beginnt

Im Amtsgericht Leipzig hat heute der Prozess gegen den ehemaligen Justizbeamten Kersten H. begonnen, ein Urteil gibt es noch nicht. Kersten H. wird als Teil des Neonazi Angriffs auf Connewitz wegen Landfriedensbruch angeklagt. Am Freitag soll der Prozess fortgesetzt werden, mehr als sechs Jahre nach der Tat.

»Justizvollzugsbeamter, suspendiert«, antwortet Kersten H. auf die Frage der Richterin nach seinem Berufsstand. Das ist vor allem eine interessante Aussage vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Verfahren wegen des Neonazi-Angriffs auf Connewitz 2016 handelt. Kersten H. war Teil dieses Angriffs, arbeitete danach jedoch noch drei weitere Jahre als sächsischer Justizvollzugsbeamter, kreuzer berichtete.

Vor drei Jahren wurde der Prozess gegen ihn zum ersten Mal angesetzt. Dieser wurde zunächst verschoben, beim zweiten Termin kam Kersten H. nicht, weil er an Magendarm erkrankt sei, der dritte Termin fiel ebenfalls aus. Die Leipziger Gruppe Rassismus tötet! kritisiert bei einer Kundgebung vor dem Prozess die Dauer der Verfahren gegen die Neonazis. »Wahrscheinlich wäre das verschleppte Verfahren gegen den Justizbeamten in einem funktionierenden Rechtsstaat ein bundesweiter Skandal, aber im Freistaat Sachsen mit den bekannten ‚sächsischen Verhältnissen‘, schaut kaum noch wer auf den Umgang der Behörden zum Neonazi-Angriff in Leipzig-Connewitz«, sagt Hannes Heinze in einer Pressemitteilung. Heute, mehr als sechs Jahre nach dem Angriff, erscheint Kersten H. beim Amtsgericht und der Prozess beginnt.

Bevor die Richterin Bilstein den Prozess überhaupt anfangen konnte, gab es schon die erste Nachfrage des Rechtsanwalts von Kersten H., Helmut-Hartwig Heuer. Er will wissen, ob er ohne Maske sprechen dürfe, die Antwort darauf kommt sehr entschieden und lautete: »Nein, können Sie nicht.« Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Maskenpflicht Thema im Gerichtssaal ist.

Zu Beginn wird die Anklageschrift verlesen. Kersten H. wird vorgeworfen, er hätte sich vor sechs Jahren mit anderen Rechtsextremen versammelt, um dann gemeinsam den Stadtteil Connewitz anzugreifen. 25 Bars und Wohnungen seien zerstört worden, heißt es in der Anklageschrift, dort wird von 113.000 Euro Schadenhöhe gesprochen. Ungefähr fünf Minuten lang zählt die Richterin alle einzelnen Schäden auf und wie hoch diese jeweils angesetzt sind. Zum Schluss der Verlesung wird der Tatbestand genannt: Es geht um schweren Landfriedensbruch.

Kersten H. ist anwesend, sitzt den ganzen Prozess über unverändert auf seinem Stuhl, die Arme auf den Lehnen. Angaben möchte er keine machen. Nachdem ein paar Fragen geklärt sind, wird der erste Zeuge hereingerufen, Mathias K. Genau wie die anderen drei geladenen Zeugen ist er Polizeibeamter und war bei dem Angriff auf Connewitz im Dienst. Er wird gebeten, die Geschehnisse aus seiner Perspektive wiederzugeben. Dazu ergänzt die Richterin: »Wenn Sie sich an etwas nicht mehr erinnern sollten, machen sie das bitte deutlich. Es ist ja schließlich lange her.«

Mathias K. schildert, genau wie seine Kollegen nach ihm, ausführlich, wie er den Angriff damals erlebt hat. Gewisse Elemente tauchen immer wieder auf: Es spielte sich um das Connewitzer Kreuz ab, es gab Pyrotechnik, es war eine geschlossene Gruppe von über 200 Menschen, überwiegend schwarz gekleidet und bewaffnet. Nach den Ausführungen stellt die Richterin jedes Mal ähnliche Fragen an die Zeugen. »Würden Sie die Personenmenge als eine gemeinsame Gruppe beschreiben, die sich gemeinsam bewegt hat?«, »Gab es Leute, die vereinzelt aus der Gruppe herausgetreten sind?« und, was ein zentraler Teil des Prozesses zu sein scheint: »Gab es die Möglichkeit, zu sagen, dass man aus Versehen dort war und nicht Teil des Angriffs war?« All diese Fragen werden mit Ja beantwortet, nacheinander, von allen befragten Zeugen.

Nachdem Mathias K. den Raum verlassen hat, meldet sich erneut Rechtsanwalt Heuer zu Wort. Die Maske würde ihn in seiner Arbeit behindern und er würde jetzt einen Antrag aufschreiben. Die Richterin liest vor, was er ihr überreicht, es ist ein Antrag darauf, die Maske abzunehmen. Dazu sagt Heuer: »Das ist jetzt wahrscheinlich wieder Verschwörungstheorie, aber meine persönliche Meinung: Die bringen nichts!« Bilstein, sichtlich genervt von dem Antrag, weist diesen ab mit der Begründung, dass sie es zumutbar fände, die Maske eine Stunde lang zu tragen, das würde er ja beim Einkaufen auch tun. Heuers Antwort: »Die Belehrung brauchen Sie mir nicht erteilen, ich gehe nicht mit Maske einkaufen.«

Danach werden die restlichen Zeugen einzeln hereingebeten und erläutern ebenfalls aus ihrer Sicht, wie sie den Tag vor über sechs Jahren wahrgenommen haben. Es werden Details geklärt zur Dauer des Abtransports der Neonazis, zu den Waffen und Sturmhauben, die festgestellt wurden und zu den Anwohnerinnen, die sich im Stadtteil aufgehalten haben. Nach den Zeugenaussagen geht das Gericht über zur Sichtung von Videoaufnahmen, die für den Prozess gegen Kersten H. relevant sein könnten. Die Richterin möchte vor allem ein ganz bestimmtes sehen, das nach der Festsetzung der Neonazis im Polizeikessel aufgenommen sein soll. Nach mehreren Versuchen des Justizbeamten wird jedoch klar, dass das Video gerade nicht gefunden werden kann. Bilstein nimmt aber die wichtigste Information vorweg: Sie konnte Kersten H. bei ihrer Sichtung der Beweisvideos nicht darauf erkennen.

Am 4. Februar wird der Prozess fortgesetzt. Dann wird Rechtsanwalt Heuer sein Plädoyer halten und das fehlende Video gezeigt. Die Richterin beendet die Sitzung mit dem Hinweis, dass Kersten H. auch an diesem Tag zu erscheinen habe. Ob dann ein Urteil gefällt werden kann, ist noch nicht klar.


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