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Politik

Refugees welcome, aber ohne Tiere

Geflüchtete können Haustiere nicht in Unterkünfte mitnehmen

  Refugees welcome, aber ohne Tiere | Geflüchtete können Haustiere nicht in Unterkünfte mitnehmen

Seit Anfang März kommen täglich mehr Geflüchtete aus der Ukraine nach Leipzig. Dabei haben sie normalerweise nur das Wichtigste dabei. Dazu gehören vierbeinige Familienmitglieder, die hier aber nicht willkommen sind.

»Was müssen wir jetzt machen? Deutschland denkt, ich muss meinen Hund auf die Straße werfen? Was schlagen Sie denn vor?« Diese emotionalen Fragen stellt Walerija (Name von der Redaktion geändert) einer Helferin auf dem Hauptbahnhof. Ihre Familie ist erst vor kurzem nach Leipzig gekommen und muss nun nach einer Unterkunft suchen. Doch keiner kann ihr helfen: In Leipzig sind Haustiere in allen Erstaufnahmeeinrichtungen verboten. »Der Hund ist klein, vielleicht gibt es eine Alternative?«, antworten die Freiwilligen Walerija. Sie bitten darum, bei den Erstaufnahmeeinrichtungen anzurufen, aber die klärenden Anrufe waren erfolglos: Tiere seien nicht erlaubt. Walerija erklärt, sie und ihre sechsköpfige Familie seien zuerst nach Berlin gefahren. Da gäbe es keine Schwierigkeiten, aber sie dürften nicht bleiben. Die Hauptstadt ist voll. Das Problem sei, niemand habe bei der Weiterfahrt darauf hingewiesen, sie könne Probleme mit ihrem kleinen Hund in Leipzig haben.

Aber nicht die Stadt Leipzig entscheidet, ob Tiere rein dürfen. Für die sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) ist die Landesdirektion zusammen mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) zuständig. Per Telefon will das Ministerium keine Auskunft geben. Auf eine schriftliche Anfrage antwortete der Referent des Ministeriums, Sören Granzow: »Eine Unterbringung von Tieren ist hier grundsätzlich nicht möglich.« Doch die Problemlage sei der Landesdirektion bekannt: »Es wird in diesen Fällen versucht, eine Unterbringungsmöglichkeit zu finden, bei der auch die Mitnahme des Tieres in die Unterkunft möglich ist.«

Unterstützung bekommen die ukrainischen Tierbesitzerinnen vor allem von Freiwilligen. Seit der zweiten Kriegswoche gibt es die Telegram-Gruppe »Animals/Leipzig-Ukraine« und die Facebook-Gruppe »Pflegeplätze für Tiere aus der Ukraine in Leipzig und Umgebung«. Dort können Leipzigerinnen helfen, bieten beispielsweise Übernachtungsmöglichkeiten für Menschen und ihre Tiere an. In der Facebook-Gruppe gibt es mehr als 400 Mitglieder, bei Telegram mehr als 700. Die Freiwilligen verfolgen alle Updates der Bundes- und Landesministerien, der Leipziger Stadtverwaltung und des Veterinäramts, um keine falschen Informationen weiterzugeben. Margarita Savina ist Leiterin des Hilfsteams für Tiere bei Telegram, sie studiert Jura und versucht, insbesondere rechtliche Aspekte zu beachten, sodass Geflüchtete nicht noch mehr Probleme bekommen. »Informationen kommen ständig von überall her, nur nicht von dort, von wo sie eigentlichen kommen sollen. Nämlich von den staatlichen zuständigen Stellen«, meint Savina. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat die EU-Verordnung zur Einreise von Heimtieren aus nicht gelisteten Drittländern für Geflüchtete aus der Ukraine vorerst ausgesetzt. Das bedeutet aus praktischer Sicht, dass vorerst alle Heimtiere aus der Ukraine in Begleitung ihrer Besitzer nach Deutschland einreisen können.

Wie jedoch nach der Einreise mit den Heimtieren umzugehen ist, bleibt unklar. Das BMEL bittet zwar die Einreisenden, sich mit den lokalen Veterinärbehörden in Verbindung zu setzen, um den Gesundheitsstatus zu überprüfen. Konkrete gesetzliche Bestimmungen in dieser Ausnahmesituation hat jedoch weder das BMEL als Bundesbehörde noch die Landesdirektion Sachsen als zuständige Landesbehörde erlassen. Denn eine grundsätzliche Pflicht, seine Haustiere gegen Tollwut zu impfen oder chippen zu lassen, besteht in Deutschland nicht. Somit erschließt sich nicht, auf welcher gesetzlichen Grundlage und in welchen konkreten Fällen aktuell amtstierärztliche Verfügungen zum Beispiel zur Anordnung einer Heimtierquarantäne erlassen werden. »Dass diese in bestimmten Fällen notwendig ist, steht außer Frage, aber es muss klare gesetzliche Regelungen hierzu geben, damit weder bei den Gastfamilien noch bei den geflüchteten Haustierbesitzern unbegründete Panik vor einer möglichen Tollwuterkrankung ausbricht«, kommentiert Savina die Situation. Das Einschleppungsrisiko wird nämlich vom BMEL selbst als gering eingeschätzt. Gerade weil die Einreiseerleichterung nur für »Heimtierbesitzer« gilt, bei denen der Hund oder die Katze vorher zu Hause in der Familie gelebt hat und in der Regel auch schon vorher tierärztlich betreut wurde.

Auch der MDR schreibt im Bericht zum Thema Tiere aus der Ukraine über die Gefahr von der Tollwut und begründete dies mit lokal begrenzten Tollwutausbrüchen bei Wildtieren und illegalen Transporten von Welpen in "Osteuropa" im Juli 2021. Margarita Savina kritisiert das. »Wenn wir von Haustieren aus der Ukraine sprechen, dann geht es in erster Linie um Familienmitglieder, die genauso wie in deutschen Haushalten vorher auf dem Wohnungssofa mit ihren Besitzern gelegen haben und nun von diesen buchstäblich unter Bombenbeschuss aus dem Krieg geholt und in ihren Armen durch mehrere Länder getragen werden. Viele von ihnen haben zumindest eine Tollwutimpfung, wenn nicht sogar Chip.«

Geimpfte und gechipte Haustiere dürfen aber auch nicht in die Aufnahmeeinrichtungen in Leipzig. Auf einer Bank neben dem Hauptbahnhof sitzt eine Frau mit ihrer Tochter und einem Hund. Sie haben gerade herausgefunden, dass sie keine Unterkunft mehr haben. »Unsere Tiere sind geimpft und gechippt, trotzdem können wir sie nicht mitnehmen. Meine Tochter hat gerade eine Nachricht in die Hilfsgruppe für Tiere geschickt. Die Freiwilligen haben sie uns gezeigt«. Sie haben noch eine Katze, aber die wartet im Hotel. Dort können Geflüchtete aber maximal zwei Nächte verbringen. Danach müssen sie entweder in eine Erstaufnahmeeinrichtung gehen oder in eine Privatunterkunft, falls sie sie gefunden haben. Die erste Variante bedeutet die Trennung von ihren Vierbeinern.

Die meisten Hilfsaufrufe in den Online-Gruppen kommen von Menschen, die sich schon in Leipzig befinden. Daraus folgt, dass Menschen mit Tieren keine Informationen über mögliche Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche in der Stadt erhalten. In der Regel haben sie ein oder zwei Tage Zeit, um danach zu suchen. Wenn sie Glück haben, finden sie für ein paar Tage eine provisorische Unterkunft, danach stellt sich aber wieder die Frage, wo sie schlafen sollen. Die Gruppenadministratorinnen machen sich Sorgen, denn die Anzahl der Suchmeldungen steige nur noch, während die Anzahl der Unterkünfte in Leipzig sinke.

NINA POGREBNAYA


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