»Natürlich hat der Osten ein Naziproblem. Und das muss man klar sagen dürfen.« Eigentlich hätte Bernd Stracke gar nicht auf diesem Podium sitzen sollen. Gut, dass der Ex-Sänger der Leipziger Punkband L‘Attentat doch bei der Diskussionsrunde am Mittwoch im UT Connewitz anwesend ist. Denn als der Abend über die Baseballschlägerjahre und die extrem rechte Gegenwart in den alten »Nicht alle hier sind rechts – und im Westen gibt es auch Nazis«-Abwehrreflex abzurutschen droht, platzt es aus Stracke heraus, der heute das Beratungs- und Bildungs-Verein Institut 3 B leitet.
»Wir kriegen euch alle« heißt die Podiumsdiskussion, an der Hans Narva (Herbst in Peking & The Inchtebokatables) und der bekannte Naziaussteiger und Mitbegründer der Aussteiger-Initiative Exit Ingo Hasselbach teilnehmen sollten. Geplant war ein Gespräch darüber, was DDR-Hafterfahrung, die 90er-Jahre Ost mit Freiräumen und zeitgleicher rechter Gewaltdominanz mit der rechten Gegenwart zu haben könnte. Oder zugespitzt: Wie wurde aus dem einen ein Nazi, aus dem anderen ein Punk – und was kann man daraus lernen? Wegen einer Corona-Erkrankung musste Hasselbach kurzfristig absagen und Moderatorin Anna Stiede das Podium umgruppieren.
So holt sie in mehreren Runden zahlreiche Zeitzeugen auf die Bühne: Neben Narva und Stracke sind Titus Jany (The Inchtebokatables) und Torsten Füchsel (Rosengarten & B.Crown) dabei. Schließlich kommen noch die Theatermacherinnen Juliane Meckert, Diana Wesser sowie ein Teil ihres künstlerischen Teams dazu, die mit den Zeitzeugen derzeit ein Dokumentar-Theaterkonzert fürs Lofft erarbeiten. Das heißt ebenfalls »Wir kriegen euch alle« und die Diskussion findet im Rahmen der Produktion statt.
Mit der Materie vertraute Menschen erfahren anfangs nichts Neues, aber weniger Informierte bekommen Einblick in die Verfolgung von Punkern in der DDR, Stasibespitzelung und Knastalltag. Und darin, wie die Repression der Staatsorgane aus einer eher adoleszierenden Subkultur eine politische machte. Denn sie erzeugte widerständiges Denken. Der 90er-Jahre-Teil fällt zu abstrakt und auf Konzerterlebnisse aus Musikersicht konzentriert aus. Die alltägliche Bedrohung durch rechte Gewalt, die damals alle als Grundstimmung erlebten, die nicht ins Nazi-Weltbild passten, wird nicht recht fassbar. Auch hinterlässt die Engführung auf fehlende staatliche Ordnung und eventuell überforderte Polizei – formuliert in der Frage, ob die Nazi-Gewalt die andere Seite der gefühlten 90er-Anarchie war – blinde Flecken. Dass der Feind auch bei den Behörden links stand und die ideologische Unterfütterung rechter Gewaltkultur jenseits von Frust und Ventilfunktion werden nur angerissen.
Daher ist auch für die abschließende Runde der Gegenwartsanalyse wenig zu holen. Zumal sie sich anfangs einmal mehr um das Ost-West-Ding dreht, statt dieses monolithische Ostsein zu hinterfragen. Schlussendlich differenziert sich das Bild etwas, wenn zur Sprache kommt, dass jetzt wieder die alten Köpfe von damals auf den Demos gegen Corona-Maßnahmen und angeblich gegen hohe Energiekosten auftauchen, die schon in den 90ern eine Rolle spielten. Zudem äußern sich mehrere Teilnehmerinnen, dass bedingte Parallelen zu den Baseballschlägerjahren bestehen, wenn etwa jetzt wieder Unterkünfte für Geflüchtete brennen. Aber heute gebe es mit einer AfD völlig neue Strukturen und parlamentarische Einflussmöglichkeiten, von dem die »Freien Kameradschaften« von einst nur träumen konnten. Und auch dadurch einen gesellschaftlichen Resonanzboden erzeugen, der sich als »bürgerlich« legitimieren kann und das teilweise medial verstärkt wird, möchte der Zuhörer hinzufügen. Spätestens wenn Theatermacherin Diana Wesser sagt, in einem sächsischen Ort sei eine Recherchezusammenarbeit aus Angst vorm kommunalen Bündnis aus AfD, CDU und NPD abgelehnt worden, weil diese konsequent Demokratieprojekten die Gelder verweigern, weiß man: Der Osten hat ein Nazi-Problem.
>> »Wir kriegen euch alle!«, 18.11.2022, 20 Uhr (Premiere), 19.11., 20 Uhr, 20.11., 18 Uhr, Lofft