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Kultur

»Politisches Stadttheater verwertet nur brisante Themen«

Nain-Kollektiv über kapitalistische Selbstverstrickung

  »Politisches Stadttheater verwertet nur brisante Themen« | Nain-Kollektiv über kapitalistische Selbstverstrickung

Sci-fi-Horror meets Kapitalismuskritik: Mit »Das Ding ins uns« thematisiert das Nain-Theater-Colaborativ die eigene Arbeitssituation, inspiriert vom Film »Das Ding aus einer anderen Welt« von John Carpenter. Kann man Kunst machen, ohne das eigene Involviertsein in den Kapitalismus zu reflektieren? Gewiss nicht, meint die Gruppe im kreuzer-Interview.

kreuzer: Warum hat es Ihnen der Carpenter-Film angetan?

Nain: Auf den Carpenter-Film sind wir eher zufällig gestoßen. Da der Text unseres Stücks eine sehr offene, postdramatische Form hat, haben wir nach einer Art Rahmenhandlung gesucht, die die Textfläche einbettet. Da fanden wir das Genre Sci-Fi-Horror ganz passend. Unabhängig davon beschreibt Carpenter das »Ding« genauso, wie wir uns das Monster des Kapitalismus vorstellen: ein Wesen, das alles absorbiert und der eigenen Verwertungslogik anpasst, bis nichts mehr da ist außer ihm selbst.

Ihr Monolog greift besonders die eigene kapitalistische Verstrickung auch achso kritischer Kunst auf. Warum?

Die erste Fassung hat Soheil Boroumand zwischen 2018 und 2020 während seines Festengagements am Theater Osnabrück geschrieben. Anlass war das Gefühl, dass politische Kunst am Stadttheater nur dazu dient, aktuelle, brisante Themen zu verwerten, um künstlerisch und finanziell erfolgreich zu sein und dabei zu kaschieren, dass das eigene politische Bestreben eigentlich völlig wirkungslos ist. Selbst bei Brecht steigen die Abonnenten und Abonnentinnen nach dem Stück nur in ihre schicken Schlitten und freuen sich, mal wieder politisches Theater konsumiert zu haben, ohne, dass es irgendeinen realen Einfluss auf deren Leben hat. Dieses Erlebnis war der Grund, das Stück zu schreiben. Und eben die Frage, was man anders machen müsste. Dass man eben nicht umhin kommt, sich selbst und das eigene Involviertsein ins System anzunehmen und zu verarbeiten. Im kollektiven Arbeitsprozess hat sich der Stücktext nochmal sehr verändert. Er ist positiver geworden. Und kürzer. Zum Glück.

Warum kommt man nicht raus aus dem System?

Weil es sich anfühlt, als ob das System mittlerweile in einem selbst ist. Wie bei Carpenter. Aus unserer Sicht das Resultat der seit langem wirkenden Sachzwänge und der befeuerten Existenzangst. Durch die kontinuierlich steigenden Lebenskosten können selbst bescheidene Menschen nicht angstfrei ihren Alltag gestalten. Verdrängung bei gleichzeitigem Auseinanderdriften der sozialen Schere sorgt für Empörung und erzwingt das Antrainieren, immer zuerst nach dem Geld zu fragen. Das transformiert alles: unser Denken, unser Arbeitsklima und auch unsere Kunst. Wir bemühen uns redlich, dagegen zu anzukämpfen.

Und wenn man nicht rauskommt, dann bleibt man ja auch mit kritischer Kunst drin. Entmutigt das nicht?

Man bleibt immer drin. Aber Kunst hilft zumindest, das Drinsein zu ertragen. Und zumindest für Momente andere Formen des Miteinanders zu erfinden. Kunst schafft es manchmal, diese permanente Verwertungsmühle abzuschalten und Dinge zu tun, die nicht zweckorientiert sind. Im Probeprozess aber auch bei den Aufführungen selber. Ohne Kunst wäre das Leben wahrscheinlich nicht erträglich. Und stellen Sie sich mal eine Welt ohne Träume vor, ohne Kontemplation, Hingabe oder die Geste des erwartungsfreien Geschenks. Das kapitalistische System nutzt demokratische Strukturen aus, produziert aber eigentlich feudalistische Realitäten. Dem muss man unfassbar viel regulative Energie entgegenstellen, um ein wenig Selbsterhaltung zu erwirken. Auch wenn man damit das System selbst miterhält. Eine durch und durch tragische Situation. Deswegen erscheint uns Theater als sehr geeignetes Medium, unserer regulativen Energie Form zu geben. So aussichtslos uns unser Tun auch oft erscheint – wenn die Kunstschaffenden sich entmutigen lassen und die Hoffnung verlieren, ist das eine Existenzbedrohung für die gesamte friedliche, demokratisch orientierte Gesellschaft.

Was motiviert Sie zum Nein-Sagen?

Sie spielen auf unseren Namen an. Zu Beginn – vor fast zehn Jahren – stand ein großes klares Nein als ein: »So geht es mit uns nicht (weiter)« im Raum. Wir haben uns zusammengefunden und zurückgezogen, um miteinander anders umzugehen, als es die totale Verwertungslogik der uns umgebenden Welt von uns verlangt. Bis heute stellt das eine immense Herausforderung dar. Von Anfang an war dieses Nein aber angesetzt, um ein Ja sagen zu können. Wir wollen Bedingungen schaffen, zu denen wir Ja sagen können. Vielleicht schaffen wir es, Sehgewohnheiten zu brechen und damit auch die Sicht auf die Dinge, die Welt in unserem Publikum zu bewegen. Letztlich interessieren und motivieren uns deswegen Theorien, die tatsächlich andere Lebensentwürfe aufzeigen. Feministische und auch postkapitalistische Theorien, die gar nicht erst den Fehler machen, sich den Normen der neoliberalen Verwertungslogik zu unterwerfen. Theorien von Donna Haraway, Emanuele Coccia oder Raul Zelik beispielsweise.

Was erwidern Sie auf den Vorwurf, nur die ohnehin schon Kritischen anzusprechen?

Auch kritische Geister sind dem enormen Druck kapitalistischer Logik ausgesetzt. Wohin kämen wir, wenn wir sie einschlafen ließen und sie dadurch verlören? Auch sie haben Sehgewohnheiten, die wir beständig brechen wollen, um wach und lebendig zu bleiben. Um nicht in Routine zu geraten und Gefahr zu laufen, zu glauben, man wisse schon alles, man habe schon alles probiert. In dieser Welt, die uns auseinander treibt und vereinzelt, ist es elementar, sich zusammenzufinden und sich in einem Gegenüber wiederzufinden. Aber um konkret auf die Frage zu antworten: In unserem Stück geht es mehr um Selbstkritik als um ein allgemeines politisches Bewusstsein, das wir schärfen wollen. In den Proben ging es vornehmlich um unsere Arbeits- und Lebensrealitäten. Wir kritisieren uns selber und hoffen, dass sich auch Zuschauende mit dieser Kritik identifizieren können. Und am Ende formulieren wir sogar eine kleine Utopie. Aber die verraten wir hier natürlich nicht.

»Das Ding in uns«, 22./23.4., 20 Uhr, 23.4., 18 Uhr, Schaubühne, eine Rezension des Stücks finden Sie im April-kreuzer

INTERVIEW: TOBIAS PRÜWER

TITELBILD: THOMAS BAER


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