Das Frohfroh-Feature »Täter an den Decks« über sexualisierte Gewalt durch Leipziger DJs von Lea Schröder erschien
vor einem Jahr. Der geplante »knappe, angepisste Rant« löste einiges aus. Eine Bilanz.
Sie legen in Clubs und Off-Locations auf, veranstalten Open Airs, partizipieren in Kollektiven und sind fester Teil der Leipziger Clubkultur«, schrieb Lea Schröder damals. »Sie labeln sich als tolerant und feministisch, während sie die Grenzen anderer verletzen, sexuell übergriffig sind und sexualisierte Gewalt ausüben. Wir haben ein Problem in den vermeintlichen Safer Spaces unserer linken Rave-Bubble. Und das betrifft uns alle.« Klar, die Clubkultur war stillgestellt, trotzdem konnte man seitdem einiges beobachten. Clubs und Kollektive arbeiteten interne Missstände auf und zogen persönliche Konsequenzen. Ob aus eigenem Antrieb oder auf äußeren Druck, ist eine andere Frage. Zudem wurden mehrere Übergriffe öffentlich gemacht, Betroffene vernetzten sich.
Es gab laut Schröder viel positives Feedback und dankbare Reaktionen – auch von Männern. Natürlich kam die Message nicht bei allen an. In der Kommentarspalte des Podcasts gab es auch zu lesen: »Darf ich noch einen Bart haben?« Zum Glück wurde Schröder nicht Ziel misogyner Angriffe, wie sie es erwartet hatte. Jemand hatte jedoch ihre private E-Mail-Adresse herausgefunden und versuchte, sich in ihren Social-Media-Accounts anzumelden. Ohne Erfolg. Sie hofft, dass die Solidaritätsbekundungen umgesetzt werden und einige Menschen sensibilisiert wurden.
»Ein nötiger Rundumschlag in der Szene«
Lähmung durch Schock, Enttäuschung durch wiederkehrende Muster, Frustration durch Handlungsunfähigkeit: Alles Gefühle, die Betroffenen nicht fremd sind. Der kreuzer sammelte mit einem Instagram-Aufruf individuelle Eindrücke über das Thema sexualisierte Gewalt in der hiesigen Clubszene. Eine Person schrieb, »es war ein nötiger Rundumschlag in der Szene«, um das eigene Handeln zu überdenken. Aber sie hatte auch Diskussionen mit Männern, die das Feature nicht mal gelesen oder angehört und doch das Thema direkt abgeblockt haben. Eine andere Person nannte es eine »Initialzündung«, um etwas zu bewegen. Sie habe kaum Kraft, sich damit auseinanderzusetzen, da sie selbst immer wieder betroffen sei. Durch das Feature habe sie Mut gefunden, freier über Sexismus auf der Tanzfläche und bei Partys zu sprechen, wieder selbst aufzulegen und in größeren Dimensionen zu denken. Ein Netzwerk für FLINTAs (Geschlechtsidentitäten jenseits des Hetero-Mannes) wurde gegründet, um solche Veränderungen anzugehen. Aber nicht jeder versteht den Punkt. Im ersten Kommentar unter dem kreuzer-Post schreibt – offenkundig – ein Mann, dass sich Frauen an die DJs ranmachen würden, um Getränke zu bekommen und ins Backstage zu gelangen: und »machen dann einen auf diskriminiert, wenn sie einen Korb erhalten«.
Einige Kollektive haben verkündet, etwas ändern zu wollen. Es kam zum Rauswurf von Tätern bis hin zur Auflösung von Gruppen. Auf die Frage, ob man sich auf die Cluberöffnung freut, kommt im Bekanntenkreis ein leises »Ja, aber mit Bedenken«. Viele zeigen sich besorgt, da die Clubs größtenteils ums Überleben zu kämpfen hatten und die Frage ist, ob noch Kapazitäten für die Aufarbeitung von strukturellen Problemen da sind.
Die Clubs
Sowohl das Institut für Zukunft (IfZ) als auch die Distillery fanden Zeit, mit dem kreuzer über die Entwicklungen zu sprechen. Im IfZ waren sie für die gute journalistische Arbeit von Lea Schröder dankbar und den gelegten Fokus, welcher in diesem Ausmaß nötig war. Ein Awareness-Konzept, welches aus verschiedenen Arbeitsbereichen besteht – wie das Safer-Clubbing und die Support- und Security-AG –, existierte schon vorher. Ihnen wurde aber bewusst, dass formulierte Ansprüche in ihrer Umsetzung auch Grenzen haben. Da die Arbeit mit Betroffenen oft von FLINTAs durchgeführt wird, habe man deutlich die Überlastung und schlechte Entlohnung der Care-Strukturen gesehen. Das IfZ gab die Verantwortung an professionelle Anlaufstellen ab und vergütet die Care-Arbeit jetzt stündlich, nicht pauschal, was in der Clubkultur nicht selbstverständlich ist. Es wurden Veranstaltungs- und Hausverbote für Täter ausgesprochen. Täterarbeit wird aus Kapazitätsgründen nicht durchgeführt. Jedoch gibt es Konzepte, bei denen die Forderung besteht, Updates des Aufarbeitungsprozesses zu geben. Das IfZ versucht, sich mit anderen Akteurinnen auszutauschen, denn ohne Unterstützung und Aufarbeitung des Umfeldes ist so ein Prozess schwer möglich.
Täterschützende Strukturen müssen langfristig abgebaut werden. »Ernüchternd bis kaum aushaltbar« sei, zu sehen, wie wenige Männer sich mit dem Thema auseinandersetzen, so das Credo.
Auch die Distillery hat ihre Entwicklungen mit dem kreuzer geteilt. Lea Schröders Feature wurde intensiv thematisiert und half bei der Entwicklung eines Awareness-Konzeptes. Ziel ist es, dass die Erfahrungen der Gäste wahr- und ernst genommen werden, Konsequenzen folgen und somit »die bestmögliche Unterstützung und Wohlfühlatmosphäre« entsteht. Zudem werden Schulungen fürs Team mit den Drug-Scouts organisiert und auf Veranstaltungen sollen zukünftig immer Awareness-Personen erreichbar sein. Auch die Tür, die oft sehr problematisch war, wurde, laut Aussage eines Residents der Distillery, komplett ausgetauscht und besteht jetzt nicht mehr nur aus Cis-Männern.
Billiger Regenponcho
»Awareness ist manchmal wie ein billiger Regenponcho, der im Sturm schnell gekauft, aber dann an der Garderobe vergessen wird«, sagt Alex* von der Initiative Awareness, die die Distillery beraten hat. Auch sie konnte beobachten, dass immer mehr Menschen sich trauen, etwas zu sagen. Gleichzeitig sei niederschmetternd, dass der Prozess so langsam vorangehe. Den Verein gibt es seit 2018, seit letztem Jahr erhält er eine finanzielle Förderung. Nach Schröders Feature hat man hier einen Workshop entwickelt, der sich mit dem Umgang bei Übergriffen im Team oder Team-assoziierten-Fällen beschäftigt.
Schon länger hat der Verein versucht, darauf hinzuweisen, dass es auch bei Mitarbeitern und Artists zu sexualisierter Gewalt kommen kann und es schwierig ist, vor Ort richtig zu reagieren.
* Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt, die Person möchte ihn aber nicht veröffentlicht wissen
Titelbild: Christiane Gundlach