Russland führt Krieg gegen die Ukraine – und der antislawische Rassismus wächst in den Köpfen der Menschen. Drei Betroffene erzählen hier von ihren Gefühlen, Wahrnehmungen und Erfahrungen.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine liest und hört man immer wieder von Angriffen auf Menschen mit russischer Herkunft. Von verbalen Anfeindungen auf der Straße, im Netz, in den Schulen bis hin zu Anschlägen auf Restaurants und Lebensmittelläden als auch das Verweigern von Diensten, wie das Bedienen in der Gastronomie, ist alles dabei. Im Münchner Universitätsklinikum verkündete eine Ärztin in einem internen Schreiben, dass sie die ambulante Behandlung von russischen Patientinnen ablehnt. Bei Letzterem distanzierte sich die Klinik. Drei Betroffene berichten von ihren Erfahrungen.
»Ich hätte nie gedacht, dass meine Generation Krieg so wahrnehmen muss«
Mikes (er heißt eigentlich anders, möchte aber namentlich nicht genannt werden) Familie mütterlicher Seite ist russischer Abstammung. Erst seit Kurzem wüsste er, dass er zum einen Teil russisch und zum andern Teil ukrainisch sei, sagt er. Die derzeitige Situation nimmt ihn sehr mit: »Ich hätte nie gedacht, dass meine Generation Krieg so wahrnehmen muss.« Zuhause würde die ganze Zeit russisches Oppositionsfernsehen auf Youtube laufen, seine Mutter weine täglich und mache sich Vorwürfe. Er erzählt, dass die Meinungsfreiheit der Leute mit den Füßen getreten, die Opposition schon seit Jahren aus dem Land gedrängt und wer bleibt, verfolgt wird. »Du kannst da nicht einfach so raus auf die Straße und demonstrieren, alle sitzen jetzt in Gefängnissen für Nichts. Es ist ein Grundrecht seine Meinung zu äußern, also warum die Leute wegsperren?« Dinge, die er erst wüsste, seitdem seine Mutter ihm davon erzählt hat.
Auf die Frage, ob er Russenfeindlichkeit erlebt habe, meint er: »Tatsächlich ja – ich hätte nie gedacht, dass mir sowas mal passiert.« Als er nach seinem Basketball-Training noch etwas in einer Bar trinken wollte, hörte er, wie ein Mann sagte, dass man das gesamte russische Volk unter einem Kamm scheren müsse und dass alle Schuld am Krieg trügen, nicht nur Putin. Daraufhin mischte Mike sich ein und gab zu, sowohl russische als auch ukrainische Wurzeln zu haben. Er habe dem Fremden erklärt, dass in Russland zurzeit sehr heftig Propaganda betrieben würde und dass sich Russen dagegen wehren und auf die Straße gehen würden, man aber Angst vor der Regierung hätte, da diese eiskalt durchgreifen würde. Für Mike sind solche Aussagen unverständlich. Er habe das Gefühl, dass viele Menschen wenig Ahnung hätten von dem, was in Russland und der Ukraine los sei, sagt er. »Man sollte sich erst ein Bild machen, bevor man wild drauf losspricht und Halbwissen ist eh etwas sehr Gefährliches.« Dazu zählt er, sich bei seriösen Quellen richtig zu informieren oder mit Betroffenen zu sprechen. Zudem wurde seine Familie von einer Person aus seinem Heimatdorf, die der Querdenker-Szene nahesteht, als ukrainische Nazis bezeichnet. In Mikes Augen gehe sehr viel Gefahr von Fake-News aus, die instrumentalisiert werden, um Stimmung und Hetze zu betreiben, denn »es ist einfacher einen Schuldigen zu finden, anstatt anzupacken und zu helfen«. Er sei aber auch sehr stolz darauf zu sehen, wie viele Menschen im Moment sich mit den Opfern des Krieges solidarisieren, Sach- und Geldspenden sammeln und versuchen Geflüchtete aufnehmen.
»Wir müssen etwas bewegen«
Sergej T. hat ein russisches Restaurant in Leipzig. Zwar war er zu Beginn des Krieges in Corona-Quarantäne, er konnte aber dennoch manches beobachten. Auf die Frage, wie es ihm ginge, antwortet er mit »schlecht«, seine Arbeit und das Geschäft würden unter dem derzeitigen Geschehen leiden. Gäste würden absagen oder nicht mehr kommen und es gebe viel weniger Nachfrage. Stammkunden aus München meinten zu ihm, dass ihr erster Gedanke war, das Restaurant nicht mehr zu besuchen. Dann hätten sie herausgefunden, dass Sergej ukrainischer Abstammung ist, dass das Restaurant die ukrainische Hilfe unterstützt und daraufhin ihre Meinung geändert. Seine Mitarbeiter würden bei Auslieferung von Essen auf Ablehnung der Kunden stoßen. Sie sollen die Werbung auf dem Lieferauto abmachen, da man nicht mit Russland und Putin in Verbindung gebracht werden möchte. Die Bürgerinnen sollen sich nicht von den russischen Medien manipulieren lassen, so Sergej. »Wir sind gegen Krieg wie alle Menschen und wir müssen etwas bewegen«. Die deutsche Regierung solle kein Geld mehr in Waffenentwicklung stecken und nicht mehr Nachrüsten zum gegenseitigen Töten. Sergej bleibt optimistisch: »Wir werden weiterarbeiten« sagt er, um den Menschen die Augen zu öffnen.
»Es ist wichtig, dass wir miteinander reden und standhaft bleiben«
Sergej P. fühlt Angst, Unsicherheit und Wut. Er habe das Bedürfnis, die Vorfälle von Russenfeindlichkeit aufzuarbeiten und zu unterbinden, denn antislawischer Rassismus sei schon immer in den Köpfen der Leute verankert. Er sammelt solche Fälle, die gemeldet werden. Bis jetzt seien es vor allem Angriffe »gegen Dinge und Sachlichkeiten«. Dabei betont er, wie wichtig es sei, nicht der russischen Propaganda in die Hände zu fallen. Derzeit gibt es auch eine Feedback-E-Mail-Adresse der russischen Botschaft in Deutschland, wo Landsleute Informationen über Mobbing, Belästigung, Drohungen und, Angriffen hinsenden können, welche ebenfalls gesammelt werden. Weil die russische Botschaft aber unter Putin steht, findet Sergej, dass sie nur Chaos und Ängste aufzeigen wollen, um sich als Beschützer darzustellen. Denn er frage sich, wieso es dann keine Beratung und Unterstützung für Betroffene gibt.
Derzeit nehmen Supermärkte wie Edeka und Aldi russische Produkte aus ihrem Sortiment. Sergej findet, dass Sanktionen gegen den Staat durchgesetzt werden müssen, aber vor allem auch gegen die Oligarchen. Die Aussortierung würde zudem auch symbolisch Antipathie ausstrahlen und die Stimmung von Ablehnung gegenüber Russen anheizen. Die Verbindung von Deutschland und Migrantinnen sei schwer, aber fundamental. »Es ist wichtig, dass wir miteinander reden und standhaft bleiben.« Man müsse differenzieren und Räume schaffen, denn gegen Diskriminierung vorzugehen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und alle müssten am gleichen Strang ziehen.