Zum 46. Mal wurde vergangenes Wochenende der Bachmannpreis verliehen. Einer der wichtigsten Literaturwettbewerbe überhaupt, die Champions League im Vorlesen, quasi. Was wir von Profifußballspielen kennen – Straßensperren, Randale, aber auch die große mediale Aufmerksamkeit, Millionensummen und begeisterten Fanscharen – ist beim Wettlesen eher unüblich. Schade eigentlich. Denn was die Fußballfans können, das können wir schon lange. Wir haben keine Ahnung, aber wir sind sehr laut. Aufmarsch der Bachmannultras.
Seit Monaten fiebern wir auf das Ereignis des Jahres hin: den Bachmannpreis, zum ersten Mal seit Corona wieder vor Publikum. Wir alle erinnern uns noch an die furchtbaren Bilder von Geisterlesungen in leeren Literaturhäusern. Doch die Begeisterung für die schönste Nebensache der Welt ging uns nie verloren.
Wir treffen uns zum Public Viewing in der Innenstadt. Im Barfußgässchen ist kein Durchkommen, überall leuchten uns Bachmannschals entgegen, der Veltiner fließt in Strömen. Man begrüßt sich etwas scheu mit der Fauser-Faust, vom epischeren, aber blutigeren Götzegruß (Rasierklingenschnitt in die Stirn, dann Headnut) ist man in der Pandemie abgekommen.
Die Qualifikationsrunde hatte im Vorfeld bereits für Aufregung gesorgt. Für Deutschland steht unter anderem Andreas Moster auf dem Platz, der laut eigenen Angaben nur »eingeschränkt schreib- und gesellschaftsfähig« ist. Sehnenscheidenentzündung? Schreibblockade? Das wird sich auf den Wettkurs niederschlagen. Außerdem hat sich Leona Stahlmann vom FC Kain&Aber qualifiziert, ihre Paniniautorinnenbilder sind auf Ebay nicht mehr zu bekommen. Dass neuerdings allein auf dem Rasen gelesen wird, während die Jury drin zusammenhockt, hat was von Drittliga. Aber hey, ist da noch was drin in dem Veltiner?
Nach Klagenfurt in die ORF-Arena fahren konnten wir nicht, einigen von uns hängt noch dieses lächerliche Stadionverbot an, dämlicher BGH. Darum marschieren wir nach Anpfiff vor der Buchhandlung Wörtersee auf. »Ole, Ole, nur noch der BP!«, ruft die Fankurve. Dann zieht der Fahrradkorso Richtung DNB, wo die Bücher sind. Warum, wissen wir auch nicht so genau, aber randaliert werden muss, wie es sich für so ein Derby gehört. Wir haben heute noch einige Scheiben einzuschlagen, Trams vollzupissen und Polizisten zu attackieren. Der Helikopter zieht beruhigend seine Kreise über uns, deswegen hört die Studentin, die die Treppen der DNB hoch huscht, nicht, wie wir ihr »Literathure!« nachrufen. Egal.
Die Stimmung ist am Kochen, die Lager gespalten. In welcher Spielminute genau fiel nicht das Wort Transformation? Was wird wohl die Ablösesumme für Publikumspreisträger Hirschl sein? Und den Treffer von Guse, den würden wir gern nochmal in Zeitlupe sehen. Aber die Video-Schiedsrichterassistenz funktioniert eh nicht, sagt jemand, der Text von Marwan heiße gar nicht Wechsel-, sondern Westkröte. Eine klares Foul an Buluczs Text Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen. Jetzt fliegen Fäuste und Veltinerflaschen. »Ingeborg, Ingeborg!«, wird da gegrölt, »Bachmann!« schallt es zurück. Pyro, Wasserwerfer. Dass der Pokal derweil an Ana Marwan geht, interessiert hier keinen. Nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Wir sammeln unsere Zähne auf und gehen nach Hause. Kraft schöpfen. Schließlich steht bald der Büchnerpreis an.
Marlene Fleißig ist Autorin, Literaturübersetzerin und Dolmetscherin, mit Herzblut überträgt sie Texte aus dem Englischen und Spanischen ins Deutsche. Ihr Debütroman »Bestimmt schön im Sommer« erschien 2019 bei Hanserblau.
Titelfoto: Marlene Fleißig.