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Kultur

Zerfließende Körper

Die Performance von Doris Uhlich weckt Faszination für Schleim

  Zerfließende Körper | Die Performance von Doris Uhlich weckt Faszination für Schleim

Schleim ist ein ambivalentes Material. In der Gebärmutter dient er einerseits als Barriere, der den Muttermund verschließt und vor Bakterien schützt, andererseits, wenn sich der Cervixschleim im Laufe des Zyklus verändert, wird er durchlässig und zieht Fäden. Dann wirkt er wie ein Gleit- und Transportmittel, um Spermien zur Eizelle zu bringen. Der menschliche Organismus produziert ständig Sekrete und Körperflüssigkeiten, die zum größten Teil unbemerkt in uns herumfleuchen. Und wenn sie zutage treten, mit Lust oder Ekel begrüßt werden. In den letzten zwei Jahren hat sich die Reputation von Schleim, der sich in den Atemwegen ausbreiten kann, verschlechtert. »Gootopia – The Treatment« wirbt mit viel Körperkontakt für das faszinierende und vielseitige Medium.

Techno und das Geräusch zusammenklatschender Körper dringen in den Vorraum der Residenz des Schauspiel Leipzigs, bevor eine Gruppe von sechs Personen eingelassen wird. Im industriellen Raum bewegen sich einige nackte Performende. Einer davon wirft wiederholt einen großen Schleimleib nach oben und lässt ihn gegen seinen Rücken schlagen. Das beim Aufprall entstehende Geräusch weckt sexuelle Assoziationen und prägt die Atmosphäre für die erste Begegnung mit dem Material. In Bademäntel gewickelte Performende nehmen die Hand jeweils einer Person und massieren mit der glitschigen Substanz die Haut. Durchsichtige Fäden tropfen herab, während sich ein kühler Film um die Finger legt. Intimität und Nähe stellt sich im Laufe der in Stationen gegliederten Performance zwischen Schleim und Haut, aber auch zwischen den Besuchenden untereinander her. Die von Doris Uhlich entwickelte Performance wird so zur experimentellen Wiederannäherung zwischen fremden Körpern im Theater.

In der ersten Hälfte des Abends agieren die Personen mit dem Schleim als gleichberechtigtem Mitspieler, der seinen Eigensinn gegen den äußerlichen Zugriff behauptet. Zwischen Fingern und Armen gleitet das Material hindurch und entzieht sich der Kontrolle. Bis zur Einverleibung von Gelatine-Eiern und dem Ausspucken eigens produzierten Speichels reicht der intensive Parkour, von dem ausgehend das kleine Grüppchen zur freien Bewegung im Raum eingeladen wird. Die entkleideten Performenden, die während des Treatments nur im Augenwinkel auftauchten, können nun intensiver betrachtet werden. Umschlossen von zähen Schleimfäden wälzen sich zwei Menschen auf dem Boden und pressen sich aneinander. Ihre Körper verschmelzen miteinander und dem sie verbindenden Dritten, sodass sie im Zuge der intimen Bewegung zu einem hybriden Wesen fusionieren. Die Gestalt des Einzelnen zerfällt im Blick und wird scheinbar durch die sich über die Haut legende Schleimmembran zusammengehalten.

Das Betrachten macht Lust darauf, selbst in der Substanz aufzugehen und seine zärtliche Berührung zu spüren. Zugleich bedroht es die Integrität des abgeschlossenen Körpers, dringt in jede Öffnung ein und schneidet die Wahrnehmung ab. Im stummen Schrei reißt ein Performer seinen Mund auf und das Sekret verhindert für einen Moment sein Einatmen. Ein beklemmender Anblick. Es haftet dem Material ein Schauder an, der auf die Angst der eigenen Auflösung zurückzuführen ist, heißt es bei der Psychoanalytikerin Julia Kristeva. Das Abjekte – zum Beispiel Speichel, Verwesendes oder Insektenmassen – löst Ekel aus, da sein Status beunruhigend zwischen Leben und Tod schwebt. Menstruationsblut, das in einem Moment noch Teil des Leibes ist, wird zum tabuisierten und abgelehnten Sekret, sobald es den Körper verlässt. Zwischen Eigenem und Fremden symbolisiert es Porosität und Durchlässigkeit, die das Selbstverständnis, ein abgeschlossenes Ganzes zu sein, perforiert. Die Auflösung, in der man ständig begriffen ist, wirkt auch so zerrüttend, weil es sich dabei um ein unzulässiges Begehren handelt. Uhlichs Choreografie schafft es, eben jene Ambivalenz sichtbar zu machen, ohne den Abend theoretisch zu überladen. Experiment, Spiel und Konfrontation steht im Fokus dieses sensorischen Ereignisses.

 

Die Performance findet nochmal am 11. und am 12. Mai in der Residenz (Baumwollspinnerei) statt. Weitere Infos gibt es hier

 

Titelfoto: Rolf Arnold. 


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