Das Erörterungsverfahren zum Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle soll ausschließlich online stattfinden. Eine Bürgerinitiative wirft der Landesdirektion vor, den gesellschaftlichen Unmut über die Baupläne so abbügeln zu wollen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Kritikerinnen des Großprojekts in ihren Anliegen übergangen fühlen.
Die Nachricht kam als schnöde Pressemitteilung der sächsischen Landesdirektion daher. »Vom 21. März bis zum 20. Mai 2022 erhalten alle bisher am Verfahren Beteiligten erneut Gelegenheit, ihre Standpunkte im Rahmen einer Online-Konsultation vorzutragen«, verkündete die Behörde Ende Januar. Es ist der nächste Schritt im Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Frachtflughafen Leipzig/Halle, das nun seit mittlerweile knapp zwei Jahren läuft. Geht es nach der Flughafengesellschaft, soll das Vorfeld der Start- und Landebahn Süd erweitert werden. Dadurch würden 36 neue Stellplätze für Frachtflugzeuge entstehen, was wiederum deutlich mehr Flüge am Leipziger Airport ermöglichen würde. Maßgeblich davon profitieren könnte DHL. Schon jetzt betreibt der Logistikriese am Leipziger Flughafen das größte seiner weltweit drei Frachtdrehkreuze. Die Erweiterung sei trotzdem nötig, um dem »Wachstum des Expressfrachtumschlages gerecht werden zu können«, teilt die Flughafengesellschaft auf ihrer Website mit.
Zahlreiche Bürgerinnen haben Einspruch gegen das Vorhaben eingelegt. Über 8.000 Einwendungen gingen bei der Landesdirektion ein. Hauptbefürchtung vieler Anwohner, aber auch zahlreicher Städte und Kommunen ist, dass mehr Starts und Landungen eine hohe zusätzliche Lärm- und Feinstaubbelastung zur Folge hätten. Für das nun anstehende Erörterungsverfahren sollen die Planunterlagen sowie die Reaktionen der Flughafengesellschaft auf die Einwendungen in ein Online-Portal eingepflegt werden. All diejenigen, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, sollen Zugang zu diesem Portal erhalten und sich dort oder auch schriftlich gegenüber der Landesdirektion bis zum 20. Mai zu den Stellungnahmen des Flughafens äußern können.
Dass dieser nächste Schritt im Online- und nicht im Präsenzformat angegangen wird, macht die Gegner des geplanten Ausbaus wütend. »Ein absolutes Unding«, findet Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative Gegen die neue Flugroute. »Das ist nichts weiter als ein Versuch, den Protest gegen den Flughafenausbau abzubügeln«, sagt er. Er argumentiert, dass sich eine Auseinandersetzung über den heimischen Laptop viel einfacher und bequemer aushalten lasse als in Präsenz. Außerdem fehle einer Online-Veranstaltung die öffentliche Wirksamkeit. Ein solches Format könne in den Augen von Zimmermann ein sinnvolles zusätzliches Instrument sein: »Aber nur für diejenigen, die nicht zu einer Präsenzveranstaltung gehen können.«
Betrachtet man die jüngste Entscheidung der Landesdirektion isoliert vom bisherigen Planfeststellungsverfahren, erscheint sie durchaus nachvollziehbar. Die Gründe dafür, die für März geplante Präsenzveranstaltung abzusagen, liegen vor allem in der unberechenbaren pandemischen Dynamik, teilt die Behörde dem kreuzer auf Anfrage mit. So sei zum Zeitpunkt der Entscheidung im Dezember 2021 keine belastbare Prognose möglich gewesen, wie sich die Situation bis Ende März dieses Jahrs entwickeln würde. Bei einer Online-Veranstaltung sei dagegen garantiert, »dass durch eine Verfahrensbeteiligung niemand sich oder andere gefährdet«. Weiter schreibt die Landesdirektion, eine Präsenzveranstaltung würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. So oder so hätte die Behörde »alle im Anhörungsverfahren fristgerecht erhobenen Einwendungen mit gleicher Sorgfalt zu prüfen und rechtlich zu bewerten.«
Ein »demokratisches Desaster«?
Doch es braucht nicht viel, um zu erkennen, dass es bei dieser Debatte um weit mehr geht als nur um die Frage nach der Austragungsform einer Veranstaltung. Es sind eine Reihe solcher scheinbar kleinen Formalien, die bei vielen Ausbaugegnern zunehmend den Eindruck erhärten lassen, Bürgerbeteiligung sei in der Flughafen-Causa unerwünscht. Matthias Zimmermann bezeichnet das gesamte Planfeststellungsverfahren mittlerweile als »demokratisches Desaster«. Der jüngste Zwist um die Erörterung ist nur die Spitze des Eisbergs.
Im Gespräch mit dem kreuzer macht der 68-Jährige seinem Ärger Luft, redet sich am Telefon geradezu in Rage, als er die Chronologie dieses »Desasters« skizziert: »Mitarbeit und Einspruchmöglichkeiten seitens der Bevölkerung waren von Anfang an nicht so gegeben, wie man sich das vorstellt. Das geht damit los, dass es keine ordentlichen Informationsveranstaltungen gab, wo sich der Bürger mal sachkundig machen konnte.« Im Januar 2020 versuchte sich die Flughafengesellschaft zwar gleich doppelt daran, Flughafen, DHL und Anwohnerinnen zusammenzubringen, scheiterte jedoch krachend. Zimmermann erinnert sich: Stehtische habe es gegeben, dezentrale Stationen mit Häppchen und Kaffee. Alles, nur kein Podium und keinen Raum für Diskussionen. Aus Protest verließen viele Bürger beide Veranstaltungen frühzeitig.
Zimmermann lebt selbst in Lützschena-Stahmeln, keine drei Kilometer Luftlinie sind es von hier zum DHL-Hub. Der Flughafen und seine Auswirkungen auf die Anwohnerinnen sind im äußersten Nordwesten der Stadt ein omnipräsentes Thema. Steht der Wind schlecht, können einen die nächtlichen Starts- und Landungen gerne mal um den Schlaf bringen. Zimmermann war es daher besonders wichtig, dass Bürgerinnen der umliegenden Region wissen, was mit einem Ausbau des Frachtflughafens auf sie zukommen könnte. Und so nahmen Zimmermann und seine Mitstreiterinnen die Sache selbst in die Hand. Sie gründeten ein Aktionsbündnis, sprachen mit anderen Anwohnerinnen über die Ausbaupläne. Sie traten mit den umliegenden Städten und Kommunen in Kontakt und bündelten den Protest.
Als dann im Herbst 2020 der Planänderungsantrag auf den Tisch kam, in der die Flughafengesellschaft die Ausbaupläne konkretisierte, staunten die Kritiker nicht schlecht. Über 3.200 Seiten mussten Interessierte lesen und verstehen, um anschließend Einwendungen an die sächsische Landesdirektion übermitteln zu können. Drei Monate hatten sie dafür ursprünglich Zeit, später wurde die Einspruchsphase auf fünf Monate verlängert. Besonders die Komplexität des Antrages habe es zu einer Mammutaufgabe gemacht, Einspruch zu formulieren, erklärt Zimmermann: »Es gibt in den Unterlagen hunderte Flugrouten, die man betrachten muss, die nur mit Zahlen und Formeln beschrieben waren. Ein normaler Bürger findet sich da gar nicht durch.« Und so bildete seine Bürgerinitiative Arbeitsgruppen, die den Antrag aufbereiteten. Ob auch ohne diesen enormen Aufwand so viele Einwände bei der Landesdirektion eingegangen wären? »Davon gehe ich nicht aus«, meint Zimmermann.
Die Unterlagen sind jedoch nicht nur hochkomplex, sondern zum Teil auch unvollständig und fehlerhaft gewesen, was nicht nur eingefleischte Ausbaugegnerinnen, sondern auch mehrere Städte und Kommunen aus dem Umland kritisierten – darunter auch die Stadt Leipzig. In einer Stellungnahme von Januar 2021 schreibt die Stadt, der Antrag sei »inhaltlich derzeit nicht zustimmungsfähig«, wichtige Untersuchungen fehlten. Dies betreffe unter anderem die Themen Flug- und Bodenlärm, Klima, Umweltverträglichkeit und Verkehr. Außerdem appellierte sie an die Landesdirektion, das Beteiligungsverfahren auf Grund der Unzulänglichkeiten« zu wiederholen. Dieser Forderung wurde jedoch nicht nachgegangen.
Verhärtete Fronten
Die Landesdirektion hat eine andere Sicht auf die Dinge. Sie begrüßt zwar die zahlreich eingegangenen inhaltlichen Hinweise zu den Ausbauplänen: »Darin bildet sich das tatsächliche Ausmaß der Betroffenheiten ab«, teilt sie auf kreuzer-Anfrage mit. Die Kritik am Verfahren nennt die Behörde jedoch »unberechtigt«. Der Annahme, dass derart komplexe Anträge mit solch kurzer Einspruchsfrist per se ein Hindernis für faire Bürgerbeteiligung darstellen, widerspricht die Landesdirektion entschieden: Weder weise das Vorhaben zum Flughafenausbau Leipzig/Halle besondere Komplexität auf, noch seien die vorgelegten Unterlagen überdurchschnittlich umfangreich gewesen. Die Behörde verweist auf Planfeststellungsverfahren zu anderen Bauprojekte in der Vergangenheit, etwa der Erweiterung des Frankfurter Flughafens. Hier waren die Unterlagen mehr als sechsmal so umfangreich wie in Leipzig. Dass die Einspruchsphase verlängert wurde und die nun Erörterungsphase zwei Monate dauert, seien außerdem Maßnahmen, die deutlich über dem Regelfall liegen. Damit hätte man dem hohen Maß an persönlicher Betroffenheit Rechnung getragen, schreibt die Behörde. Eine Reaktion, die bei Kritikern des Verfahrens wohl kaum auf Verständnis stoßen dürfte.
Und noch einen Streitpunkt gibt es: Im Februar vergangenen Jahres übergab Zimmermanns Bürgerinitiative der Landesdirektion eine Petition, die sich gegen den Flughafenausbau richtet – der kreuzer berichtete. Knapp 11.000 Menschen unterstützen das Anliegen. Was ein Jahr später mit der Petition passiert ist, und welchen Einfluss diese auf das weitere Verfahren hat, weiß Zimmermann nicht. Weder die Landesdirektion noch Mitglieder des sächsischen Petitionsausschusses könnten darüber Auskunft geben, alle Anfragen seiner Bürgerinitiative liefen ins Leere. »Ich hätte nie gedacht, dass es da in Sachsen eine solche Intransparenz gibt«, beklagt Zimmermann. Auch gegenüber dem kreuzer wollte die Landesdirektion sich dazu nicht äußern, verwies auf ein »laufendes Verfahren«. Immerhin: Zeitnah soll es hinsichtlich der Flughafenpetition eine Anhörung geben, zu der auch die Petitionssteller geladen werden. Das teilte Christin Melcher, Leipziger Grünen-Abgeordnete im sächsischen Landtag und Mitglied des Petitionsausschusses, dem kreuzer auf Nachfrage mit.
Vorerst warten Zimmermann und seine Mitstreiterinnen gespannt, was die nächsten Verfahrensschritte in der Flughafen-Causa bringen. Die Hoffnung sterbe ja zuletzt, sagen sie. Doch viel davon scheint eh nicht mehr übrig zu sein: »Sollte die Erörterung nicht hybrid durchgeführt werden, ist es nur ein weiterer Versuch, unseren Protest zu dezentralisieren«, meint Zimmermann. Genau wie es im Januar 2020 die Flughafengesellschaft mit ihren Veranstaltungen versucht habe – mit bekanntem Ausgang. Und von der Reaktion des Flughafens erwartet sich Zimmermann sowieso nicht viel: »Eine wahre Fluglärm- und Feinstaubbegrenzung können sie nur erreichen, indem sie sich nicht erweitern. Und das wird der Flughafen nicht eingestehen wollen.«
LUKAS KALDENHOFF
Titelbild: Adobe Stock / Markus Mainka