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Stadtleben

»Für den Hund sind die Kinder viel lieber leise, als wenn ich das einfordere«

Grundschullehrerin Kristina Unger bezieht ihren Hund in den Unterricht ein

  »Für den Hund sind die Kinder viel lieber leise, als wenn ich das einfordere« | Grundschullehrerin Kristina Unger bezieht ihren Hund in den Unterricht ein

Die Titelgeschichte der Juli-Ausgabe des kreuzer liefert Einblicke ins Berufsleben von Leipziger Hunden. Den Anfang macht Schulhund Polly. Ihre Halterin, Kristina Unger, hat über ihren gemeinsamen Arbeitsalltag gesprochen.


Ein Nachmittag an der Fritz-Baumgarten-Schule in Leipzig. Schulhund Polly, eine sechsjährige Boston-Terrier-Hündin, hebt neugierig den Kopf, als wir das Klassenzimmer betreten. Schnell macht sie es sich aber wieder auf ihrem Kissen bequem, denn normalerweise ist sie mehr Trubel gewohnt als eine einzelne Journalistin. Zweimal die Woche begleitet sie ihre Besitzerin, die Lehrerin Kristina Unger, und nimmt als Schulhund am Unterricht teil. Obwohl es im Interview mit Kristina Unger hauptsächlich um Polly geht, hört man die Hündin währenddessen nur ab und zu schnarchen.

Kristina Unger und Schulhund Polly
Kristina Unger und ihr Schulhund Polly

Wie sieht denn Pollys Arbeitsalltag aus?

In der Regel ist sie an zwei Tagen in der Woche in zwei bis drei Unterrichtsstunden mit dabei. Das sieht dann so aus, dass wir mit einem Ritual beginnen und die Kinder Polly begrüßen. Wir sitzen im Sitzkreis, Polly in der Mitte und die Kinder geben ihr mittlerweile schon ganz viele Kommandos. Nach dem Begrüßungsritual gestalte ich mit Polly gern die Motivationsphase. Zum Beispiel habe ich Säckchen mit Zahlen drauf. Polly holt eines der Säckchen, legt es in einen Korb und die Kinder sagen dann gemeinsam, welche Zahl davor oder danach kommt. Mittlerweile sind die Kinder auch schon so geübt, dass sie das Kommando zum Apportieren und das Belohnungs-Leckerli selbst geben dürfen. Das empfinden sie natürlich als sehr motivierend. Danach hat Polly eine kleine Pause, sie geht auf ihren Platz und die Kinder arbeiten. Dass Polly entspannt schlafen kann, ist eine schöne Motivation für Ruhe im Klassenraum. Für den Hund sind die Kinder natürlich viel lieber leise, als wenn ich das einfordere. Am Ende der Stunde kommen wir dann meistens noch mal im Sitzkreis zusammen. Und manchmal dürfen die Kinder, die gut mitgearbeitet haben, noch mal einen kleinen Trick mit Polly machen.

Das war dann der Arbeitstag für Polly?

Nicht ganz. Es gibt auch noch zwei sogenannte Neigungskurse, »Spiele mit Polly« und den Hundeführerschein, die sie mit mir besucht.

Das klingt nach einem anstrengenden Arbeitstag für die Hündin.

Das stimmt. Wir machen anschließend meist noch einen kurzen Spaziergang und dann ist sie auch geschafft und schläft nur noch. Am folgenden Tag darf sie pausieren und sich ausruhen.

Wie haben die Kinder Polly am Anfang des Schuljahres kennengelernt?

Ich habe mit den Kindern erst mal erarbeitet, was wichtig im Umgang mit Hunden ist, und die meisten Kinder waren da sehr aufgeschlossen und gespannt. Ich habe auch erklärt, dass es okay ist, wenn sie keinen Kontakt zu Polly möchten, da wird keiner gezwungen. Aber die Kinder freuen sich, wenn Polly und ich über den Schulhof gehen. Da begrüßen sie sogar als Erstes den Hund und nicht mich. Polly ist eine schöne Identifikationsfigur für die Klasse. Auf ihr bauen unser Belohnungssystem und viele unserer Rituale auf.

Jetzt haben wir über Pollys konkrete Arbeit gesprochen. Das Ganze nennt sich hundegestützte Pädagogik. Wie genau bereichert ein Hund den Unterricht?

Ich glaube, der wichtigste Faktor ist die Entwicklung im sozial-emotionalen Bereich. Der Hund weckt in den Kindern ein Gefühl von Empathie. Das heißt, für den Hund wollen sie leise sein, sie möchten dem Hund gefallen und lernen dadurch, sich in andere hineinzuversetzen. Dann reduziert ein Hund Stress. Das kann man tatsächlich messen: Wenn ein Hund anwesend ist, ist der Cortisolspiegel im Blut messbar niedriger. Oft ist es so, dass sich dann auch mal ein Kind traut, eine Aufgabe zu rechnen, das sonst vielleicht nicht laut vorrechnen würde.

Sprachförderung funktioniert auch ganz toll. Zum Beispiel Präpositionen üben. »Lege das Leckerli auf den Stuhl, unter den Stuhl, neben den Stuhl« und so weiter. Und dann ist ein Hund einfach ein Riesen-Motivationsfaktor.

Merkt man einen Unterschied bei den Klassen, die mit Polly arbeiten?

Meine letzte Klasse, die Polly über alle vier Schuljahre begleitete, habe ich als sehr sozial und angenehm empfunden. Das ist natürlich überhaupt nicht messbar, und wir wissen nicht, woran das wirklich liegt. Aber sie haben sich mit dem Hund zusammen einfach toll entwickelt.

Wie sieht die Ausbildung zum Schulhund aus?

Die ist sehr unterschiedlich, weil es keinen Standard gibt. Ich habe das in einem viermonatigen Kurs gemacht, der aus Theorie- und Praxiseinheiten bestand. Man lernt zum Beispiel, was Stressanzeichen beim Hund sind, wie er entspannen kann und wie Erste Hilfe funktioniert. Und natürlich werden Übungen erlernt, die man im Klassenzimmer nutzen kann. Ich hatte auch noch Einzelstunden mit der Hundetrainerin, in denen es vor allem darum ging, eine gute Bindung zu Polly aufzubauen. Die Arbeit in der Schule ging kleinschrittig los. Man geht erst mal komplett ohne Kinder in den Raum und der Hund darf gucken und schnüffeln. Das war am Anfang echt stressig für Polly, sie war nach zehn Minuten Gucken völlig fertig. Im nächsten Schritt kamen dann zwei, drei Kinder dazu, es wurde mal gerannt, ein Stuhl ist umgefallen. So Dinge, die vorkommen, an die sie sich gewöhnen musste. Nach etwa einem Jahr kam die Prüfung zum Schulhund.

Was haben Sie für ein Gefühl, was Polly von der Arbeit in der Schule hält?

Polly macht das sehr gern. Wenn sie etwas tun darf, ist sie hundertprozentig fokussiert und kann es kaum abwarten, dass es losgeht. Sie ist ein aktiver Hund und mag diese gemeinsamen Aktionen und Spiele mit den Kindern.

Nun darf Polly zeigen, was sie kann. Nachdem sie die Journalistin zur Begrüßung erst mal begeistert abschleckt, ist sie voll fokussiert auf ihre Aufgaben: Männchen machen, Pfötchen geben, Buchstabensäckchen einsammeln und durch die Arme springen. Vermutlich noch vier weitere Jahre wird Polly mit in die Schule kommen, dann darf sie in Rente, wenn sie möchte.

Fotos: Christiane Gundlach


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