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»Bach war wahrscheinlich nicht besonders kompromissbereit«

Bachfest-Intendant Michael Maul im Interview

  »Bach war wahrscheinlich nicht besonders kompromissbereit« | Bachfest-Intendant Michael Maul im Interview

In diesem Jahr wird es wieder ein Bachfest in Leipzig geben, traditionell mit Künstlern und Besuchern aus aller Welt. Vom 9. bis zum 19. Juni finden Johann Sebastian Bach zu Ehren über 150 Konzerte in Kirchen und Konzertsälen statt. Intendant Michael Maul spricht mit dem kreuzer über Bach als Familienmenschen, die Verbundenheit von Bachfans weltweit und die Herausforderung, ein internationales Festival ökologisch nachhaltig zu gestalten.

kreuzer: Das Bachfest verspricht in diesem Jahr ein buntes Miteinander von Profis und Amateuren, Aufführenden und Publikum. Ist das neu in der Geschichte der Bachfeste?

MAUL: Ja, leider, kann man fast sagen. Die ursprüngliche Idee für 2020 war, die größte Zusammenkunft der globalen Bach-Community aller Zeiten zu feiern. Dazu gehörte auch, dass die aus aller Welt anreisenden Bachchöre nicht nur zuhören, sondern auch mitmachen dürfen. Es hatten damals, vor der Pandemie, über 50 Chöre zugesagt. Wir realisieren diese Idee nun mit circa 20 Chören. Sie kommen aus Deutschland und Europa, aber auch aus Paraguay, Japan und Kanada.
Wir haben außerdem den »BACH – We-Are-FAMILY-Chor«, gegründet, mit 92 Menschen aus 17 Ländern, die sich bisher noch nicht kennen. Innerhalb von vier Tagen werden diese zu einer Chor-Familie zusammenwachsen.

Wer darf dort mitsingen?

Es gab sehr viele Anmeldungen. Was alle Teilnehmer gemeinsam haben, ist ihre Liebe zu Bach. Viele wollen ihren Lebenstraum verwirklichen, an Bachs Wirkungsorten zu singen. Das wird spannend und bewegend, wenn Bach-Begeisterte aus aller Welt in einem Chor vereint sind.

Wird ein »BACH – We-Are-FAMILY-Chor« auch 2024 wieder aktiv?

Es gibt bereits eine Warteliste für den Chor und wir überlegen, ob wir ihn als Markenzeichen für die folgenden Feste ab 2024 etablieren. Wir wollen aber erst einmal aus den Erfahrungen in diesem Jahr lernen. Generell scheinen Mitmachformate ein Trend im Bereich der klassischen Musik zu sein, die gut angenommen werden.

Im Rahmen des Bachfestes wird das neue Bach-Werke-Verzeichnis präsentiert. Neuerkenntnisse der jüngsten Bachforschung sollen dabei berücksichtigt werden. Welche sind das?

Das Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) ist schon über 70 Jahre alt. Die jetzige Neuausgabe ist im Grunde die 3. Ausgabe. Neuerkenntnisse gibt es immer wieder. Was am seltensten passiert, ist, dass neue Werke auftauchen, aber auch das ist in den letzten 20 Jahren passiert. Die Chronologie von Bachs Werken ist ein Puzzlespiel, auch hier wurde anhand von Papieranalysen und den Identitäten von Notenkopisten nachgearbeitet und all diese Erkenntnisse haben meine Kollegen ebenfalls ins neue BWV einfließen lassen.

Sie stellen auch Ihr eigenes Buch vor: »Bach-Eine Bildbiografie«. Gibt es eine bestimmte Zielgruppe für dieses Buch?

Als Bach-Forscher versuche ich, auch über meinen persönlichen Bach aufzuklären. Ich konzipiere schon seit Jahren Formate für ein breiteres Publikum und versuche den Spagat, Dinge nicht zu sehr zu vereinfachen, dabei aber für jeden verständlich zu machen. Meine Hör-Biografie »Universum JSB«, die seit 5 Jahren bei Deutschlandfunk Kultur läuft, hat eine ziemliche Resonanz. Zugleich bespreche ich unter anderem auf MDR Kultur jeden Sonntag mit meinem Kollegen Bernhard Schrammeck sehr locker eine Bachkantate, die für diesen Tag entstanden ist.  Aus dem Versuch, die Sendereihe in ein Buch zu fassen, entstanden 141 Texte und Bilder, die wie eine Chronik durch Bachs Leben führen. Und das in einer sehr anschaulichen Sprache, auf deutsch und englisch.

Was wissen wir heute über Bach als Familienmenschen?

Das ist nicht leicht zu sagen. Wir haben über 1000 Werke von ihm. Dokumente oder Briefe, die etwas über seinen Charakter aussagen, sind allerdings rar gesät und fallen sehr unterschiedlich aus. Bach war wahrscheinlich nicht besonders kompromissbereit. Vermutlich hat er auf Menschen, die nichts mit seiner Kunst anfangen konnten, sehr sonderbar gewirkt. Er war ein fantastischer Lehrer, fünf seiner Söhne sind erfolgreiche Musiker geworden.

Nahe Leipzig wurde jüngst ein »Wald für Bach« gepflanzt. Die Idee dahinter: den ökologischen Fußabdruck der anreisenden Bach-Fans zu relativieren. Ist diese Aktion auch Teil des diesjährigen Bachfestes?

Der Wald soll dem Bachfest auf verschiedenen Ebenen ein ständiger Begleiter sein. Wir sind als internationales Festival ein großer Publikumsmagnet. Je erfolgreicher das Fest ist, desto größer ist der CO2 Ausstoß. Das wollten wir thematisieren und für Kompensation ein Bewusstsein schaffen. Statt Blumen bekommen die Künstler in diesem Jahr eine Urkunde, darüber, dass wir für sie zehn Bäume im Bach-Wald pflanzen. Ein weiterer neuer Versuch ist das Klimakonzert, wo für den Wald gespendet werden kann.

Das Motto des diesjährigen Bachfestes hat ja etwas Maximales, Weltumspannendes. Wollen Sie das im nächsten Jahr toppen?

Es wird mit etwa 150 Konzerten wieder in diese Richtung gehen. Nächstes Jahr jährt sich Bachs Antritt als Thomaskantor zum 300. Mal. Da wollen wir einerseits ehrfurchtsvoll zurückblicken, andererseits ist die Rezeption im Fluss, da heißt es dann: »BACH for Future«.


Vom 9. bis zum 19. Juni finden Johann Sebastian Bach zu Ehren über 150 Konzerte in Kirchen und Konzertsälen statt. Es gibt Konzertfahrten un diie »BachStage« auf dem Leipziger Markt ist für jeden zugänglich. 

Alle weiteren Informationen zu Veranstaltungen rund um das Bachfest finden Sie hier

Titelfoto: Michael Maul bei der Eröffnung des Bachfests 2019. Copyright: Bachfest Leipzig/Jens Schlüter. 


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