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Stadtleben

Hanau: Erinnern heißt verändern

Leipziger gedenken den Opfern von Hanau

  Hanau: Erinnern heißt verändern | Leipziger gedenken den Opfern von Hanau

Vor zwei Jahren, am 19. Februar 2020, erschoss ein Rechtsterrorist in Hanau neun Menschen, dann seine Mutter und sich selbst. Bundesweit organisierten Migrantifa Gruppen am Samstagabend Gedenkveranstaltungen anlässlich des rassistischen Anschlages in Hanau. Auch in Leipzig kamen etwa tausend Menschen zusammen.  

Etwa fünfhundert Menschen sammelten sich am Samstag am Torgauer Platz, um lautstark mit einer Demonstration zu der Gedenkveranstaltung auf dem Markt zu laufen. Dort wuchs die Teilnehmerzahl auf gut tausend Menschen, die den Redebeiträgen der Migrantifa-Gruppe und weiteren Leipziger Initiativem, etwa der Gruppe »Catcalls of Leipzig« und dem Rojava Solidaritätsbündnis, lauschten. Zentrale Themen der Reden waren Rassismus und Rechtsextremismus. Vor den Bildern der Opfer wurden zum Abschluss der Kundgebung Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet.

Hanau

»Wer sich mit Hanau angelegt hat, hat sich mit der falschen Stadt angelegt« lautet es in einem online veröffentlichten Redebeitrag der Initiative 19. Februar. Unter dem Begriff Baseballschlägerjahre wird skizziert, wie sich in Ostdeutschland der Nachwendejahre die rechte Szene Straßen und Plätze aneignete. Zur gleichen Zeit betrieben im beschaulichen Hanau dagegen Linke das Kulturzentrum »Metzgerstraße«. Rund herum fassen Migrantinnen Fuß. Dönerläden, Billard Cafés und Sportstudios wie das »Budo Gym« entstehen. Städte wie Hanau, Offenbach und Frankfurt sind nicht nur durch den Main verbunden. Es entstehen bunte, kulturelle Netzwerke, Familien, Kinder – inzwischen in der zweiten und dritten Generation. Die Menschen wollen sich in Politik und gemeinschaftsbildende Initiativen einbringen. Aufgrund ihres Namens oder Aussehens werden sie weiterhin rassifiziert. Der andere Umgang zeichnet sich nicht nur in Schule und Studium ab, sondern auch bei der Vergabe von Miet- und Arbeitsverträgen – sowie bei den Sicherheitsbehörden.

Nach der verheerenden Tat von Hanau wurde bekannt, dass es Warnzeichen für die Gewaltbereitschaft des Täters gab. Trotz alarmierender Hinweise und des legalen Waffenbesitzes nahmen die Behörden die Bedrohung des Rechtsextremen nicht ernst. In einer frühen Phase der Ermittlungen versuchte das Bundeskriminalamt (BKA), den Täter aus einem größeren Muster rechtsextremer Gewalt herauszulösen und verwies auf seine psychische Krankheit. Erst später stellte BKA-Präsident Holger Münch klar, dass es sich bei dem Angriff »eindeutig um Rechtsextremismus« handelte.

Kein Einzelfall

Seit den 90ern erschüttern Anschläge und rassistische Morde das Land. Zwischen 2000 und 2007 verübte der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Morde an zehn Menschen. Die polizeilichen Ermittlungen konzentrierten sich anfangs ausschließlich auf die organisierte Kriminalität. Medien übernahmen den Begriff der »Dönermorde«. Im Juni 2019 tötete ein Neonazi Walter Lübcke, weil er die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin unterstützte. Im Oktober 2019 versuchte ein Rechtsextremist, einen Massenmord an Juden in einer Synagoge in Halle zu begehen und tötete zwei Menschen. Dann kam Hanau.

Erinnern heißt verändern

»So viele Mütter haben bis heute geweint, nicht nur ich« sagt Serpil Temiz Unvar in einer Videodokumentation der Rosa-Luxemburg Stiftung, die anlässlich des Jahrestages veröffentlicht wurde. Serpil verlor bei dem Anschlag ihren Sohn Ferhat. Sie gründete die Bildungsinitative Ferhat Unvar und setzt sich dort gemeinsam mit Jugendlichen gegen Rassismus ein. Serpils Worte im Kampf gegen Rassismus klingen unversöhnlich: »Denn das sind sie gewohnt. Dass wir getötet werden, dass wir weinen und dann vergessen werden. Diesmal nicht.«

Auch ein Vertreter der Migrantifa Leipzig, der anonym bleiben möchte, gibt sich kämpferisch. Für viele sei es keine Überraschung gewesen, dass der Täter von Hanau für seinen Anschlag eine Shisha-Bar wählte, sagt er. Shisha-Bars, Rückzugsorte für Migrantinnen, würden seit Jahren von Medien stigmatisiert, freundschaftliche und familiäre Verbindungen als »Clan«, und im Rahmen von Polizeieinsätzen als »Clan-Kriminalität« bezeichnet. Auch die Waffen-Verbotszone in der Eisenbahnstraße sei rassistisch motiviert, findet er. »Nach Hanau werden wir dem Rassismus entschiedener als zuvor begegnen«, konstatiert er gegenüber dem kreuzer.

In Erinnerung an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Kaloyan Velkov und Ferhat Unvar

Text und Foto: Marco Brás dos Santos


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