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Kultur

Buchstadt-Battle: Der Kampf geht weiter

Heute eröffnet die Frankfurter Buchmesse. Der Vergleich mit Leipzig geht in die nächste Runde

  Buchstadt-Battle: Der Kampf geht weiter | Heute eröffnet die Frankfurter Buchmesse. Der Vergleich mit Leipzig geht in die nächste Runde

Je eine Buchmesse, eine Nationalbibliothek, ein Literaturhaus – die Battle bringt zwei Mittelgewichte der Literaturstädte in den Ring: Leipzig und Frankfurt kämpfen rein massemäßig nicht in einer Klasse mit Paris, London oder New York. Aber es gibt viel zu entdecken, und manche Paarung formt sich unerwartet.

In den ersten drei Runden (:logbuch Frühjahr 2022) sprachen wir über Frauen, Studierende und Fußball vor dem messestädtischen Horizont in West und Ost. Der Spielstand war am Ende unentschieden, was daran liegen könnte, dass beide Ecken ebenbürtig exzellente Botschafterinnen und Botschafter entsandten. Mal sehen, was die Fortsetzung bringt. Weiterhin ausgeschlossen sind Trivial- und Kriminalromane sowie Goethe. Und es kann nicht immer ein Loest für Leipzig, ein Genazino für Frankfurt antreten, das sollte klar sein.

 

Runde 4: Fest steht die Wacht am Reim

Wenn einer (auch) Gedichte über seinen Geburtsort und Lebensmittelpunkt schreibt, ist er dann ein Stadtschreiber? Leipzig hielt es nie für nötig, eine solche Stelle zu schaffen. Das ist selbstbewusst und richtig, denn es gibt zum Beispiel einen Andreas Reimann und das feine Bändchen »Bewohnbare Stadt« mit 43 seiner meist reimenden Leipzig-Gedichten. Nur bewohnbar? Nicht allerschönst? Genau, ein Understatement, auf das sich manch diskrete Liebeserklärung draufsatteln lässt – humorvoll, ironisch oder bitter. Dem Dichter ist das Meinleipziglob, der sporadische Größenwahn, das Klein-Paris-Sprüchlein suspekt. Nur ein »bildungsbürgerliches Mahl« will er nicht bereiten. Reimann streift durch Parks und Gärten, hat immer ein Auge für die Tierwelt, verteidigt den Fassadenschmuck des ortstypischen Gründerzeithauses. Einige Fixpunkte der Reiseführer werden durchaus aufgegabelt: Mädlerpassage, Neues Rathaus, Auerbachs Keller, das Café Grundmann, wo Andreas Reimann bekanntlich Stammgast ist. Drei den Nicht-Sachsen betörende Gedichte in lokaler Mundart finden sich auch. »Doch Leibzsch gommd, nu gloobs doch mal!«

Ein Frankfurter Pendant zu diesem Unikat zu finden, war nicht einfach. Dichter, herbei! Schwupps steht Robert Gernhardt parat und zu Diensten, der Mann für jede Gelegenheit (zum Gedicht). Der Büchnerpreisträger war von Geburt kein Hesse, sondern Balte, also besteht keine Veranlassung, Lyrik mit Dialekt zu erhoffen beziehungsweise zu befürchten. Aber niemals faul hatte Gernhardt den schmalen Zyklus »Heimat« gezimmert, der als Teilmenge des Bandes »Körper in Cafés« ein wenig aus Frankfurt erzählt. Im Operncafé erwacht beim betrunkenen Besucher angesichts verschleierter Frauenblicke heftige Fleischeslust bei gleichzeitiger Geistesunlust: »Ich sage das so grob wie platt, ich habe alle Feinheit satt.« Die Störung zauberhafter Harmonie auf dem Main durch lärmende Tretbootfahrer wird ebenso gegeißelt wie halbnackte »körperdumme« Männer in der Fußgängerzone Freßgass: »Sie zeigen, dass sie leben. Auch das wird sich mal geben.« Ganz anders geht es im artistischen »Stadtschreibergedicht« zu, einer Ballade für den Vorort Bergen, in dem es gelang, die Namen von 19 Frankfurter Stadtschreibern inklusive »gern hardt« zu verwenden.

 

Runde 5: Nicht immer gesunde Umwelteinflüsse

Alle Geschichten in Leipzig beginnen am Hauptbahnhof, behauptet ein Leipzig-Führer. Das trifft auf »Junge Hunde« zu, den impressionistischen Debütroman von Martina Hefter, der Ende der 1990er Jahre spielt. Am Taxistand gelandet, erwartet ihre Protagonistin eine Stadt wie Berlin, nur ohne U-Bahn. Ein Irrtum, wie eine ziellose Nachtfahrt durch Leipziger Außenbezirke erweist. Die herbstliche Luft riecht nach Kohle und verbranntem Gummi, im Kanal treibt ein toter Pitbull, viele Häuser sind Ruinen, alles erscheint gespenstisch unbelebt. Im Innern des Taxis ein Fahrer mit Straßenallergie und eine Tänzerin, der beim Tanzen schlecht wird. Der Neu-Leipzigerin, aus dem Allgäu stammend, erscheint die frostige, düstere Stadt wie eine Vorstellung von der DDR 1980; dem Leser dämmert, dass es ein massives Umweltproblem gibt. In einem äußerst scheuen Flirt finden Taxifahrer und Ex-Tänzerin, die sich aus den Augen verloren hatten, beim Kraulen von Hundewelpen und in der Schwimmhalle ein wenig näher zueinander. An der Peripherie der Stadt lebend, die eingeübten Schritte der Erfolgreichen beobachtend, können weder Vinz noch Helen empfinden, was ein spanischer Tourist im Waschsalon ausruft: »Kennst du die Nikolaikirche, die Thomaskirche, das Schillerhaus? Leipzig ist wunderschön!«

Ungefähr zur gleichen Zeit, um 2000, ist ein Roman angesiedelt, der die krasse Vergiftung am Rand einer (diesmal westlichen) Großstadt noch direkter schildert: »Streulicht« von Deniz Ohde. Wenn es von Schulkindern heißt »Wir übten den Chemieunfall«, dann ist damit die jederzeit mögliche Apokalypse imaginiert, aber nicht der reale alltägliche Gestank und Lärm, denen die Arbeiterfamilien in Frankfurt-Sindlingen schutzlos ausgeliefert sind. Der riesige Industriepark Höchst, die Müllverbrennungsanlage, die Schadstoffe im Wasser des Mains, Kochsalz und Kohlenstaub in der Atemluft: Das ist die triste Nachbarschaft der Ich-Erzählerin, die in prekären Verhältnissen aufwächst, einen Messie-Vater mit Alkoholproblemen hat und wegen ihrer türkischen Mutter Diskriminierung erfährt. Immer wieder scheint ihr Wunsch, über Bildung aus dem Elend herauszukommen und nicht als Putzfrau zu enden, an feindseligen Instanzen wie dem Gymnasiallehrer zu scheitern, der sie »auszusieben« droht. Die überwältigende poetische Kraft von »Streulicht« jedoch erwächst nicht aus der gesellschaftspolitischen Brisanz, sondern aus der monströsen Zerstörungspotenz des Industrieparks, der Arbeit gibt und Leben raubt.

 

Runde 6: Die Liebe zu den großen Männern

Aus kaum begreiflichen Gründen benutzt wird das Wort »Malerfürst«, das so tut, als gäbe es Herrscher in der Kunst, die über die Untertanen ihres Sprengels gebieten. Aber man begleite einmal den Förderverein des Frankfurter Museums Wendevogel auf seiner Wallfahrt zu KD Pratz! Der ist Schlossherr im nahen Rheingau und zunächst bereit, die Huldigung und das kunstbeflissene Gelaber dieser Meute zu ertragen. Immerhin steht die Gründung eines Museums allein für sein Werk im Raum: »KD Pratz war weltberühmt und produzierte dennoch hier, in der Region Rhein-Main«, er sei ein Symbol für alles und überall präsent, berichtet die saftige Satire »Ein Mann der Kunst« von Kristof Magnusson. Um KD Pratz zu erschaffen, hat der Autor deutsche, nun ja, Malerfürsten der Gegenwart amalgamiert, aber lustigerweise entpuppt sich dieser Meister als schnöder Grantler ohne magische Aura. Plausibel verflucht KD Pratz den »Wochenendspaß« der gutbetuchten Kunsttouristen aus Frankfurt, dieser »gar nicht so großen Stadt, die man trotzdem nie richtig hinter sich ließ, egal in welche Richtung man fuhr«. Das bezieht der Erzähler, Sohn der größten KD-Pratz-Anhängerin überhaupt, auf die stark zersiedelte Umgegend, nicht auf Frankfurts Charisma.

Die heimlichen, die eigentlichen Fürsten von Leipzig waren um 1960 die verehrten Professoren, die Koryphäen der Universität, der ganze Stolz der Stadt – so steht’s in dem Roman »Verwirrnis« von Christoph Hein. Ein Germanist, den die Studenten nur ehrfürchtig Goethe-höchstselbst nennen, begeistert in seinen Vorlesungen mit einem »sprudelnden Redeschwall« und »geistvollen, mäandernden Sätzen« die Freunde der Literatur. Es ist, längst erraten, der große Hans Mayer, dem ein dankbares Porträt und die spannendste Nebenrolle zugedacht ist. Zeitgeschichte zu erzählen, das geht am besten mit den Superstars von damals. Und der hinreißende Goethe-Mayer (mokant, arrogant, aufbrausend, unbestechlich) kontert die blasse Zeichnung der mustergültigen Hauptfigur, seines Protegés Friedeward, dem er in Wien, lange nach seiner intriganten Vertreibung aus der DDR, den Hans anbieten wird. Leipzig selbst bekommt mit Hörsaal 40, Moritzbastei und Coffe Baum einige liebenswürdige Schnappschüsse, aber am Ende zählt leider: Dass Homosexuelle auch im akademischen Milieu der Messestadt versuchen mussten, unsichtbar zu bleiben, und die Komödie einer Scheinehe spielten.

Sind wir nun schlauer, wie die Buchstadt-Battle steht? Leipzig punktete mit Geschichte, Frankfurt mit Gegenwärtigkeit. Lesenswert waren alle sechs. Also auf zur Verlängerung im nächsten März.


Titelfoto: Collage. Pixabay-Lizenz. 


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