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Stadtleben

»Es tut sich was«

Mädchen und Frauen bei der BSG Chemie

  »Es tut sich was« | Mädchen und Frauen bei der BSG Chemie

»Kick it Like?« ist der Name einer neu erschienenen Broschüre, die sich kritisch mit der Rolle von Frauen bei der BSG Chemie auseinandersetzt. Wir sprachen mit Nicci Sander und Sebastian Kirschner über die Druckschrift und entdeckten Frauen die den Verein verändern.

kreuzer: Was hat es mit der Broschüre auf sich?

Sebastian Kirschner: Die Broschüre »Kick it Like?« ist der dokumentarische Teil eines einjährigen Projektes zu Frauen und Mädchen rund um die BSG Chemie Leipzig. Das Fanprojekt des Vereins hat dabei zusammen mit Fans im Rahmen des Themenjahres »Leipzig – Stadt der sozialen Bewegungen« viel geforscht, nach Zeitzeuginnen recherchiert und in der Vereins- und Fangeschichte gekramt. Uns ging es dabei zum einen um eine Vervollständigung der Geschichte, denn der grün-weiße Frauenfußball spielt in der eigenen offiziellen Darstellung kaum eine Rolle. Zum anderen wollen wir aber auch auf Defizite auf den Rängen im hier und heute hinweisen. Der Umgang mit Rollenbildern und Klischees gehört also ebenso dazu wie das reale Stadionerlebnis, die Erfahrungen des Fan-Seins als Mutter oder der Umgang mit Staatsmacht und Gewalt.

Wie ist denn der aktuelle Stand von Frauen bei der BSG?

Sander: Da ist definitiv Luft nach oben. In Sachen Geschlechterparität gibt es einiges nachzuholen. Nicht einmal ein Zehntel der Vereinsmitglieder sind Frauen, aktuell gibt es kein einziges Frauenteam im Spielbetrieb. Und auch in den wichtigen Gremien sucht man Frauen zur Zeit leider vergebens, obwohl ein wesentlicher Teil des Vereinslebens auch von Frauen getragen wird. Es ist bitter, wie wenig sich gesellschaftliche Veränderung in Sachen Frauenemanzipation und nomineller Gleichberechtigung im Fußball wiederspiegeln. Da ist Chemie trotz seiner pluralistischen und basisdemokratischen Ausrichtung keine Ausnahme, sondern bestätigt eher die Regel.

Kirschner: Die subjektive Wahrnehmung von Frauen im Stadion ist da deutlich höher. Zumindest in den letzten Jahren hat sich vor allem auf dem Norddamm einiges verändert. Mädchen und Frauen gestalten als aktiver und selbstbewusster Part die Fanaktivitäten der Szene mit. Hier möchten wir mit unserem Projekt ansetzen, um die Dinge weiter zu entwickeln, sozusagen als Modernisierung von unten. Dabei ist unser Ziel nicht, dass Frauen als Feigenblatt in Positionen gehievt werden. So nach dem Motto, »schaut mal, wir haben jetzt auch eine Frau im Aufsichtsrat«. Vielmehr gilt es, Mädchen und Frauen langfristig fit zu machen, sie zu befähigen und zu ermuntern, mit dem gleichen Selbstverständnis wie die Männer in allen – auch den repräsentativen – Vereinsbereichen mitzuwirken. Dass das nicht von jetzt auf gleich geht, ist uns allen klar.

Wie kam es zu dem Projekt und was erwartet ihr euch davon?

Kirschner: Im vergangenen Jahr feierte der Alfred-Kunze-Sportpark sein 100-jähriges Jubiläum. Es gab verschiedenen Arbeitsgruppen und Workshops, auch einen zu Frauen in der Fankultur im Leutzscher Holz. Im bald erscheinenden Sammelband zum AKS spiegelt auch ein Text den langen Weg zur Normalität wider. Weibliche Fans aus den 70er und 80er Jahren kommen dabei ebenso zu Wort wie Ultras, die heute die Kurve prägen. Die Narrative haben sich über die Jahrzehnte kaum geändert: Als Frau musste man sich immer ein wenig mehr durchbeißen als das männliche Pendant. Aber neben der berechtigten Kritik an den Zuständen geht es auch um die vielen schönen Sachen: um emotionale Momente im Stadion, um Siege und Niederlagen, um Frauensolidarität und um die Botschaft, dass sich Sekt und Fußball definitiv nicht ausschließen.

Was gab es im Rahmen des Projektes für Feedback?

Sander: Zwei konkrete, sehr praxis- und alltagsnahe Ideen haben sich aus der Projektzusammenkunft entwickelt. Die erste ist ganz banal: Es muss zeitnah endlich auch wieder Frauenfußball in Leutzsch gespielt werden. Auf Kleinfeld, auf Großfeld, im Nachwuchs und bei den Erwachsenen. Hier sind vor allem Fans der Georg Schwarz Brigade engagiert. Derzeit laufen die Gespräche über die Details des ReStarts mit den sportlichen Verantwortlichen beim Verein. Die Zeit dafür ist reif: Das letzte Frauenteam spielte vor 15 Jahren beim FC Sachsen.

Kirschner: Ein zweite Idee kommt auch aus der Fanszene selbst. Sexismuserfahrungen sind auch in Leutzsch trauriger Alltag und Realität. Hier wollen wir auf der einen Seite weiter sensibilisieren und präventiv agieren. Aber darüber hinaus auch ganz konkrete Angebote für Frauen machen, die sexualisierte Gewalt im Fußballkontext erlebt haben. Ähnlich wie in Clubs und im Partykontext soll es im AKS bald eine Art Awareness-Team geben, dass in Zusammenarbeit mit dem Vereinspersonal auch intervenierend tätig wird.

Wie geht es weiter und wo kann man sich einbringen?

Sander: Unser Projekt hört nicht auf, nur weil der Projektzeitraum endet. Wir haben im Laufe des letzten Jahres sehr viele Anknüpfungspunkte für weitere Recherchen gefunden. Es melden sich ehemalige Spielerinnen und Fans, die uns ihre Geschichten erzählen wollen. Das ist ganz wunderbar, den Leuten und ihren Geschichten endlich den Raum zu geben, den sie verdienen. Mitte März startet zum Beispiel die Podcastreihe »Im Schatten des Fünfecks«: Hier werden die weiblichen Geschichten – die von Fußballerinnen, Funktionärinnen und Anhängerinnen der BSG – erzählt und gelangen damit hoffentlich in die offiziellen Vereinsarchive und Erinnerungen. Und um nicht als trockenes Geschichtsseminar zur Leutzscher Sporthistorie zu enden, versuchen wir natürlich auch ganz praktische Sachen aus dem Fanalltag aufzugreifen: Graffiti, Selbstorganisation und weibliche Sichtweisen auf Fankultur sind einige der Felder, die wir da beackern wollen.

Wo gibt’s für den Einstieg die Broschüre?

Kirschner: Die Broschüre könnt ihr gegen eine kleine Spende im Alfred-Kunze-Sportpark oder im Fanprojekt erwerben. Oder ihr schreibt eine Mail an frauenprojekt@chemie-leipzig.de. Und natürlich sind wir nach wie vor an Zeitzeuginnen interessiert, egal ob auf dem Rasen, auf den Stadionstufen oder aus den Gremien.


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1 Kommentar(e)

Johann 17.03.2022 | um 08:10 Uhr

Auch sehr interessant, einfach ergänzend nach dem Artikel: https://www.youtube.com/watch?v=_6g7k-18dJI