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Kultur

»Taugt das noch?«

Regisseurin Pia Richter über sieben Romeos und Julias und Klassiker im Hier und Jetzt

  »Taugt das noch?« | Regisseurin Pia Richter über sieben Romeos und Julias und Klassiker im Hier und Jetzt

Next Exit Verona: Nachdem sie zwei Uraufführungen in Leipzig umsetzte, soll sie nun an den Klassiker aller Klassiker ran. Im kreuzer-Interview erzählt Regisseurin Pia Richter, was sie am Stoff interessiert und die meisten nicht darüber wissen.

Wie kamen Sie auf »Romeo und Julia«?

Das Angebot kam vom Schauspiel. Ich fand das spannend, hatte Fragen an den Stoff, was produktiv ist. Am Schauspiel stand es das letzte Mal 2003 auf dem Spielplan, wenn ich richtig geschaut habe. Das ist lange her, auch wenn die Storyline – boy meets girl, Heiraten gegen den Willen ihrer Eltern, Liebestod – vertraut ist. Diese Fixpunkte sind popkulturell verarbeitet worden, flossen in Songs ein, wurden verfilmt.

Man kann das als bekannt voraussetzen.

Die genaue Textkenntnis ist eine andere Frage. Die meisten Inszenierungen streichen, dass Romeo vor seiner Begegnung mit Julia in Rosalinde verliebt war. Dass er auf der Party ist, um eigentlich sie zu treffen, ist auch weniger bekannt. Und es sind zwei Liebesgeschichten. Die zwischen Romeo und Mercutio darf nicht ausagiert werden und wird zugunsten der Liebe zu Julia geopfert. Das Stück wurde romantisiert, ist in unserer kulturellen Rezeption romantischer, als Shakespeare es vermutlich gemeint hat. Er hat eine damals populäre Novelle aufgegriffen, die wie »Struwwelpeter« als Warnung an Liebende gemeint war: Passt auf, vertraut nicht flüchtigen Gefühlen, das endet in der Katastrophe.

Schwarze Pädagogik?

Ja, und diese Intention ist verloren gegangen. Wir lesen das mehrheitlich als Liebesideal, nach dem alle streben. Mich interessiert, ob dieser Stoff nicht weniger eine unschuldige Geschichte erzählt, sondern auch eine Ideologie von heterosexueller Kernfamilie beinhaltet. Die setzt Liebe als Absolutes, Seitensprünge sind Verrat daran. Darin steckt ein Exklusivitäts- und Besitzdenken, Femizide werden ja auch von dieser romantischen Idee mitgetragen.

Wie gehen Sie in Ihrer Inszenierung vor?

Ich habe viel über Ausschlussmechanismen nachgedacht, die der Stoff beinhaltet. Zwei schöne junge Menschen aus gutem Hause: Darin steckt kein revolutionäres Potenzial, sie überschreiten keine Standesgrenzen oder Ähnliches. Inwieweit können sie überhaupt als Rollenvorbilder dienen? Deshalb habe ich beschlossen, dass es nicht diese beiden Liebenden gibt, mit denen man sich von Anfang bis Ende identifizieren kann. Sieben Romeos und sieben Julias unterschiedlichen Alters fragen sich mithilfe des Stücks, was ihre Idee von Liebe eigentlich ist. Das Stück gibt den Liebenden ja wenig Zeit, sie haben drei Begegnungen. Sie sind weniger beschäftigt damit, verliebt zu sein, als damit, ihren Tod zu planen. In diese Szenen gehe ich mit unterschiedlichen Figuren. Was passiert, wenn das Liebessonett auf dem Maskenball zwei Männer sprechen? Was macht das mit unseren Erwartungshaltungen? Was steckt da drin? Was ist eine Begegnung, in der wir Liebe erkennen können? Wenn man diese Texte liest, berührt es einen ja trotzdem. Man bekommt es nicht kaputt und das wollen wir auch gar nicht. Es ist ja wunderschön, verliebt zu sein.

Bevorzugen Sie Klassiker oder Uraufführungen?

Das würde ich vom konkreten Text abhängig machen. Eine Uraufführung ist dahingehend spannend, dass man mit ganz neuen dramatischen Handschriften in Berührung kommt. Die fordern ja heraus, indem sie Mittel, mit denen man traditionelle Texte inszeniert, an Grenzen bringen. Sie stellen eine produktive Erweiterung dar. Mit einer Textfläche muss man anders umgehen als mit einem Figurentext. Das führt dazu, das eigene Handwerkszeug zu befragen: Taugt das noch?

Das schärft den Blick?

Ja, und man sieht damit wiederum Klassiker neu. Kann es Sinn ergeben, einen Dialogtext als Textfläche zu sehen für eine chorische Arbeit oder so? Im Idealfall befruchtet sich das gegenseitig.

Was lieben Sie am Regieführen?

Es ist geistig und sinnlich inspirierend. Ich mag es, nicht den einfachen Weg zu gehen, etwa wenn man einen Klassiker inszeniert – um auf Ihre erste Frage zurückzukommen. Das macht Spaß bei Uraufführungen. Man muss aushalten, nicht zu wissen, ob eine Idee funktioniert. Das ist schmerzhaft. Aber wenn man den Punkt gefunden hat, dann ist es geil. Aber das passiert nicht immer.

■ »Romeo und Julia«: 15.10., 19.30 Uhr (Premiere), 23., 28.10., 19.30 Uhr, Schauspielhaus

Foto: Felix Kruis


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