Das 19. Neiße Filmfestival ist eröffnet. Nach zwei turbulenten Jahren, die nicht zuletzt für ein grenzüberschreitendes Festival wie dieses eine große Herausforderung darstellten, ist die Freude umso größer, dass es nun wieder gemeinsam mit den Partnern in Tschechien und Polen an insgesamt 14 Orten in den drei Ländern stattfinden kann. Organisiert und auf die Beine gestellt wird es wie in jedem Jahr vom Kunstbauerkino Großhennersdorf und vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern aus der Region. Mit dem Soziokulturellen Zentrum »Telux« in Weißwasser ist die Zahl der Spielstätten auf 22 angewachsen und die Distanz zwischen der Stadt im Norden von Görlitz und dem südlichsten Festivalkino im tschechischen Liberec auf stolze 130 Kilometer. Eine enorme logistische Herausforderung für das Festivalteam. Daneben gibt es ein buntes Rahmenprogramm mit Konzerten, etwa mit der Leipziger Formation »Karl die Große«, einer Lesung mit Lutz Seiler im Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau, Filmklassiker von 70mm-Rollen im beeindruckenden Centrum Panorama im tschechischen Varnsdorf und vieles mehr.
»19. Neiße Filmfestival«: 17.–21.5., diverse Orte
Film der Woche: Ein verlassenes Farmhaus mitten im Nirgendwo, eine zerstückelte Leiche vor der Veranda und unaussprechliches Grauen im Keller – »X« drückt von der ersten Einstellung alle Knöpfe der klassischen Slasher-Filme des Kinos der Siebziger auf Anschlag. Doch Regisseur, Autor, Produzent und Cutter Ti West ist ein Meister der Irreführung und reizt die Spannung über die ruhige erste Stunde hinweg bis zum Zerbersten. In der erleben wir eine Pornofilmcrew dabei, wie sie ihren ersten Film realisieren will. Dafür haben sie sich allerdings ausgerechnet die Scheune eines uralten Ehepaars ausgesucht. Der Hausherr wedelt meist schießwütig mit der Schrotflinte vor der Nase der Eindringlinge, während die Ehefrau ihrer verlorenen Jugend nachtrauert und ihrer Sehnsucht mörderisch Nachdruck verleiht. West inszenierte seine blutige Mischung aus Sex und Gore im Stil der klassischen Grindhouse-Filme. Neben dem bewussten Trashfaktor verleiht er seinen Figuren aber Konturen und Sehnsüchte, die dem Genrefilm frisches Blut verleihen.
»X«: ab 19.5., Cineplex, CineStar, Regina Palast
Ein texanischer Autohändler hat sich eine ganz besondere Werbeaktion einfallen lassen, eine Art Gewinnspiel mit Durchhaltekomponente. Zwanzig Kandidaten legen Hand an einen blauen Pickup-Truck, der letzte, der loslässt, darf den Neuwagen mit nach Hause nehmen. Die Aktion dauert Tage und wird als Spektakel inszeniert; außer regelmäßigen Ess- und Pinkelpausen dürfen sich die Anwärter nicht von der Stelle rühren. Was als Reklamegag beginnt, bekommt durch Schlafentzug und Erschöpfung bald den Charakter einer öffentlich inszenierten Tortur. Horror-Autor Stephen King machte aus einem ganz ähnlichen Thema seinen Roman »Todesmarsch«, und auch Bastian Günthers Film streift das Genre mit geradezu soziologischer Neugier. Dabei wird schnell augenfällig, dass hier der Kapitalismus selbst auf der Anklagebank sitzt. Im Kampf um den exklusiven Hauptgewinn kommt es unter den tendenziell eher armen Kandidaten nämlich bald zu unschönen Szenen; um nicht zu den 19 Verlierern zu gehören, muss man erst an die eigenen Grenzen gehen und dann die der anderen übertreten. Besonders beklemmend ist »One Of These Days« auch deshalb, weil der Regisseur seinen Film weder als beißende Satire noch als sadistischen Spaß konzipiert hat. Seine warmen Farben und der behutsame Blick auf die hoffnungsvollen Hauptfiguren zeugen einerseits von großer Empathie, andererseits von erfrischender Distanz und Klarsichtigkeit.
MARKUS HOCKENBRINK
»One Of These Days«: ab 19.5., Passage-Kinos
Der Vorspann bebildert Lulus Leben vom Welpen zu einem ausgezeichneten Militärhund, der vielen Soldaten das Leben rettete, bevor er selbst schwer verwundet und ausgemustert wurde. Ein gebrochenes Wesen, traumatisiert, zerstört, ebenso wie Jackson Briggs, der sich aus dem Alkoholrausch mühsam auf die Beine kämpft, um seinen trüben Arbeitstag im Fast-Food-Restaurant anzutreten. Ein Telefonat macht klar: Er will eigentlich zurück an die Front. Doch sein medizinischer Bericht sieht das anders. Sein ehemaliger Vorgesetzter gibt ihm eine letzte Chance: Er soll Lulu zur Beerdigung von Briggs Waffenbruder Rodriguez bringen, bevor sie eingeschläfert wird. So beginnt für die beiden ein Road-Trip, der leicht vorhersehbar und klischeehaft hätte verlaufen können, wäre da nicht die blendende Chemie zwischen Channing Tatum und seinem vierbeinigen Leinwandpartner. So reiht sich »Dog« in die Klassikerriege der tierischen Buddy-Movies wie »Scott & Huutsch« und »Mein Partner mit der kalten Schnauze« ein und erzählt darüber hinaus – wenn auch etwas weichgezeichnet – vom Schicksal der US-Soldaten nach dem Kriegseinsatz.
»Dog«: ab 19.5., Cineplex, Regina Palast
In der Gegenwart kann Ludger Fuchs endlich in seine alte Stasi-Akte schauen. Neben Unterlagen über den früheren Widerstandskämpfer befindet sich darin auch ein zerrissener Liebesbrief. Seine Frau wird hellhörig, denn sie ist sich sicher, dass die beiden zu der Zeit schon zusammen waren. Ludger erinnert sich an die 80er Jahre zurück, seine Zeit in der Berliner Kulturszene, die undurchschaubare Natalie und seine geheime Laufbahn als Spitzel der Stasi.
Im deutschen Film gibt es Werke über die DDR wie Sand am Meer. Zumeist sind das ernste Dramen oder spannende Thriller. Vielleicht ist es da schon ein Statement, dass Regisseur Leander Haußmann genau das Gegenteil gemacht hat. Die »Stasikomödie« ist nicht nur der dritte und letzte Teil seiner DDR-Trilogie, sondern auch alles andere als konventionell. Das liegt an der Tonalität des Films, denn der wird seinem Namen allemal gerecht. Haußmann gelingt es, die Emotionen, Handlungen und Konflikte seiner Figuren nachvollziehbar und oft sympathisch zu inszenieren. Das ist bemerkenswert, weil Albernheit, überdrehte Figuren und unkonventionelle Ideen hier immer wieder an einen Humor erinnern, den Monty Python geprägt hat und den man zuletzt herausragend in »Jojo Rabbit« erleben konnte. Dem jungen Ludger (David Kross) und seiner Zerrissenheit zwischen Systemtreue und freiem, kreativen Leben schaut man deshalb genauso gerne zu, wie dem grotesk, überdrehten Henry Hübchen als Stasi-Offizier. Wenn diese überdrehte Albernheit funktioniert, ist das die große Stärke des Films, doch wo bei wichtigen Figuren der Balanceakt zwischen komischen Handlungen und plausiblen Figurenmotivationen gelingt, sind einige Nebenfiguren eine Karikatur ihrer selbst. Diese forcierten Witze braucht es deshalb ebenso wenig wie die Rahmenhandlung der Gegenwart. Ihr ist geschuldet, dass der Film rund 20 Minuten braucht, um in Fahrt zu kommen. Sie sorgt zwar für Versöhnung und Pathos, aber das Wichtigste ist hier eh der Humor und das Vorführen der Stasi.
KAI REMEN
»Stasikomödie«: ab 19.5., Cineplex, CineStar, Passage Kinos, Regina Palast, Schauburg
Weitere Filmtermine der Woche
Chai. Chinesisches Filmfestival
Das Konfuzius-Institut Leipzig zeigt wieder aktuelle Dokumentar- und Spielfilmproduktionen aus dem und über das Reich der Mitte. Eröffnet wird das diesjährige Festival mit »Wuhan Wuhan«, der das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie aus der Sicht der Bevölkerung der Millionenmetropole zeigt.
Cinémathèque in der Nato, 25.5.–28.5.
Auch Henker sterben
USA 1943, R: Fritz Lang, D: Brian Donlevy, Walter Brennan, Anna Lee, 130 min
Fritz Langs siebter US-Spielfilm basiert sehr lose auf den Ereignissen um das Attentat auf den berüchtigten Nazi-Politiker Reinhard Heydrich im Jahr 1942 in Prag durch zwei Exil-Tschechen und -Slowaken. Anders als in der Realität ist es hier ein Arzt, der nach der Ermordung Heydrichs auf der Flucht ist, während die Nazis blutige Rache an der Bevölkerung üben.
Bibliotheca Albertina, 25.05. 20 Uhr (Eintritt frei, German Expressionism in Hollywood, OmU)
Bikes for the World
Im Garten des Eine-Welt-Hauses in Connewitz werden kurze Dokumentarfilme gezeigt, die sich mit Fahrrädern im globalen Süden beschäftigen. Der Strom fürs Kino wird durch Fahrräder erzeugt. Eintritt frei.
Eine-Welt-Haus, 20.05. 19:30 Uhr (Fahrradkino)
Das Auge Afrikas. Der Filmpionier Hans Schomburgk
D 2020, Dok, R: Anna Neuhaus, 90 min
Die Dokumentation erzählt die Geschichte des Filmpioniers Hans Schomburgk, der als erster Filmemacher seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Schönheit Afrikas mit der Kamera einfing. Am 24. Mai mit kritischer Einführung zum deutschen Kolonialismus von Lars Müller.
Grassi-Museum für Völkerkunde, 24.05. 18 Uhr (mit Einführung)
Das Konzentrationslager Dachau
D 2021, Dok, R: Maya Schweizer, Benjamin Meyer-Krahmer, Clemens von Wedemeyer, 38 min
Überblicksfilm zur Geschichte des Konzentrationslagers Dachau und seiner Nachgeschichte von 1945 bis heute. Am 19.5. mit anschl. Gespräch mit Benjamin Meyer-Krahmer und Künstlerin Yvon Chabrowski im Rahmen der Ausstellung »No Fear Every Body«.
Kunstraum Ortloff, 19.05., 18 Uhr (anschl. Gespräch)
Detektiv Conan 25: Die Halloween Braut
J 2022, R: Susumu Mitsunaka
Brandneuer Teil der traditionsreiche Anime-Reihe.
Cineplex, 20.05. 20:00 (Anime-Preview)
Die Niebelungen 2: Kriemhilds Rache
D 1924, R: Fritz Lang, D: Theodor Loos, Paul Richter, Hanna Ralph, 129 min
Teil zwei der berühmten deutschen Sage. Das monumentale Werk von Fritz Lang ist einer der kommerziell erfolgreichsten Filme der 1920er Jahre und ein Meilenstein der Filmgeschichte.
Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli, 19.05. 19:30 (Festtage Leipziger Romantik)
Erwartung – Der Marco-Effekt
DK/D/CZ 2021, R: Martin Zandvliet, D: Ulrich Thomsen, Zaki Youssef, Sofie Torp, 125 min
Adaption des fünften Teils von Jussi Adler-Olsens international gefeierter Buchreihe um Spezialermittler Carl Mørck vom Sonderdezernat Q und gleichzeitig ein Reboot der Serie: Ulrich Thomsen und Zaki Youssef übernehmen unter der Regie von Martin Zandvliet (»Unter dem Sand«).
Kinobar Prager Frühling, 27.05., 21 Uhr (Horror im Mai, Preview)
From Here
Dok, R: Christina Antonakos-Wallace, 89 min
Der Dokumentarfilm porträtiert das Leben von eingewanderten Künstlern und Aktivisten in New York und Berlin angesichts eines immer fremdenfeindlicheren Gesamtklimas.
UT Connewitz, 21.05., 20 Uhr (OmeU, in Anwesenheit der Regisseurin und Protagonist Miman)
Im Umbruch: Go. Stay. Dance.
D 2022, R: Barbara Lubich
Filmische Begegnung mit drei Künstlerinnen aus drei Jahrgängen über ihren Tanz zwischen Alltag und Vision, Kunst und Kunstbetrieb, Eigensinn und Gemeinschaft, verschwundenen Grenzen und beständigen Werten.
Luru-Kino in der Spinnerei, 17.05., 19 Uhr (Leipzig-Premiere mit Barbara Lubich), 21 Uhr und 18.05., 19 Uhr
Jeanne Dielman
F/B 1975, Dok, R: Chantal Akerman, 210 min
In dem experimentellen Klassiker von Chantal Akerman begegnen wir der alleinerziehenden Jeanne, die sich neben dem Alltag im Haushalt mit gelegentlicher Sexarbeit über Wasser hält.
Cinémathèque in der Nato, 24.05., 19 Uhr (mit Einführung, OmU, Reihe »Arbeit/Schaffen«)
Mamma Roma
I 1962, R: Pier Paolo Pasolini, D: Franco Citti, Anna Magnani, Silvana Corsini, 100 min
Die zweite Regiearbeit von Pier Paolo Pasolini erzählt in stilisierten Bildern vom zum Scheitern verurteilten Versuch eines Aufstiegs vom Proletariat ins Kleinbürgertum.
Ost-Passage-Theater, 25.05., 20 Uhr (OmU, zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini)
Subverting the History: Sensory Visions, Micro-Histories – Kurzfilmprogramm
UKR/BRS 2017–2021
Experimentelle und dokumentarische Kurzfilme, die auf der Ebene von Erscheinungen, Phänomenen und deren Mikro-Umgebungen agieren. – Soli-Filmprogramm, organisiert von einem Netzwerk von Künstlerinnen aus der Ukraine, Belarus, Russland und Europa.
Schaubühne Lindenfels, 27.05., 19 Uhr (Subverting the History, OmeU)
Sequin in a blue room
AUS 2019, D: Conor Leach, Jeremy Lindsay Taylor, Anthony Brandon Wong, 80 min
Porträt einer ständig eingeloggten Generation auf der Suche nach schnellem, unkompliziertem Sex in Dating-Apps.
Passage-Kinos, 25.05., 19:30 Uhr (OmU, QueerBLICK)
Shorts Attack: Cannes Competition Shorts
Die besten Kurzfilme aus dem Wettbewerb des letztjährigen Cannes-Filmfestivals.
UT Connewitz, 20.05. 20:00 (alle OmeU)
Titelbild: Filmstill aus »X«, Copyright capelight pictures OHG / Christopher Moss