Zum Tag der Arbeit widmet sich die Cinémathèque einen Monat lang filmischen Wiederentdeckungen, die sich mit Arbeit auseinandersetzen, die Frauen leisten. In sechs Filmen von Regisseurinnen treffen wir sie in unterschiedlichen Bereichen an, als Teil einer Ajvar-Kooperative oder als Kopfgeldjägerin im Nachtclub. Es geht um Ausbeutung wie in Chantal Akermans »Jeanne Dielman« oder dem preisgekrönten »The Assistant« und um Selbstermächtigung der Frauen im Kosovo (»Hive«) oder im DC Universe (»Birds of Prey«). Eine Menge Arbeit wird es derweil auch, sich durch die vielen ausgezeichneten Filme in dieser Woche zu arbeiten. Das Angebot für Kinofans war schon lange nicht mehr so gut.
»Arbeit/Schaffen«: 1.-31. Mai., Cinémathèque in der Nato
Film der Woche: Evelyn und Waymond Wang betreiben in den USA einen Waschsalon – und es läuft nicht rund für die Einwanderfamilie aus China. Es gibt Probleme mit dem Finanzamt, Evelyn kann den Lebensentwurf von Tochter Joy nur schwer akzeptieren und vor allem steht ihre Ehe auf der Kippe. Doch dann geschieht es: Vor einem Behördentermin spricht im Fahrstuhl ein völlig gewandelter Waymond zu ihr und macht ihr klar, dass er gerade eine andere Version ihres Mannes aus einer Paralleldimension sei und sie allein es in der Hand habe, das gesamte Multiversum zu retten. Das Duo Daniels, das 2016 schon bei seinem Debüt mit der Survival-Groteske »Swiss Army Man« für große Augen sorgte, hat hier eine cineastische Wundertüte erschaffen, die sogar Marvels Doctor Strange in seinem »Multiverse of Madness« vor Neid erblassen lassen dürfte. Voller Liebe zum Kino werfen die Regisseure so ziemlich jedes Genre in die Waagschale und zitieren sich dabei lust- und humorvoll und absurd einfallsreich durch die Filmgeschichte, von Science-Fiction über das Liebesdrama und die Animationskomödie bis hin zur Martial-Arts-Action. Allerdings vergessen sie bei alledem nie den emotional geerdeten Unterbau, sodass ihr Werk unterm Strich eigentlich eine mit Michelle Yeoh, Ke Huy Quan und Stephanie Hsu famos besetzte, absolut einzigartige Familientragikomödie ist, die völlig kitschfrei berührt.
PETER HOCH
»Everything Everywhere All At Once«: ab 28.4., Passage-Kinos, Regina-Palast
Mikey Saber – mit diesem Namen kann man nur Pornostar werden. Pornos hat Mikey reichlich gedreht und in seiner eigenen Wahrnehmung ist er ein Filmstar. Das hindert ihn allerdings nicht daran, auf der Couch seiner Ex Lexi zu landen. Abgebrannt und geschasst, versucht der Mittvierziger in einem verschlafenen Städtchen in Texas wieder auf die Beine zu kommen. Im örtlichen Donut-Diner trifft er auf Strawberry und verspricht ihr, sie reich und berühmt zu machen – und Mikey kann ziemlich überzeugend sein. Sein Enthusiasmus ist ehrlich und ansteckend und man entwickelt leicht Sympathie für den Loser. Zu verdanken ist das vor allem der Ausstrahlung von Simon Rex, dem Regisseur Sean Baker (»The Florida Project«) die Hauptrolle anvertraute. Er nimmt die Gelegenheit mit vollem Körpereinsatz war und macht »Red Rocket« zu einer rundum erfrischenden Indie-Komödie.
»Red Rocket«: ab 28.4., Luru-Kino in der Spinnerei, ab 12.5., Schaubühne Lindenfels
Die Filme von Gaspar Noé fordern den Zuschauer. Sei es seine rückwärts erzählte Geschichte einer Vergewaltigung und ihrer Folgen in »Irreversibel«, der Trip ins Unterbewusstsein »Enter the Void« oder der Drogenhorror »Climax« – es fällt ebenso schwer, die Augen von der Leinwand zu lösen wie das Gesehene zu verarbeiten. Noés Filme arbeiten noch lange in einem weiter. Zunächst mag man meinen, »Vortex« stelle da eine Ausnahme im filmischen Kosmos des Franzosen dar. Schließlich begleiten wir hier das ältere Paar Elle und Lui im Alltag, beim Einkauf, dem gelegentlichen Besuch des drogenabhängigen Sohnes. Doch Elle leidet an fortgeschrittener Demenz und so werden die Tage und Nächte in der verwinkelten Pariser Wohnung zunehmend zum Albtraum. Dafür sorgt vor allem das intensive Spiel seiner Hauptdarsteller Françoise Lebrun (»Die Mama und die Hure«) als Elle und Horror-Papst Dario Argento (»Suspiria«), kongenial besetzt als alternder Filmemacher Lui. Hinzu kommt die filmische Handschrift des Auteurs und seines Kameramagiers Benoît Debie. »Vortex« zeigt 140 Minuten lang zwei Handlungsstränge parallel. Die schmerzhaft langen Einstellungen und der konsequente Einsatz des Split-Screens sorgen zunehmend für ein klaustrophobisches Gefühl der Hilflosigkeit. »Vortex« ist Noés schlüssigstes Werk und erinnert nicht zuletzt an Michael Hanekes »Liebe«. Die strikte Formalität des Österreichers weicht hier allerdings der wilden Virtuosität des Franzosen. Ein Film, der unter die Haut geht.
»Vortex«: ab 28.4., Luru-Kino in der Spinnerei, Schaubühne Lindenfels
Murat Kurnaz – Dieser Name ist im Gedächtnis der meisten Deutschen gespeichert. Jeder der Anfang des neuen Jahrtausends die Nachrichten wahrgenommen hat, wird ihn schon mal gehört haben. Seine Autobiographie wurde in über zwölf Sprachen übersetzt und 2013 unter dem Titel »5 Jahre Leben« von Stefan Schaller verfilmt. Aber der Skandal, der sich hinter den Kulissen abgespielt hat, dürfte nur wenigen bekannt sein, wohl auch, weil es ein alles andere als gutes Licht auf die Regierung Schröder wirft. Vier Jahre lang saß Murat Kurnaz unschuldig und ohne Anklage in Guantanamo. Ein beispielloses Unrecht. Regisseur Andreas Dresen wurde auf die Geschichte aufmerksam gemacht, aber eine filmische Umsetzung erschien ihm unmöglich – bis er auf Rabiye traf. Den langwierigen Kampf der Mutter und ihres Anwalts Bernhard Docke um Murats Leben bietet die Basis für das Drehbuch von Laila Stieler, mit der Dresen bereits »Gundermann« inszenierte. Daraus entstand ein bewegender, aufrüttelnder Film, durchzogen von Rabiyes eigenwilligem Humor, der sich mit Dresens humanistischer Erzählweise gut verträgt. Das nimmt der aufwühlenden Geschichte manchmal die Durchschlagskraft, macht den Film aber für ein breites Publikum zugänglich. Im Herzen steht das leidenschaftliche Spiel von Meltem Kaplan, die bei der Berlinale in diesem Jahr den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin erhielt.
»Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush«: ab 28.4., Passage Kinos, am 30.4. in Anwesenheit des Regisseurs Andreas Dresen, der Drehbuchautorin Laila Stieler und des Hauptdarstellers Alexander Scheer
Krankenpfleger Paul (Frederick Lau) und Stewardess Julia (Hannah Herzsprung) sind ziemlich high, als sie sich zum erstem mal begegnen: Im Luftraum über Kolumbien macht es Klick zwischen den beiden. Aber auch zurück auf dem Boden hat ihre Liebe Bestand. Der beste Beweis ist Tochter Lilly (Romy Schroeder). Gemeinsam bauen sie ein Haus für ihre kleine Familie und als das Leben am besten erscheint, werden sie jäh auseinandergerissen. In Julias Kopf platzt eine Ader und für Paul der Traum von einer gemeinsamen Zukunft. Jetzt liegt sein Leben in Trümmern. Die Bank will Geld, das er nicht hat. Sein Job als Stationsleiter im Krankenhaus reicht nicht, um die Hypothek zu bezahlen. Hilflos und überfahren von der Situation, vergisst er fast, für Lilly da zu sein. Die zieht sich immer mehr zurück auf den Dachboden des Hauses, denn dort lebt ihre Mama für sie weiter.
Mit »Wolke unterm Dach« verfilmte Regisseur Alain Gsponer (»Jugend ohne Gott«) das Schicksal von Drehbuchautor Christoph Silber (»Ich bin dann mal weg«). Vom Ansatz einer persönlichen Erfahrung bleibt in der aalglatten Inszenierung jedoch wenig übrig. »Wolke unterm Dach« zielt auf ein breites Publikum und vergräbt seine Emotionen unter einer dicken Soße aus Filmmusik. Stets setzen die Streicher ein, wenn es emotional wird – und das ist der Dauerzustand in Dirk Ahners (»Simpel«) Adaption. In seiner überlangen Laufzeit kommt Gsponers Film nie zur Ruhe. Das komplexe Problemkonstrukt der Handlung wird mit Küchenpsychologie und Hokus Pokus gelöst. Frederick Lau spielt Emotionen wie so oft mit seiner Stirn. Die Szenen mit seinem Buddy Kida Khodr Ramadan sind die einzigen authentischen Lichtblicke in einer Überinszenierung. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit plötzlichem Verlust und den Auswirkungen auf die Hinterbliebenen verkümmert im Ansatz.
»Wolke unterm Dach«: ab 28.4., Cineplex, Regina-Palast
Eine Hütte, irgendwo in den Alpen. Hier leben Maria (Susanne Jensen) und ihr erwachsener Sohn Johannes (Franz Rogowski) gottesfürchtig und fromm. Die Mutter hält ihren Sohn, der im Geisteszustand eines Kindes lebt, vom Teufel der Außenwelt fern. Alles, was sie haben, ist der Glaube und die Arbeit. Der verstorbene Vater wird als Heiliger stilisiert. Er war es, der die Mutter vom Alkohol zu Gott geführt hatte. Eine trügerische Idylle. Eines Tages sind Motorsägen aus dem benachbarten Wald zu hören und Drohnen und Helikopter dringen in die Zweisamkeit ein. Ein Skigebiet soll entstehen, dort wo ihr Zuhause steht. Maria wehrt sich nach Kräften, während ihr Sohn der ungewohnten Situation mit einer Mischung aus Neugier und Angst begegnet. Aus dem kraftvollen Zwei-Personen-Stück, stark verkörpert von der Pastorin Susanne Jensen und Charakterdarsteller Franz Rogowski, wird eine etwas eindimensionale ökologische Fabel. Die Stärke von Peter Brunners Film liegt neben dem eindringlichen, körperlichen Spiel in den Bildern entrückter Landschaften und aufgeladener Symbolik. Die Handschrift der Produzenten Ulrich Seidl und Veronika Franz ist klar erkennbar.
»Luzifer«: ab 28.4., Luru-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmtermine der Woche
Abschied und Ankunft
D 2021, Dok, R: Beate Kunath, 104 min
Rund 20 Jahre nach seinem Tod setzt sich der Dokumentarfilm von Beate Kunath mit dem Chemnitzer Autor Stefan Heym auseinander – mit dem Blick seiner Frau Inge Heym.
Cineding, 29.04. 19:00 (anschl. Filmgespräch mit Regisseurin Beate Kunath)
Dear Future Children
D/GB/A 2020, Dok, R: Franz Böhm, 92 min
Dokumentation über drei junge Aktivistinnen, die in drei verschiedenen Ländern dafür kämpfen, dass die Welt in Zukunft besser ist.
Ost-Passage-Theater, 04.05. 20:00
Die fabelhafte Welt der Amélie
F 2001, R: Jean-Pierre Jeunet, D: Audrey Tautou, Mathieu Kassovitz, Dominique Pinon, 116 Minuten
Originelles und selbstbewusst romantisches Kinomärchen rund um eine ganz besondere junge Frau in Paris.
Cinestar, 03.05. 19:30 (Best of Cinema)
Regina-Palast, 03.05. 20:00 (Best of Cinema)
Cineplex, 03.05. 20:00 (Best of Cinema)
Draculas Blutrausch
GB 1970, R: Roy Ward Baker, D: Christopher Lee, Dennis Waterman, Jenny Hanley, 96 min
Graf Dracula treibt einmal mehr sein Unwesen in einer Dorfgemeinde. Der Film aus den legendären britischen Hammer-Studios ist auch unter dem alternativen Titel »Dracula – Nächte des Entsetzens« bekannt und der fünfte Teil der langlebigen Reihe mit Christopher Lee in der Hauptrolle.
Luru-Kino in der Spinnerei, 04.05. 20:00 (Horror-Doppel mit Donis, OmU, um 22 Uhr folgt »Frankensteins Fluch«)
Frankensteins Fluch
GB 1957, R: Terence Fisher, D: Peter Cushing, Hazel Court, Christopher Lee, 82 min
Erster Teil der »Frankenstein«-Reihe aus den britischen Hammer-Studios, mit Peter Cushing in der Hauptrolle des Victor Frankenstein, der mit Hilfe medizinischer Experimente Tote zum Leben erwecken kann, allerdings mit grauenhaften Folgen.
Luru-Kino in der Spinnerei, 04.05. 22:00 (Horror-Doppel mit Donis, OmU, vorher um 20 Uhr läuft »Draculas Blutrausch«)
Ekmek Parasi – Geld für's Brot
D 1995, Dok, R: Serap Berrekkarasu, D: Eine Doku über Arbeiterinnen in einer Lübecker Fischfabrik., 104 min
Dokumentation über Arbeiterinnen in einer Lübecker Fischfabrik.
Cinémathèque in der Nato, 01.05. 19:00 (anschl. Gespräch mit Dipl. Phil. Kadriye Karcı, OmeU, Reihe »Arbeit/Schaffen«)
Hive
KOS/CH/MKD/ALB 2021, R: Blerta Basholli, D: Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi, 84 min
Die Männer sind fort, die Frauen verhungern: Nach dem Kosovo-Krieg solidarisiert sich eine Gruppe von ihnen in einem kleinen traditionellen, patriarchalischen Dorf. Die Frauen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Preisgekröntes Spielfilmdebüt mit starker Hauptdarstellerin. Preview, Kinostart im Herbst.
Cinémathèque in der Nato, 03.05. 20:00 (OmU, Reihe »Arbeit/Schaffen«, Vorpremiere)
Fuoco sacro – Suche nach dem heiligen Feuer des Gesangs
D 2021, Dok, R: Jan Schmidt-Garre, 93 min
Doku über die Opernsängerinnen Ermonela Jaho, Barbara Hannigan und Asmik Grigorian und über die Kraft und das Herz von Opernmusik.
Cineplex, 01.05. 13:00 (OmU)
Kaathuvaakula Rendu Kaadhal
IND 2022, R: Vignesh Shivan, D: Vijay Sethupathi, Nayanthara, Samantha Ruth Prabhu, 159 min
Romantische Komödie um ein Liebesdreieck.
Cineplex, 01.05. 11:00 (indisches Kino(Tamil), OmU)
Kriegsfotografinnen. Der Kampf um Bilder, Leben und Tod
D 2022, Dok, R: Siegrid Faltin, 55 min
Der Film stellt Frauen vor, deren Kriegsfotos in den letzten 100 Jahren um die Welt gingen und immer noch gehen.
Zeitgeschichtliches Forum, 02.05. 19:00 (Reihe »Starke Frauen«)
Moj Dlug
PL 2022, R: Denis Delic, D: Olga Boladz, Bartosz Sak, Piotr Stramowski, 98 min
Um seine Familie zu beschützen, begeht ein junger Mann mehrere Auftragsmorde für einen Verbrecherboss. Eines Tages wird er von der Polizei gefasst und kommt ins Gefängnis, wo er mit der Zeit lernt, sich mit den gefährlichen Bedingungen im Knast zu arrangieren.
Cineplex, 01.05. 17:30 (OmU, Polnisches Kino)
Mustache Funk
UKR 2020, Dok, R: Oleksandr Kowsch, Witalij Bardezkyj, 72 min
Dokumentarfilm über Vokal- und Instrumentalensembles in der Sowjetunion der siebziger Jahre.
Cineding, 05.05. 21:00 (OmeU, mit Einführung von Anne König, Ukraine-Benefiz)06.05. 21:00 (OmeU, Ukraine-Benefiz)
Programme 3 – Circulations
UKR/NL/GB/R 2018–2020
Straßen, Brücken und Versorgungsleitungen sind Teil der urbanen Geografie und bestimmen, wie sich Körper und Dinge bewegen. Die Abhängigkeit der Menschen von materiellen und virtuellen Netzwerken im täglichen Leben macht Infrastruktur politisch. – Soli-Programm mit experimentellen und dokumentarischen Kurzfilmen, organisiert von einem Netzwerk von Künstlerinnen aus der Ukraine, Belarus, Russland und Europa.
Schaubühne Lindenfels, 02.05. 19:00 (Subverting the History, alle OmeU)04.05. 19:00 (Subverting the History, alle OmeU)
Runway 34
IND 2022, R: Ajay Devgan, D: Ajay Devgn, Amitabh Bachchan, Rakul Preet Singh, 148 min
Katastrophenfilmdrama basierend auf wahren Ereignissen.
Cineplex, 30.04. 11:00 (Indisches Kino, OmU)
This Rain Will Never Stop
UKR/D/LET/KAT 2020, Dok, R: Alina Gorlova, 108 min
Alina Gorlova zeichnet in ihrem Dokumentarfilm die fließenden Grenzen zwischen Krieg und Frieden nach und begleitet Andriy, der aus seiner Heimat Syrien in die Ukraine flog – von einem Kriegsgebiet ins nächste.
Cinémathèque in der Nato, 2., 4. und 5.Mai, jeweils 19 Uhr
Cineding, 06.05. 19 Uhr
Women* what we are fighting for
UKR 2020, Dok, R: Viktoria Guyvik, 30 min
Ein Dokumentarfilm über den Kampf für Frauen- und LGBTQ+-Rechte weltweit.
Cineding, 05.05. 19:00 (anschl. Filmgespräch, OmeU)
Titelbild: Filmstill aus »Everything Everywhere All At Once«, Copyright Leonine