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Stadtleben

Überfall auf Connewitz: Urteil im Fall Karsten H. gefällt

Ehemaliger Justizvollzugsbeamter zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt

  Überfall auf Connewitz: Urteil im Fall Karsten H. gefällt | Ehemaliger Justizvollzugsbeamter zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt

Der ehemalige Justizvollzugsbeamte Kersten H. wurde heute vom Amtsgericht Leipzig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Er stand vor Gericht, weil er Teil des Neonazi-Angriffs auf Connewitz vor sechs Jahren war.

Der zweite Prozesstag geht weitaus schneller vorbei als der erste am Dienstag. Nach weniger als anderthalb Stunden steht das Urteil fest: Der ehemalige Justizvollzugsbeamte Kersten H. wird wegen schweren Landfriedensbruchs schuldig gesprochen. Er erhält eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die auf Bewährung ausgesetzt wird.

Zu Beginn werden noch die fehlenden Videoaufnahmen gesichtet, die am ersten Prozesstag nicht gefunden werden konnten. Richterin Bilstein hat dafür einen eigenen Laptop dabei, auf dem sich der Angeklagte, sein Anwalt und die Staatsanwaltschaft die Beweisvideos anschauen können. Neue Erkenntnisse werden dadurch jedoch nicht gewonnen, wie die Richterin am Dienstag bereits ankündigte, sei Kersten H. nicht darauf zu erkennen. Die Beweisaufnahme wird geschlossen und die Staatsanwaltschaft hält ihr Plädoyer.

Für die Staatsanwaltschaft sei nicht nur klar, dass am 11. Januar 2016 ein schwerer Landfriedensbruch stattgefunden hat, sondern auch, dass Kersten H. Teil der »homogenen, schwarz gekleideten Masse« war, die an diesem Tag den Stadtteil Connewitz angriff.

Seine ID-Behandlung würde klar zeigen, dass er dort festgesetzt wurde und es gebe keinen anderen ersichtlichen Grund, warum er sonst zufällig dort gewesen sein könnte. Dazu passe sein Erscheinungsbild an dem Tag zu dem der Gruppe: Er war schwarz gekleidet. Kersten H. habe einen funktionellen Beitrag zur Tat geleistet und diese sei »offensichtlich geplant gewesen«, sagt Staatsanwältin Sandra Daute. Außerdem habe er genug Chancen gehabt, zu äußern, dass er nur zufällig dort gewesen sei und bei dieser Gruppe an Neonazis hätte »jeder normale Mensch das Weite gesucht«. Zum Abschluss des Plädoyers spricht sich Daute für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung aus. Dazu ergänzt sie: »Würden wir nicht sechs Jahre später verhandeln, würde ich mich nicht für eine Bewährung aussprechen.«

Der Rechtsanwalt des Angeklagten, Helmut-Hartwig Heuer, hält ebenfalls sein Plädoyer, in dem er die meisten Argumente der Staatsanwaltschaft anzweifelt. Daher beantrage er einen Freispruch seines Mandanten.

In ihrer Urteilsverkündung führt sie die Argumente der Staatsanwaltschaft verkürzt erneut auf und betont, sie hätte keinerlei Zweifel und sei sich »absolut sicher«, dass der Angeklagte Teil der Gruppe war und sich damit des schweren Landfriedensbruchs schuldig gemacht habe. 

Zu Kersten H.'s Gunsten wurde ihm sein Prozessverhalten angerechnet. Dass er erlaubt habe, dass Anwohnerinnen als Zeugen im Prozess aussagen dürfen, sei ihm positiv zugutegekommen. Unter anderem aufgrund einer »positiven Sozialprognose« sei die Strafe für Kersten H. auf Bewährung ausgesetzt, außerdem müsse er 3.000 Euro an das Deutsche Rote Kreuz Berlin zahlen und die Prozesskosten tragen.

Auch die Richterin wiederholt, was die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer geäußert hat: Wäre die Tat nicht schon vor sechs Jahren gewesen, wäre die Strafe höher. Laut BGH-Beschluss ist es nämlich unter anderem relevant, wie lang der Zeitraum zwischen der Tat und dem Urteil ist. Je länger der Zeitraum, desto mehr nimmt das Strafbedürfnis ab, wegen der »konkreten Belastung« für den Angeklagten. 

Zuletzt wurde kritisiert, dass die Verfahren gegen die über 200 Neonazis schon viel zu lange andauern würden und »verschleppt« würden, unter anderem von der Linke-Abgeordneten Jule Nagel: »Die Prozesse schleppen sich weiter dahin, obwohl sie sich durch die gängigen Verfahrensabsprachen massiv verkürzt haben. Es bleibt der bittere Eindruck, dass die Justiz wenig Interesse daran hat, das Kartell des Schweigens zu durchbrechen. Das beschädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat.«

Das heutige Urteil reiht sich hinsichtlich der Härte in die bisherigen Urteile ein. Gegen die bisher verurteilten Neonazis wurden Strafen von maximal zwei Jahren Freiheitsentzug verhängt, die alle zur Bewährung ausgesetzt wurden.

 

Titelbild: Tim Pawletta


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