Am 22. starten die Leipziger Jazztage. Dieses Jahr sucht die Veranstaltung den Dialog zwischen den Generationen – und kümmern sich um jüngere Perspektiven im Jazzjournalismus. Rezensionen und Infos gibt es im zugehörigen Blog.
Ein emanzipatorischer Charakter, die Neugestaltung des gesellschaftlichen Ist-Zustands und sogleich auch wieder dessen Überwindung sind Kerngedanken des Jazz. So ähnlich lautet es in der Ankündigung der diesjährigen Leipziger Jazztage, die wie jeden Herbst die hiesigen Veranstaltungsstätten von Oper bis Ost-Passage-Theater bespielen. Das Festival war in den letzten beiden Jahren, insbesondere 2021, stark von lokalen Nachwuchsmusikerinnen und -musikern geprägt. Die Pandemie erschwerte ein internationales Booking und ermutigte den Jazzclub als Veranstalter des Festivals, regionale, junge Bands auf die Bühnen zu holen.
Seit dem Weggang der langjährigen Geschäftsführung 2020 sind die Personalstrukturen des Vereins deutlich jünger und weiblicher geworden: Neben Annika Sautter, Kuratoriums- und Projektleiterin der Jazztage, der Öffentlichkeitsarbeit-Verantwortlichen Jil Noack und dem technischen Leiter Philipp Ruoff ergänzt seit September Jana Wetzlich, die zuvor zwölf Jahre Verwaltungsleiterin bei der Euro-Scene war, das Team als Geschäftsführerin. Auch das Programm der Jazztage soll weiblicher, insgesamt möglichst divers und wieder internationaler sein, aber dennoch die lokale Szene einbeziehen. »Es ist tatsächlich nicht so einfach, aber es gibt keinen Grund, keine oder nur 3 Prozent Frauen auf einem Festival zu haben«, sagt Sautter über den Booking-Prozess. Es fehle aber oftmals an Vorbildern. So übernahm etwa die Schlagzeugerin Eva Klesse (die in Leipzig studiert hat) im Jahr 2018 als erste Frau eine Jazzprofessur im Instrumentalbereich (in Hannover). An der hiesigen Hochschule für Musik und Theater gibt es im Jazzbereich genau eine Professorin und verschwindend wenige weibliche Dozentinnen. Leipzig nimmt also nicht unbedingt eine Vorreiter-Rolle ein, was Geschlechtergerechtigkeit in der Lehre angeht. Außerdem ein häufiges Phänomen: Jazzmusikerinnen, egal ob Headliner oder Nachwuchs, bringen oft eine männlich dominierte Band mit.
Die Kulturlockdowns führten dazu, dass Sessions und Konzerte in den letzten beiden Jahren weit weniger als sonst stattfinden konnten. Dadurch fehlten auch Orte der Begegnung für Jung und Alt – für Publikum und Mitglieder des 1973 gegründeten Vereins, aber auch für Jazzmusikerinnen und -musiker. In Anlehnung an einen Song von The Who liegt das Augenmerk in diesem Jahr deshalb auf dem Generationen-Gespräch: »Talkin ’bout my generation« lautet das Thema der 46. Leipziger Jazztage – der Versuch, ein progressives Programm zu kuratieren, das trotzdem eine Brücke zwischen verschiedenen Zielgruppen, zwischen Tradition und Zukunft baut. »Die Jazztage standen schon immer dafür, ein zeitgenössisches Festival zu sein. Wir müssen und wollen uns mit der Gegenwart auseinandersetzen«, sagt Sautter. Die Berlinerin mit Leipziger Vergangenheit Sophia Bicking etwa reflektiert in ihrem Soloprojekt Sophe ihre Sozialisation als Tochter und Enkelin von Musikerinnen und Musikern, die in der DDR erfolgreich waren. Als Äquivalent dazu spielt Été Large, die Band der in Leipzig ausgebildeten Komponistin und Saxofonistin Luise Volkmann. Ihr neues Programm bezeichnet sie als »Hommage an die 68er-Bewegung«, der ihr Vater angehörte. Ihm ist das aktuelle Album »When The Birds Upraise The Choir« gewidmet, das stark aus dem Rock der Siebziger schöpft. Das Duo Dard I Door thematisiert wiederum Flucht und Migration aus den Familiengeschichten der Bandmitglieder Reza Askari und Tanasgol Sabbagh in einer Kombination aus Spoken Word und freier Improvisation.
Trotz der vielfältigen Entwicklungen ist Jazz nach wie vor in der – eher akademisch geprägten – Nische hängengeblieben. »Was viele Menschen unter dem Begriff Jazz erwarten oder verstehen, ist etwas anderes, als was in der Jazzszene eigentlich passiert«, sagt Sautter. Um ein jüngeres und grundsätzlich heterogeneres Publikum zu erschließen, brauche es deshalb auch andere Perspektiven in der Berichterstattung. »Auf der medialen Ebene, wo Musik besprochen, kritisiert und angekündigt wird, gibt es im Bereich Jazz noch viel Entwicklungspotenzial.« Der Jazzclub tut auf lokaler Ebene einen ersten Schritt und organisiert im Oktober erstmals einen Musikjournalismus-Workshop, der auch auf dieser Ebene den Nachwuchs fördern soll. Die Teilnehmenden, darunter auch kreuzer-Autorinnen und -Autoren, können sich dabei auf einem Blog über die Jazztage mit Reviews, Ankündigungen und Interviews ausprobieren, um eine lebendige Auseinandersetzung anzustoßen und die Veranstaltungen zu dokumentieren. Eine kritische Resonanz sei schließlich auch für die Musikschaffenden wichtig, findet Sautter. Zeit also für die nächste Generation.
>> 46. Leipziger Jazztage: 22.–29.10., verschiedene Orte
>> Blog über die Jazztage ab Oktober unter www.jazzclub-leipzig.de
Foto: »Cool and the Gang«: Luise Volkmann bringt eine 13-köpfige Band mit zu den Jazztagen. Foto von Hilla Südhaus