»Nico« ist in jeder Hinsicht ein ungewöhnlicher Film für die deutsche Filmlandschaft, denn im Grunde ist »Nico« das Kind von drei Müttern: Von Regisseurin Eline Gehring, die das Drehbuch gemeinsam mit Hauptdarstellerin Sara Fazilat und Kamerafrau Francy Fabritz schrieb und inszenierte. Die Dialoge sind weitgehend improvisiert, in den Nebenrollen sind bemerkenswerte Laiendarsteller zu sehen. Im Mittelpunkt steht Nico, eine ungewohnte Frauenfigur, ruppig, kantig, liebenswert und mit Migrationshintergrund. Als die junge, selbstbewusste Frau mit persischen Wurzeln Opfer eines rassistisch-motivierten Überfalls wird, ist plötzlich alles anders. Sie muss ihren Halt wiederfinden und sich zurück ins Leben kämpfen. Das bemerkenswerte, unabhängig produzierte Spielfilmdebüt feierte seine Premiere beim Filmfestival Max Ophüls Preis und gewann im letzten Jahr den First Steps Award. Für Hauptdarstellerin Sara Fazilat gab es am Donnerstag vollkommen verdient eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis. Am 16. Mai stellt Francy Fabritz den Film persönlich in den Passage-Kinos vor.
»Nico«: ab 12.5., Passage-Kinos
Film der Woche:
Als sein Vater die Familie ins »Galaxy« ausführt, ist es um Samay geschehen: Der Neunjährige erlebt zum ersten Mal die Magie des Kinos. Fortan nutzt er jede freie Gelegenheit, um sich in dem Saal herumzutreiben. Er belügt seine Eltern, schwänzt die Schule und schleicht sich heimlich in die Reihen – bis er unsanft vor die Tür gesetzt wird. Frustriert sitzt er im Staub, der Appetit ist ihm gründlich vergangen. Deshalb hat er auch nichts dagegen als ihn ein abgehalfterter Typ fragt, ob er sich bedienen darf. Die Kochkünste seiner Mutter öffnen Samay das Tor ins Paradies, denn Fazal entpuppt sich als Filmvorführer und für den Preis einer täglichen Mahlzeit darf der Junge ihm bei der Arbeit zusehen. Durch das Guckloch schaut er fortan all die Filme und bald werden aus Samay und Fazal Freunde. Der Junge lernt, wie die Magie des Kinos entsteht. Die Faszination für den Film überträgt er nicht nur auf seine Mitschüler. Auch den Kinogänger weiß Regisseur Pan Nalin (»Samsara«) zu begeistern. Das Spiel mit Farben, Licht und Schatten auf der einen und die Leidenschaft für Film auf der anderen Seite, ist der hierzulande etwas schwülstig betitelte »Das Licht aus dem die Träume sind« eine pure Liebeserklärung an das Kino. Das fängt schon beim Originaltitel »Last Film Show« an, eine deutliche Verneigung vor Peter Bogdanovichs »The Last Picture Show« , und setzt sich mit Huldigungen an große Regisseure wie Cassavetes und Truffaut fort. Die märchenhafte Erzählung wiederum ist fest verwurzelt im Kino Bollywoods, dem Nalin gleichermaßen Tribut zollt. In der gradlinig erzählten Geschichte findet sich aber auch Kritik am Kastensystem und an patriarchalischen Strukturen. Erwachsene ebenso wie Kinder werden sich von Samays Begeisterung für die Magie des Kinos mühelos anstecken lassen.
»Das Licht aus dem die Träume sind«: ab 12.5., Passage-Kinos, Schauburg
Marx am Ostseestrand: Allein die Verbindung von Thema und Setting lässt eine Spur der Eigenwilligkeit ausmachen, die den neuen Film von Julian Radlmaier (»Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes«) durchzieht. »Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit« – aus dieser Metapher, dem »Kapital« entnommen, entspinnt sich Radlmaiers marxistisch-marxkritisches Schelmenstück: Rund um das Ostsee-Anwesen der Fabrikbesitzerin Flambow-Jansen (hinreißend flamboyant: Lilith Stangenberg) dreht ein Haufen exzentrischer Gestalten im Jahre 1928 einen Vampirfilm. Beteiligt sind neben Flambow-Jansen selbst auch ein sowjetischer Baron sowie Madames »persönlicher Assistent« Jacob. Die Dreharbeiten interferieren mit amourösen Absichten, auch mehren sich die Zeichen, dass auf dem Anwesen echte Vampire ihr Unwesen treiben. Den irren Mehrfachspagat zwischen ernsthaftem Marx-close-reading und sommerlicher Vampirkomödie entfaltet Radlmaier ganz entspannt im Zwischenreich der Groteske. Das macht besonders viel Spaß, wenn es in manchen Szenen so hemmungslos ins Alberne gleitet, dass es an den frühen Helge Schneider grenzt. Von der Coca-Cola-Dose am Dinnertisch bis zum Schneckenschleim am Sakko-Ärmel – hier thront jedes (anachronistische) Detail am rechten Platz und eine frivole Moral gibt es auch: Kapitalismus kostet Leben, aber wir lieben ihn trotzdem, denn er ist sexy und alternativlos.
KARIN JIRSAK
»Blutsauger«: ab 12.5., Kinobar Prager Frühling, 16.5., 21 Uhr, Passage-Kinos
Weitere Filmtermine der Woche
Bikes for the World
Eine-Welt-Haus, 20.05. 19:30 (Fahrradkino)
Im Garten des Eine-Welt-Hauses in Connewitz werden kurze Dokumentarfilme gezeigt, die sich mit Fahrrädern im globalen Süden beschäftigen. Der Strom fürs Kino wird durch Fahrräder erzeugt. Eintritt frei.
Blinde Wut
USA 1936, R: Fritz Lang, D: Sylvia Sidney, Spencer Tracy, Bruce Cabot, 89 min
Bibliotheca Albertina, 18.05. 20:00 (Eintritt frei, German Expressionism in Hollywood, OmU)
Mit »Metropolis«, »M« und »Das Testament des Dr. Mabuse« schuf Fritz Lang einige der frühesten und größten Meisterwerke der Filmgeschichte. Mitte der 1930er-Jahre emigrierte der Regisseur in die USA und drehte dort über zwanzig Filme. »Blinde Wut« ist der erste davon, Spencer Tracy spielt darin einen Mann, der unschuldig ins Gefängnis kommt, für eine Kindesentführung, die er nicht begangen hat.
Das Konzentrationslager Dachau
D 2021, Dok, R: Maya Schweizer, Benjamin Meyer-Krahmer, Clemens von Wedemeyer, 38 min
Kunstraum Ortloff, 19.05. 18:00 (anschl. Gespräch)
Überblicksfilm zur Geschichte des Konzentrationslagers Dachau und seiner Nachgeschichte von 1945 bis heute. Am 19.5. mit anschl. Gespräch mit Benjamin Meyer-Krahmer und Künstlerin Yvon Chabrowski im Rahmen der Ausstellung »No Fear Every Body«.
Detektiv Conan 25: Die Halloween Braut
J 2022, R: Susumu Mitsunaka
Cineplex, 20.05. 20:00 (Anime-Preview)
Brandneuer Teil der traditionsreiche Anime-Reihe.
Die Nibelungen 2: Kriemhilds Rache
D 1924, R: Fritz Lang, D: Theodor Loos, Paul Richter, Hanna Ralph, 129 min
Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, 19.05. 19:30 (Festtage Leipziger Romantik)
Teil zwei der berühmten deutschen Sage. Das monumentale Werk von Fritz Lang ist einer der kommerziell erfolgreichsten Filme der 1920er Jahre und ein Meilenstein der Filmgeschichte.
Im Umbruch: Go. Stay. Dance.
D 2022, R: Barbara Lubich
Luru-Kino in der Spinnerei, 17.05. 19:00 (Leipzig-Premiere mit Barbara Lubich), 21:00, 18.05. 19:00
Filmische Begegnung mit drei Künstlerinnen aus drei Jahrgängen über ihren Tanz zwischen Alltag und Vision, Kunst und Kunstbetrieb, Eigensinn und Gemeinschaft, verschwundenen Grenzen und beständigen Werten.
Loving Highsmith
CH/D 2021, Dok, R: Eva Vitija-Scheidegger, 84 min
Kinobar Prager Frühling, 13.05. 18:00 (Einführung und Lesung mit der Leipziger Schauspielerin Corinna Waldbauer)
Dokumentarisches Porträt der Autorin Patricia Highsmith.
Myselfie
D 2019, Dok, R: Anne Scheschonk, 50 min
Zeitgeschichtliches Forum, 18.05. 19:00
Die Hallenser Filmemacherin Anne Scheschonk begleitet ein Mädchen, dem alle Haare ausgefallen sind, bei ihrer Suche nach sich selbst. Am 18.5. Filmgespräch mit der Regisseurin und dem Filmwissenschaftlerin Luc-Carolin Ziemann im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung »#DeutschlandDigital«.
Outback Rabbis
AUS 2019, Dok, R: Danny Ben-Moshe, 92 min
Cinémathèque in der Nato, 18.05. 19:00 (OV, Screening Religion mit anschl. Diskussion)
Auf einem einzigartigen Roadtrip begeben sich ultraorthodoxe chassidische Rabbiner auf der Suche nach »verlorenen Juden« in den australischen Busch.
Shorts Attack: Cannes Competition Shorts
UT Connewitz, 20.05. 20:00 (alle OmeU)
Die besten Kurzfilme aus dem Wettbewerb des letztjährigen Cannes-Filmfestivals.
The Far Road
J 1977, R: Sachiko Hidari, D: Sachiko Hidari, Hisashi Igawa, Yoshie Ichige, 114 min
Cinémathèque in der Nato, 17.05. 19:00 (anschl. Gespräch mit Gästen, OmeU, Reihe »Arbeit/Schaffen«)
Einer der ersten Spielfilme einer japanischen Regisseurin überhaupt, der in Zusammenarbeit mit den japanischen Eisenbahngewerkschaften entstanden ist und das Arbeitsleben in seiner Alltäglichkeit thematisiert.
Zuhurs Töchter
Kinobar Prager Frühling, 17.05. 18:00 (Internationaler Tag gegen Homophobie,Transphobie und Biphobie)
Drei Jahre lang haben die Filmemacher Laurentia Genske und Robin Humboldt zwei syrischen Trans-Schwestern mit der Kamera begleitet. Ein berührender Film über Toleranz.
Titelfoto: Filmstill Das Licht aus dem Träume gemacht sind. Copyright: Neue Visionen Filmverleih.