»SK« ist bis heute ein Muss. Als Aufnäher prangt er schwarz-rot auf den Jacken auch der jüngeren Punkgeneration, obwohl die Band hinter dem Logo schon lange nicht mehr existiert. »SK« steht für Schleimkeim, die wahrscheinlich einflussreichste Punkband der DDR, die heute unfreiwillig so etwas wie Ostidentität auch für die Spätgeborenen stiftet: »Ata, Fit, Spee, RFT, Boxerjeans, auf die ich steh. / Kittifix – Kleber, der hält, bei uns bekam man was für sein Geld.« Nicht um Identität, sondern Individualität, ja: Singularität geht es Abo Alsleben in seinem neuen Buch. Der Connewitzer Szene-Autor lässt sich von Schleimkeim inspirieren, um dem unangepassten Leben in Zeiten der Anpassung nachzuspüren. Er liefert einen wüsten Ritt und berührende Lektüre zugleich, schreibt von Exzess, Unterdrückung und Zerstörung.
Den von einigen Leipzigerinnen und Leipzigern herbeigesehnten Lexit hat Alsleben 2008 mit seinem Roman »Tschüss Deutschland« vorweggenommen, in dem er die Autonome Republik Connewitz ausrief. Hier regiert das Recht auf Faulheit, Rausch und Freiheit. Auch in anderen Arbeiten Alslebens ist eine Aufbruchstimmung zu spüren, wahrscheinlich ist es jener Sturm, der ihn selbst zur Wendezeit nach Leipzig wehte. Der gebürtige Schönefelder lebte einige Jahre in Halle und kam mit dem Mauerfall in die Stadt zurück. Er bastelte ein Metal-Fanzine, für das er mit der norwegischen Black-Metal-Band Mayhem Kontakt aufnahm. Und holte sie prompt zu einer kleinen Sachsentournee in die absterbende DDR – worüber er später ein Buch schrieb. In dem thematisiert er neben der musikalischen Reise zwischen Pentagrammen und stinkenden Schweineköpfen auch das Connewitzer Lebensgefühl, Hausbesetzung und Faschoangriffe. (s. kreuzer 11/2020)
Weiter zurück geht Abo Alsleben nun in »Der letzte Punk«, für das er sich Schleimkeim (SK) als Folie gesucht hat. Gegründet wurde das Trio 1980 in Stotternheim bei Erfurt von den Brüdern Dieter – »Otze« – und Klaus Ehrlich. Aufgrund ihres derb krachenden, schnellen Sounds mit Hardcore-Anleihen machten sie sich bald einen Namen, spielten vorwiegend in Kirchen und prägten den DDR-Untergrund mit. Zusammen mit Zwitschermaschine brachten Schleimkeim 1983 bei einem westdeutschen Label die Split-LP »DDR von unten« heraus. Sie gilt als erste Punkplatte der DDR. SK gerieten ins Visier des Staatsapparats. Es gibt aber Hinweise, dass Otze später selbst für Geld mit Behörden sprach. In den Nachwendejahren ging er durch Alkohol und andere Drogen zugrunde, wozu auch harte Erlebnisse in Psychiatrien beitrugen. Er verstarb 2005. Die Platte »Abfallprodukte der Gesellschaft« (1992) hat bis heute Kultstatus.
»Mich interessieren solche skurrilen Geschichten wie Otzes Leben oder Mayhems Bandstory«, sagt Alsleben, dessen Leben selbst voll solcher Geschichten ist, wie frühere Texte beweisen. Er nahm Dieter Ehrlichs Biografie »Satan, kannst Du mir nochmal verzeihen« als faktisches Gerüst, dem er fiktionales Fleisch beifügte, um eine plastische Geschichte zu schaffen. Um zu zeigen, dass er sich an der Wahrheit nur anlehnt, keine Dokumentation schreibt oder zu voyeuristisch wird, hat Alsleben manche Orte und besonders die Namen leicht verändert. »Dieter Ehrlich« heißt hier »Aufrecht«, »Otze« wird zu »Öse«, bei gleicher Namensherleitung. »Schleimkeim« heißt »Schmeißkeim«, die Leipziger Band »Wutanfall« »Tobsucht« und so weiter. Oberflächlich geht es um Stress mit staatlichen Autoritäten, mit Cops und Nazis. Exzess um Exzess wird bis zum Umfallen zelebriert.
Nicht jedes Detail ist sauber recherchiert. Da wird eine Flucht in Erfurt zwischen zwei Orten beschrieben, die real dreißig Meter voneinander entfernt liegen. Dort spricht auch niemand Sächsisch, sagt »Orr« oder »Meiner«. Aber das sind lässliche Kritteleien. Denn Alsleben gelingt es, ein Lebensgefühl auszubuchstabieren. Mit subtilem Witz sind Anspielungen auf SK-Texte eingefügt – etwa, wenn Öse Gothaer Bier »auf Raten« trinkt. Aber die größte Leistung Alslebens ist es, der – auch verklärten – Legende Otze menschliche Züge zu verleihen. Zwischen Suff und K. o. scheinen immer wieder berührende Momente auf, die man in einem Szene-Krach-Roman so nicht erwartet hätte.
> Abo Alsleben: Der letzte Punk. Leipzig: DIY 04277 Books 2022. 392 S., 12 €
Foto: Christiane Gundlach.