»Das Wort Integrationsklasse ist ein Hohn.« Kathrin Müller* findet klare Worte für die Situation an ihrer Schule. Müller ist nicht der richtige Name der Lehrerin, die sich bereit erklärte, mit dem kreuzer über die neue Integrationsklasse zu sprechen. An der Schönefelder Astrid-Lindgren-Schule wurde in diesem Schuljahr eine zusätzliche erste Klasse eingerichtet, die eine reine DaZ-Klasse ist. Das bedeutet, alle Schülerinnen und Schüler sind keine deutschen Muttersprachler, haben Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Für Lehrerin Kathrin Müller ist das unverständlich. »Warum wurden sie nicht einfach aufgeteilt auf die anderen vier ersten Klassen?«, fragt sie. Zumal es sich ausschließlich um arabischsprachige Kinder handelt. »Die Kinder wurden gezielt in einer Klasse zusammengeführt. Wir haben aber mehr DaZ-Kinder als in dieser Klasse. Die anderen DaZ-Kinder erfahren den Regelunterricht und werden anders unterrichtet. Das Separieren ist unfair.«
Dass ein Umfeld den Zweitsprachenerwerb fördert, in dem diese Sprache als Regelfall gesprochen wird, wissen Linguistik und Erziehungswissenschaft schon lange. Auch die Lernmotivation erhöht das. Die exklusive Zusammensetzung der DaZ-Klasse hingegen schränkt das rasche Erlernen der deutschen Sprache ein. Dieses Vorgehen hebelt den sächsischen Lehrplan aus, der eine rasche Integration in den Regelunterricht vorsieht. Es passt auch nicht zum formulierten Anspruch der Astrid-Lindgren-Schule: »Wir bieten unseren Schülerinnen und Schülern in unserer Schule moderne Unterrichtsformen, um deren individuellen Lernbedürfnissen gerecht zu werden sowie Teamgeist und soziale Verantwortung ausbilden zu können.« Zudem widerspricht diese Sortierung nach Herkunft beziehungsweise nach Erstsprache dem Gedanken der Antidiskriminierung, der ebenfalls explizit im Schulgesetz verankert ist.
Der kreuzer hat Anfragen an die Verantwortlichen gestellt. Die Direktorin der Astrid-Lindgren-Schule, Beatrix Gerth-Noritzsch, verweist auf das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB). Während der Leiter des Leipziger Standorts Jörg Heynoldt auf kreuzer-Nachfrage nicht reagierte, antwortete der Landesamt-Pressesprecher Roman Schulz mit einer ausführlichen Stellungnahme. Mit Hinweis auf den russischen Angriffskrieg schreibt er: »Wir unternehmen in kürzester Zeit alle erforderlichen Schritte, um den geflüchteten Kindern und Jugendlichen wieder Schule zu ermöglichen. Mit zum Teil schwierigen Fluchterfahrungen ist Schule für viele S.u.S. ein Stück Normalität beziehungsweise auch ein sozialer Raum, um mit Gleichaltrigen und/oder auch Kindern mit der gleichen Herkunft gemeinsam die schwierige Situation zu bewältigen. Das wollen wir an erster Stelle schaffen, dazu dann alle inhaltlichen schulischen Aspekte in Richtung Lehrplan, Stundentafel und Spracherwerb.«
Pressesprecher Schulz weist allgemein darauf hin, dass spezielle Vorbereitungsklassen gezielt den Erwerb der deutschen Sprache fördern sollen, bevor die Schülerinnen den Regelunterricht besuchen. »Ein dauerhafter Verbleib in VKA-Klassen ist nicht das Ziel!« Er betont, dass diese Vorbereitungsklassen »gerade keine exklusiven Klassenzusammensetzung darstellen und sie das Erlernen der deutschen Sprache auch nicht stark einschränken. Vielmehr beschleunigen sie das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache enorm.« Es erfolge gerade keine Sortierung, so Schulz, und gegen den Eindruck der Diskriminierung »verwehre« er sich »ausdrücklich«. Auf die Defacto-Sortierung nach Erstsprache an der Astrid-Lindgren-Schule konkret geht Schulz nicht ein. Auch erklärt er nicht, wie die große Zahl geflüchteter Ukrainerinnen mit der Bildung einer Klasse aus rein arabischsprachigen Kindern an der Leipziger Grundschule zusammenhängt.
»Wir Eltern haben Sorgen um die Bildung unserer Kinder«, sagt Baschar Khaled*, der in Wahrheit ebenfalls anders heißt. Sein Sohn geht in die DaZ-Klasse und er fürchtet, dass dieser nicht alle Bildungschancen erfährt. »Das ist schlimm für die Kinder.« Zumal ihm nicht mitgeteilt wurde, dass es sich um eine Vorbereitungsklasse handeln soll. »Die Kinder bleiben länger in der Klasse, soweit ich weiß. Von einer nur vorläufigen Einteilung in die Klasse wurde uns nichts gesagt.« Seine Frage, ob er einen Antrag auf Versetzung innerhalb der Schule stellen kann, sei verneint worden. »Eine andere Schule zu finden, ist unmöglich. Dafür müssten wir umziehen, aber wir haben doch gerade erst unsere Wohnung bezogen.«
Auch Lehrerin Kathrin Müller weiß nichts von einer kurzfristigen Notlösung. »Eine rasche Integration in den Regelunterricht, die der Lehrplan vorsieht, ist hier nicht gewährleistet, da diese Kinder vier Jahre lang in der so genannten Integrationsklasse verbringen sollen.« Sie fragt sich, wie die Schule ihrem Bildungsauftrag nachkommt, wenn dieser doch individuelle Förderung vorsieht. Auf dieser Grundlage Integration zu garantieren, hält sie für schwer möglich. »Das ist diskriminierend und Ausgrenzung, die Kinder sind nur unter sich. Das kann ich auch bei den Hofpausen beobachten.« Müller ist, wie sie dem kreuzer mitteilt, nicht allein im Kollegium mit ihrem Vorbehalt. Zusammen hat man eine Stellungnahme an den Leipziger LaSuB-Leiter geschickt, die dem kreuzer vorliegt. Darin formulieren die Lehrkräfte ihre ausführliche Kritik, die von pädagogischen bis ethischen Argumenten reicht. Bewirkt hat dieser Einspruch nichts.
»Welche Signale werden damit in die Gesellschaft gesendet?« Neben dem Schicksal der Kinder sorgt sich Lehrerin Müller auch um den sozialen Zusammenhalt. Wir haben doch auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir die Kinder separieren, dann klatschen sich doch die Reichsbürger unter den Eltern in die Hände.«
* Name ist der Redaktion bekannt
Titelfoto: Symbolbild. Alexandra_Koch. Pixabay Lizenz.