Die Dielen des alten Hauses knarzen, die abgenutzte Klingel brummt nur schüchtern. Ein freundlicher Mann Anfang dreißig mit rötlichen Haaren bittet uns herein und an einen großen Holztisch. Henry Lewkowitz ist Geschäftsführer des Vereins Erich-Zeigner-Haus, der seit 2010 Workshops zu Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Erinnerungskultur anbietet und insbesondere im Leipziger Land Projekte zur Jugendbildung und Rechtsextremismusprävention betreibt – vom Wohn- und Arbeitsort des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten und Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner (1886–1949) aus.
Dass Sachsen ein beliebter Anlaufpunkt für die rechtsextremistische Szene ist, signalisieren mittlerweile auch staatliche Institutionen: Ende Februar 2022 wanderte die Warnung des Brandenburger Verfassungsschutzes durch die Medien, dass Brandenburg und Sachsen vermehrt Zuwanderungsziel von führenden rechtsextremen Personen seien.
Gerade in Dörfern und Kleinstädten gibt es oft keine staatlichen Stellen, die die Probleme Rassismus und Rechtsextremismus mit Jugendförderung oder Beratungsangeboten angehen. Diese Lücke muss durch engagierte Bürger und Bürgerinnen geschlossen werden. Hier fehlt es nicht am Engagement, einen Jugendclub oder ein Bildungsangebot zu starten, sondern am Geld – um Projekte umzusetzen, Mitarbeitende zu bezahlen und Räume zu mieten.
Das Erich-Zeigner-Haus finanziert sich ausschließlich über Projektförderungen. »Das hat den Vorteil, dass wir sehr frei in unserer Arbeit sind. Aber es besteht natürlich eine große Unsicherheit, da wir jährlich Geld beantragen müssen«, sagt Lewkowitz. »Wenn Förderer Formate des Projekts nicht mehr anerkennen, müssen wir auf Vereinsrücklagen zurückgreifen.« Durch die Corona-Pandemie seien diese nun erschöpft, weil digitale Formate oftmals nicht gefördert wurden: »Das führte dazu, dass sich unsere unabhängigen Honorarkräfte umgeschaut haben, ob es nicht sicherere Arbeitsplätze gibt«, konstatiert Lewkowitz. Zudem kam 2022 nach 16 Jahren die Absage des großen Fördermittelgebers »Weltoffenes Sachsen« – die Lage ist also angespannt: »Zum 1. Januar 2022 mussten wir Mitarbeitern kündigen.«
Auf eine schriftliche Anfrage an das für das Programm verantwortliche sächsische Innenministerium heißt es: »Das Landesprogramm ›Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz‹ (WOS) ist seit Jahren überzeichnet, sodass viele Vereine und Träger aufgrund des begrenzten Finanzumfangs des WOS und trotz guter Anträge nicht gefördert werden konnten.« Das Ministerium schreibt weiter, dass es die daraus resultierende fehlende Planungssicherheit für die Träger bedauere. Deshalb arbeite man mit dem sächsischen Sozialministerium daran, dass bereits bewilligte Projekte eine Förderung von bis zu drei Jahren vom Land erhalten.
Wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus ist, erläutern Axel Salheiser und Janine Patz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena: »Diese Projekte sind für die Demokratie unverzichtbar. Das Ziel ist, Menschen zu motivieren, sich demokratisch in unserer Gesellschaft einzubringen. Das muss von der Politik tatkräftig unterstützt werden. Denn es ist wichtig, dass es diese Projekte flächendeckend gibt und vor allem, dass sie langfristig vernünftig agieren können«, sagt Salheiser. Dazu stellt Patz aber fest: »Rechtsextremismus wird ernst genommen, wenn es zu spät ist. Wir nehmen gesellschaftliche Ungleichheiten nicht ernst, wir nehmen Rassismus nicht ernst und wir nehmen pauschale Politikverneinung nicht ernst. Das führt dazu, dass es einen Aufschrei gibt, wenn dramatische Ereignisse stattfinden, wie der Anschlag auf Walter Lübcke. Doch anschließend findet sich alles in seine gewohnte Ordnung zurück, ohne strukturelle Probleme anzugehen.«
Das Bundesfamilienministerium startete 2015 das Programm »Demokratie leben!«, das unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich gegen Demokratiefeindlichkeit engagieren, finanziell unterstützt. 2022 sind dafür 265 Millionen Euro vorgesehen, besonders für sogenannte Modellprojekte: Auf zwei bis vier Jahre angelegt, sollen diese neue Bildungsansätze der Extremismusprävention für alle Altersgruppen entwickeln. Auch Henry Lewkowitz hat fürs Erich-Zeigner-Haus einen Antrag auf ebendiese Förderung gestellt – ohne große Hoffnungen, weil »wir als kleiner Verein vor dem Problem stehen, dass bei diesem Antrag nur 80 bis 90 Prozent gefördert werden. Den Rest muss der Verein aus Eigenmitteln tragen.« Das muss er nun tatsächlich, denn entgegen Lewkowitz’ Erwartung wurde die Förderung bewilligt: der Verein erhält rund 160.000 Euro für ein Projekt, in dem sich Jugendliche mit Alltagsrassismus und Rechtsextremismus auf dem Land beschäftigen.
Lewkowitz betont, dass es professionelle Strukturen in Initiativen brauche, um überhaupt den Umfang der verschiedenen Anträge und die Organisation der Mittel stemmen zu können: »Normalerweise bräuchte ein Verein eine Stelle, die sich nur darum kümmert. Denn es geht unverhältnismäßig viel Zeit für die Beantragung und Abrechnung von Mitteln drauf.« Oft fehle aber das Geld für dieses Personal, weshalb viele Vereine erst gar keinen Antrag stellen – ein Teufelskreis.
> Der Text erscheint in Kooperation mit dem Recherche-Seminar im Master-Studiengang Journalismus an der Universität Leipzig.
Bildcredits: Erich-Zeigner-Haus e.V.