Die Gruppe Utopie und Praxis hat unter dem Namen »nine to five? – Perspektiven auf Arbeit« eine kritische Textsammlung veröffentlicht. Wer bei den hochgestochenen Aufsätzen von Adorno aussteigt, findet hier kurzweilige Texte zu dem Begriff Arbeit und zu vergangenen sowie gegenwärtigen Arbeitskämpfen, auch in Leipzig. kreuzer sprach mit den Herausgeberinnen.
kreuzer: Was wolltet ihr mit der Broschüre erreichen?
Else: Wir wollten es Leser*innen ermöglichen, ohne viel Vorwissen einen kritischen Blick auf den Begriff werfen zu können. Dazu mit verschiedenen Perspektiven, aus Alltagssituationen, auf Missstände hinweisen. Gleichzeitig aber auch mögliche Lösungen aufzeigen. Dazu haben wir uns tolle externe Autor*innen ins Boot geholt.
kreuzer: Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Oskar: In einem Beitrag interviewen wir einen Minijobber eines Lieferdienstes. Er erzählt vom skurrilen Zustandekommen des Vertrages, dem Arbeitsalltag mit seinem Elektrofahrrad, mitsamt der Unfallsituationen bis hin zum Ausstieg. Aber auch Solidarität unter Kolleginnen wird schön herausgearbeitet. Wenn zum Beispiel der Chef gegenüber weiblichen Angestellten übergriffig wird.
kreuzer: Sexismus scheint in vielen Beiträgen durch…
Else: Wir hätten das Thema gerne breiter aufgegriffen. In einem Text wird versucht, sich über eine Managerin dem sperrigen Begriff des materialistischen Feminismus zu nähern. Die Managerin hat zwar eine Top-Position, gleichwohl findet sich bei ihr Zuhause wahrscheinlich eine weiblich gelesene Haushälterin mit Migrationshintergrund. Mit dem Aufbruch von männlicher Macht als Herrschaftsprinzip hat das wenig zu tun.
Auch die permanenten Wechsel der Perspektiven fand ich spannend. Fährt man an den See, denkt man vielleicht an Arschbomben und nicht daran, dass hier tausende Arbeiter*innen in den Tagebauen arbeiteten und Treibstoff für die DDR schöpften.
Oskar: Und wie sie sich heute in den Hallen von Amazon wiederfinden. Das wurde in einem spannenden Text der Leipziger Gruppe Amici della Conricerca herausgearbeitet.
kreuzer: Die Texte sind auch eine bunte Reise durch die Geschichte.
Oskar: Dass der Begriff Arbeit auch im historischen Kontext betrachtet werden kann und muss, liegt auf der Hand. In der Broschüre wird das auch von Lothar Galow-Bergemann getan, welcher besonders auf die Schnittstelle von Antisemitismus und Arbeit eingeht. Er zeigt auf, wie Martin Luther die deutsche Arbeitsmoral prägte und wie diese einen entsetzlichen Höhepunkt im Vernichtungslager Auschwitz fand.
kreuzer: An einigen Stellen liest sich das schon wie eine Dystopie.
Oskar: Sonderlich positiv sehe ich die Entwicklung nicht.
Else: Ganz klar gibt es positive Impulse, die sich auch in der Praxis wiederfinden. Selbstorganisierte Gewerkschaften werden ebenso abgebildet wie Kollektive. Beispielsweise dem CAT Kurierkollektiv aus Halle, samt der solidarischen Netzwerke in dem Geschäftsbereich.
kreuzer: Wo sind die Broschüren erhältlich?
Oskar: Die erste Auflage war sehr schnell vergriffen, sodass wir die uns erreichenden, bundesweiten Anfragen leider nicht alle beantworten konnten.
Else: Vielleicht kümmern wir uns in Zukunft noch einmal intensiver um die Finanzierung eines Nachdrucks. Wir stecken ja auch alle in Jobs oder im Studium. Bis zum Nachdruck gibt's die Broschüre online als PDF zum Download.