Im April verlieh die Stadt Leipzig der 80-jährigen Monika Güldner eine goldene Ehrennadel für ihr Engagement im Bürgerverein Kolonnadenviertel. Ihren aktiven Alltag voll Verantwortung und Organisation, der keine Grenze zwischen Privatleben und Ehrenamt kennt, meistert sie in Ruhe.
Der Höhepunkt nähert sich: 47 der 55 Teilnehmenden haben alle zehn Fragen richtig beantwortet und nehmen somit an der Verlosung der zehn Preise teil: Der Hauptgewinn ist ein Gutschein für die Therme. Monika und ihre jüngere Schwester sitzen unter dem weißen Pavillon und zählen die Fragen aus, dabei gibt Monika Zettel für Zettel immer wieder die richtige Antwortenkombination durch, ihre Schwester hakt zettelweise die richtigen Antworten ab. Hilfe bräuchten sie nicht, winkt Monika ab: »Wir sind ein eingespieltes Team«, und sie hätten sich ja extra eine Stunde hierfür eingeplant. Auch die Fragen hat sich Monika ausgedacht, die Antworten konnten bei den benachbarten Ständen erfragt werden, alles ist durchdacht. Zwischendurch kommen Leute vorbei, verabschieden sich, bedanken sich dafür, auf dem Kollefest ihren Stand aufbauen zu dürfen. »Recht herzlichen Dank, ich melde mich dann nächste Woche«, sagt Monika, die nebenbei die Statistik der Quizergebnisse säuberlich notiert.
Zwischen Wohnung und Vereinsbüro
Was immer Monika auch in die Hand nimmt, in aller Ruhe ist sie bei der Sache. Nebenbei kann sie Ansprechpartnerin bleiben, lässt sich aber auch nicht von dem, was sie gerade machen will, ablenken. Mit einem klaren Blick erfasst sie die Situation, ihre blauen, hellen Augen fallen mir bereits bei unserem ersten Kennenlernen auf. Mit »Der Kaffee tröpfelt noch« werde ich begrüßt, für das Treffen ist alles organisiert: Die 80-Jährige konnte ein Zeitfenster für unser Gespräch finden, die goldumrandeten Tassen mit Efeumuster, Untertassen und Löffeln stehen bereit. Wir sitzen uns gegenüber, Monika recht reserviert und ein bisschen kritisch, auf eine zurückhaltende, beobachtende Art. Inmitten der Flyerstapel, Spiele, Bücher und Bilder herrscht eine ruhige Atmosphäre in dem Vereinsbüro, in dem sie inzwischen den Großteil ihrer Zeit verbringt, nachher ist noch Spielenachmittag. Die 80-Jährige im lila Kleid zeigt mir ihren Kalender, täglich sind mehrere Termine für die »Kolle« – den Bürgerverein Kolonnadenviertel – eingetragen: »Ich bin jeden Tag unterwegs.«
Seit 1986 wohnt Monika im Kolonnadenviertel, gleich um die Ecke des Vereinsbüros, ihre jüngere Schwester wohnt auch hier. Es wohne sich gut. Man kenne sich, habe alles was, man braucht, die Wege sind kurz. Daher ist sie auch eine der Personen mit Schlüssel fürs Vereinsbüro. Eine ihrer regelmäßigen Vereinsaufgaben bedeutet, für die Malgruppen das Büro auf- und abzuschließen. Diese sind nur ein kleiner Teil von dem, was im Rahmen des Bürgervereins an Aktivitäten und Programm auf die Beine gestellt wird. Seit 2003 setzt sich dieser für das Leben im Viertel ein, knüpft an verschiedenen Ecken an: So werden in vier Arbeitsgruppen Blumen im Viertel gepflanzt und gegossen, historische Kalender und Vereinschroniken gedruckt, an das jüdische Leben im Viertel erinnert und Veranstaltungen organisiert.
Engagement, statt zu Hause rumsitzen
Im Juni 2005 stieß Monika zum Verein, damals war sie noch berufstätig, schaute sich aber auch schon nach einer Aufgabe für den Ruhestand um: An einem Informationsstand am Norma wurde sie überzeugt. Von da an ist sie langsam in den Verein gewachsen, hat Stück für Stück mehr Verantwortung übernommen und Zeit investiert. Inzwischen ist sie stellvertretende Vorsitzende. Da der Vereinsvorsitzende selbst nicht immer in Leipzig ist, sei es gut, dass Monika vor Ort ist. Man kennt sie im Viertel. Für ihr Engagement der letzten Jahre hat sie 2022 die Goldene Ehrennadel der Stadt verliehen bekommen.
Monika hat immer gerne mit Menschen gearbeitet und sich für ihre Belange interessiert. Vor diesem Hintergrund baute sie 2005 die Arbeitsgruppe Soziales des Bürgervereins auf, in der eine Seniorenweihnachtsfeier, ein Busausflug für Seniorinnen und Impftermine organisiert wurden. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden, war dann aber nach der Schulzeit im Handel tätig, bevor die Wende sie zur beruflichen Umorientierung zwang: So machte sie sich mit 52 Jahren als Versicherungsvertreterin selbstständig. Die gebürtige Leipzigerin kann sich schnell neue Dinge aneignen und ist daher auch im Verein als Deutschlehrerin aktiv: Für zwei Gruppen macht sie mit einer Kollegin zusammen Rollenspiele und praktische Übungen, seit Kurzem unterstützen sie vor dem Krieg in der Ukraine Geflüchtete bei Behördengängen: »Das haben wir uns alles selber erarbeitet.« Im vollen Wochenplan stehen aber auch Termine abseits des Vereins: Monika ist im Senioren-Beirat der Stadt Leipzig aktiv. Alles, was sie in der Arbeitsgruppe Wohnen und Soziales erfährt, bringt sie mit in den Verein, um hier sozial zu beraten.
Den Alltag einer selbstständigen Versicherungsvertreterin mit unterschiedlichen Terminen und selbst koordinierten Arbeitszeiten, die keine Feierabend-Grenzen kennt, hat Monika nach ihrem Ruhestand einfach weitergeführt. Und so richtig im Ruhestand ist sie auch gar nicht: Auch heute arbeitet sie noch als Versicherungsvertreterin weiter, drei Stunden in der Woche. Denn Monika will nicht zu Hause rumsitzen, sondern einen geordneten Tagesrhythmus haben und unter Leuten bleiben: »Ich will noch aktuell sein, in Bewegung sein, bissel auf Kleidung und Frisur achten.« Ihr Mann ist nach langer Krankheit 2013 verstorben, die Kinder wohnen nicht mehr in Leipzig. Insbesondere, weil die Familie nicht in der Nähe wohnt, ist ihr Kontakt zu Menschen wichtig: Das Alleine-Sein im Alter sei eigentlich nur zu bewältigen mit so einem Netzwerk, wie sie es sich geschaffen habe.
Informationszentrale Kaffeeklatsch
Aus Altersgründen ist auch der monatlich stattfindende Seniorenkaffeeklatsch von zwanzig ehemaligen Teilnehmenden geschrumpft, an diesem Montag im Sommer 2022 sind zwölf Leute aus dem Viertel gekommen, sitzen an den vorab reservierten Tischen beim Bäcker in kleinen Gruppen verteilt. Es ist zehn nach vier, die Kuchentheke ist halb leer und die meisten Kuchenteller schon ganz leer gegessen. Monika wuselt zwischen den Tischen umher, die Gruppe lässt sich berieseln: An diesem Tag ist »Verhalten bei Hitze« das Thema. »Ich kopiere das und stecke es euch in den Briefkasten!« Monika eilt zurück zu ihrem Platz, an dem verschiedene Papierstapel mit Infoblättern und ausgeschnittenen Zeitungsartikeln warten: »Was hab ich noch in meiner Wunderkiste?« Mit jeder Information dreht sie ihre Kreise zwischen den vier Tischen. Manchmal hält Monika auch Vorträge: über Steuern, gesunde Ernährung und alles, was im Alter wichtig ist. »Und nu redet nicht dazwischen«, ermahnt sie, denn der heute geladene Programmpunkt ist da: Eine junge Dame von »Omas for Future« stellt das Klima-Quiz vor. Danach geht’s rüber ins Vereinsbüro zum Spielenachmittag.
Organisationstalent in aller Ruhe
Monika hat sich eine Rolle erarbeitet, die sich in sich selbst festigt: Sie übernimmt Verantwortung, wodurch sich umso mehr Verantwortung und Organisation in ihre Hände verlagert; sie ist erste Ansprechpartnerin für alle Belange des Vereins. Eine andere Aktive im Verein beschreibt sie als den »Kopf der ganzen Sache«, sie habe das Organisationstalent im Blut, ohne Monika würde es nicht so laufen, Monika könne aber auch gar nicht ohne. Generell beschreiben die Menschen in Monikas Umfeld sie als freundlich und immer hilfsbereit. Alle sind beeindruckt von dem, was sie schafft, nennen sie die »Säule im Viertel«. Manche wünschen sich auch, mit achtzig Jahren solch eine Energie zu haben, sich für andere einzusetzen.
Organisiert verläuft auch einer der Höhepunkte des Vereinsjahres, das Kollefest: Seit mehreren Monaten wird das Stadtteilfest vorbereitet, immer wenn es Sekt und Kaffee im Angebot gab, haben die Aktiven des Vereins zugeschlagen, und Infostände, Programm und Flohmarkt vorbereitet. Am Tag des Kollefests eilt Monika mit dem Schlüsselbund über den Platz, koordiniert aus dem Hintergrund das Geschehen. Im Programm gab es kurzfristig noch viele Änderungen, aber: »Ich bin ja flexibel!« Eine Seniorin aus dem Viertel hilft mit und verkauft an einem kleinen Tischchen Pizzastücke, als Freundschaftsdienst für die Pizzeria um die Ecke. Am Abend sind nur noch sieben Stücke da. Also abbauen oder noch weiter sitzen bleiben? Da soll doch mal jemand Monika fragen.
CHARIS MÜNDLEIN