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Fehlende Lehrkräfte und Kinder, denen was fehlt

Was aktuell an den Schulen in Leipzig passiert – und was besser werden muss

  Fehlende Lehrkräfte und Kinder, denen was fehlt | Was aktuell an den Schulen in Leipzig passiert – und was besser werden muss

Lehrermangel, Digitalisierung, Corona: Die Herausforderungen im Schulwesen sind heutzutage groß. Pünktlich zum Schulbeginn blicken wir in der kreuzer-Titelgeschichte darauf, was Sachsen und Leipzig vorhaben.

Leipzig baut in den nächsten Jahren viele neue Schulen, und das ist notwendig. Allerdings gilt für die Schulen, was schon für die Kita-Neubauten galt: Die Gebäude allein reichen nicht aus. Sie müssen mit Leben und Inhalten gefüllt werden. Dafür braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die aktuell Mangelware sind: »Der Einstellungsbedarf ist höher, als der Lehrerarbeitsmarkt hergibt«, schreibt das Sächsische Kultusministerium dazu auf kreuzer-Anfrage. Angesichts der Lehrerknappheit in Sachsen kann sich Leipzig noch relativ glücklich schätzen – die Messestadt ist ein beliebtes Ziel für Absolventinnen und Absolventen des Lehramtsstudiums. Während hier auf die geplanten 459 Einstellungen für das Schuljahr 2022/23 immerhin 399 vollständig ausgebildete Bewerberinnen und Bewerber kommen, sind es in Bautzen für 207 geplante Einstellungen nur 70. Und die Kluft wird noch größer, je weiter man aufs Land schaut. Um möglichst rasch mehr Lehrkräfte zu gewinnen, hat die sächsische Staatsregierung ein Handlungsprogramm aufgelegt, das mit 1,7 Milliarden Euro unterfüttert wurde. Junge Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen sollen weiter verbeamtet werden können, die Studienkapazitäten für das Lehramt auch in Leipzig ausgebaut werden. Ältere Lehrerinnen und Lehrer, die über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, können eine »Bindungszulage« von etwa 700 bis 800 Euro brutto zusätzlich zu ihrem Gehalt beantragen. Außerdem werden auch in Zukunft Seiteneinsteiger eingestellt und Prämien von 1.000 Euro an Referendarinnen und Referendare gezahlt, die bereit sind, nach dem Lehramtsstudium eine Stelle in einer sogenannten Bedarfsregion (meist auf dem Land) anzunehmen.

Insgesamt betreuten im letzten Schuljahr 4.738 Lehrer und Lehrerinnen 55.610 Schülerinnen und Schüler an den 167 Leipziger Schulen. »Ein Problem bei den Lehrerzahlen ist, dass sie nicht zeigen, wie die Lehrer in ihren Kompetenzen verteilt sind«, sagt Hannah Lilly Lehmann, Schülerin in Leipzig und Mitglied im Stadtschülerrat. »Für viele Fächer, etwa im Bereich Naturwissenschaften oder Informatik, fehlen die Lehrer ganz massiv und das an den meisten Schulen in Leipzig.« Lehmann spricht aus eigener Erfahrung: In der zehnten Klasse fiel ihr Informatik-Unterricht weg, weil keine Lehrkraft dafür zur Verfügung stand.

»Vor allem bei den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, Anm. d. Red.) ist der Bedarf deutlich größer, als die Zahl der Bewerber«, bestätigt auch das Kultusministerium. Während die Politik viel versucht, um die Versäumnisse der letzten Jahre bei der Einstellung von Lehrkräften wieder gutzumachen, richtet sich ihr Blick auch auf die Lehrerinnen und Lehrer, die aktuell schon an den Schulen sind.

Assistenzen und Unterstützung für den Lehrkörper

Christine Melcher ist Leipzigerin und Bildungsexpertin der Grünen im Sächsischen Landtag. »Wir müssen sehen, dass wir die Lehrkräfte über Assistenzsysteme entlasten, etwa mit Schulverwaltungsassistenten. Corona-Gelder beantragen oder die IT einkaufen, das müssen die Lehrer ja nicht selber machen«, sagt sie.

Generell geht der Trend in der Bildungspolitik zu sogenannten multiprofessionellen Teams. »Die Heterogenität der Schülerschaft hat über die Jahre deutlich zugenommen. Zudem werden von der Gesellschaft immer mehr, zum Teil überzogene Forderungen an die Schulen gestellt«, heißt es von Seiten des Kultusministeriums. Multiprofessionelle Teams sollen die Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Alltag entlasten. Im Idealfall orientieren sie sich am Bedarf der jeweiligen Einrichtungen und ergänzen die Lehre um Expertise in Logopädie, Sonderpädagogik und Sozialarbeit. Besonders für eine gelingende Inklusion ist das von entscheidender Bedeutung. Nur wer das passende Personal dafür hat, kann Kinder inklusiv beschulen. »Im Bereich der Sonderpädagogen ist der Personalmangel leider besonders ausgeprägt«, sagt Melcher, stellt mit Blick auf die Bildungspolitik allerdings auch selbstkritisch fest: »Beim Thema Inklusion sind wir nicht so weit, wie wir das gerne hätten.« Ein Grund dafür ist die Corona-Pandemie, die wichtige Projekte, die vom Austausch in Präsenz leben, ausgebremst hat.

Corona als Digitalisierungstreiber

An anderer Stelle hat Corona allerdings wie ein Beschleuniger gewirkt: Die Digitalisierung der Schulen hat durch Pandemie und große Summen von Bund und Land einen enormen Aufwind erfahren. »Bis Ende 2024 wird eine nahezu flächendeckende Versorgung der Schulen mit LAN und WLAN und eine vollständige Ausstattung aller Lehr-
kräfte mit mobilen Endgeräten erreicht sein«, heißt es dazu aus dem Kultusministerium.

In Leipzig war man besonders schnell: »Die Gelder der Digitalpakt- und aller anderen Förderprogramme zur Digitalisierung von Schule sind bereits vollständig mit Maßnahmen untersetzt«, schreibt das Amt für Schule auf kreuzer-Anfrage. Jetzt müssen die einzelnen Maßnahmen noch bis ins Letzte umgesetzt werden. Bis Ende 2023 sollen alle Schulen ans Breitbandnetz angeschlossen werden. Auch die Ausstattung der städtischen Bildungseinrichtungen mit Geräten wie Notebooks, Tablets und interaktiven Displays, auch Beamersystemen und Wand-PCs ist zum Großteil abgeschlossen.

»Das ist total fortschrittlich«, findet Schülersprecherin Lehmann. In ihrem Alltag begegnet sie jedoch auch Lehrerinnen und Lehrern, die finden, dass nichts an eine Kreidetafel herankommt oder die zu Beginn der Stunde nicht in der Lage sind, den Beamer einzustellen: »Da läuft dann immer der gleiche Schüler vor und macht das«, sagt Lehmann. Sie fordert verpflichtende Fortbildungen zur Benutzung der digitalen Geräte für Lehrkräfte.

»Aufholen nach Corona« für die Kinder ergänzend zum Unterricht

Am schlimmsten dürfte sich Corona auf jene Schülerinnen und Schüler ausgewirkt haben, die zu Hause nicht die nötige Unterstützung erfahren oder sich generell schwer in der Schule tun. Für sie hat die Landesregierung das Programm »Aufholen nach Corona« angesetzt.

Einen Großteil des Programms machen sogenannte unterrichtsergänzende Maßnahmen aus. Schulen können beim Land Gelder abrufen und damit über Dienstleistungsverträge ergänzend zum Unterricht Coachings, Präventionsmaßnahmen, kulturelle Angebote und andere Dinge anbieten. Über das Programm sollen sowohl Lerndefizite als auch soziale Probleme behoben werden. Das klingt erst mal gut, Grünen-Politikerin Melcher verweist allerdings auch auf die Schwachpunkte. Da ist zum einen die unklare Datenlage: Noch immer wurden nicht genügend Erhebungen darüber gemacht, welche Maßnahmen Schülerinnen und Schülern in der Pandemie wirklich helfen. Diejenigen zu ermitteln, die am dringendsten Hilfe benötigen, stellt eine Herausforderung für die Politik dar. »Ich habe mich im Frühjahr und im Frühsommer mit vielen Initiativen im Bereich Schule getroffen, und da kam schon durch, dass die Schulen, die sowieso engagiert sind, die Gelder auch abrufen, während die Schulen, bei denen es sowieso schon schwierig ist, sich auch mit dem Abrufen der Gelder schwertun. Zudem zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle: In den Universitätsstädten haben wir Studierende, die etwa für Nachhilfeunterricht an den Schulen bereitstehen, in kleineren Orten wie Grimma oder Oschatz sieht die Lage ganz anders aus. Es stellt sich also die Frage, ob das Geld am Ende immer da ankommt, wo es gebraucht wird«, so Melcher.

Gewaltige Baustellen – nicht nur an Schulgebäuden

Die Feststellung, dass Corona bereits bestehende Probleme in der Gesellschaft offengelegt hat, ist inzwischen ein Gemeinplatz, gilt aber wohl nirgends so wie in Schulen. Von überfrachteten Lehrplänen über geringe Inklusionsangebote und mangelhaft ausgestattete Gebäude bis hin zu abgehängten Schülerinnen und Schülern – die Baustellen sind gewaltig. Die Bereitschaft, sie anzugehen, ist jedoch wenigstens in den Versprechungen und Planungen spürbar: So arbeitet die Stadt als Trägerin der allermeisten Schulen in Leipzig daran, diese auch in die Viertel hinein zu öffnen. »Für viele Schulen – hierbei insbesondere das Schulzentrum Grünau und die Quartiersschule Ihmelstraße – werden explizit multifunktionelle Räume gebaut. Außerdem sollen die Schulen über die Unterrichtszeiten hinaus belebt und im Viertel genutzt werden können«, schreibt das Amt für Schule auf kreuzer-Anfrage. Moderner werden sollen die Leipziger Schulen auch durch die Teilnahme der Stadt an einem bundesweiten Programm für Bildung und nachhaltige Entwicklung. Ziel des Programms ist etwa eine stärkere Vernetzung von formalen Bildungsorten – Schulen und Kitas – mit non-formalen Bildungseinrichtungen wie Jugendzentren und Vereinen. Außerdem soll es der Stadt dabei helfen, das Thema nachhaltige Entwicklung fest in ihrer Bildungsstrategie zu verankern.

Auf Landesebene möchte das Kultusministerium nächstes Jahr eine »öffentliche Diskussion anschieben«. Darin sollen Fragen wie die nach der Bildung der Zukunft und den Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler dafür vermittelt werden müssen, auf großer gesellschaftlicher Bühne besprochen werden. Der Titel: »Bildungsland Sachsen 2030«. Viel von dem, was Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung derzeit auf der Seele brennt, wird dann wieder auf dem Tisch landen – und hoffentlich zu Konsequenzen führen.

JOSEF BRAUN

FOTO: CHRISTIANE GUNDLACH


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