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Kultur

Blick ins Innere

Die Kinostarts der Woche

  Blick ins Innere | Die Kinostarts der Woche

Film der Woche: Der dreizehnjährige Johann fühlt sich sicher. Mit seinen Eltern Ann Kathrin und Jan Philipp führt er ein sorgenfreies Leben in einer westdeutschen Kleinstadt. Der Disput mit seinem Vater über die Lateinarbeit ist nichtig und doch wird er Johann die kommenden Wochen beschäftigen, denn als er aufwacht, ist der Vater weg. Jan Philipp ist entführt worden. Ein Bekennerschreiben lag am Haus. Die Polizei wird eingeschaltet und der befreundete Anwalt der Familie Johann Schwenn hinzugezogen. Zwischen ihm und den Beamten, die jetzt das familiäre Haus beziehen, entsteht ein Disput über die Vorgehensweise. Aber all das interessiert Johann nicht. Er macht sich eher sorgen um seine Mutter, die langsam zu zerbrechen droht. Angst kriecht in ihm hoch – ein Gefühl, dass er bislang nicht kannte. Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma im Frühjahr 1996 wurde von den Medien ausgiebig ausgeschlachtet. Aber wie erging es seiner Familie und vor allem, wie ging sein Sohn damit um, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass alles, was er glaubte, sicher zu sein, jederzeit wegbrechen kann? Über seine Gefühle schrieb Johann Scheerer rund zwanzig Jahre später ein Buch, das Hans-Christian Schmid (»23 – Nichts ist so wie es scheint«) als Grundlage für seine Verfilmung nahm. Er erzählt ein Entführungsdrama aus dem Inneren der Familie heraus. Getragen wird sein Film von einem ausnahmslos stark aufspielenden Schauspieler-Ensemble.

»Wir sind dann wohl die Angehörigen«: ab 3.11., Passage-Kinos

Die Künstlerin Gabriele Stötzer bereitet im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses einen Foto- shoot vor. Sie bügelt Bettlaken und bindet die Haare eines Modells an der Spitze zusammen. In feinstem Thüringisch gibt sie Anweisungen: »Weeste, du bist angebunden, du bist an die Vergangenheit gebunden, du weißt nicht was dich hält.« Mit diesen Worten versucht Stötzer die Zeit zu rekapitulieren, als sie das erste Mal dieses Motiv benutzt hat. Gabriele Stötzer erzählt von ihren Anfängen in der Fotografie, der Ausbürgerung Wolf Biermanns, ihrer Unterschrift und dem Gefängnis. »Eines Nachts lag ich da, hab’ gekotzt und geschrien.« Wie viele andere junge Künstlerinnen war Stötzers Person und Schaffen ein Dorn im Auge des DDR-Systems. Auch Cornelia Schleime und Tina Bara wurden in der DDR auf die eine oder andere Weise an ihrer Entfaltung gehindert, ihre Ausstellungen verboten und sogar ihrer Kunstwerke beraubt. Die Regisseurin Pamela Meyer-Arndt porträtiert die drei Frauen im Zeichen ihrer Widerständigkeit. Die Biografien werden miteinander verbunden durch die Fotografien und den Kampf mit dem System, den sie herausforderten und dokumentierten. Die bedrückende Atmosphäre von kreativer, politischer und existenzieller Unterdrückung wird selten gebrochen. Es ist fast zum Verzweifeln. Wenn da nicht der Mut, der Künstlerinnen durchleuchten würde und das Wissen, dass sie nicht aufgegeben haben. 

»Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR«: ab 3.11., Passage-Kinos, ab 17.11., Cinémathèque in der Nato

 

 

Mit ihrem Erfolgsroman »Menschliche Dinge« lieferte Karine Tuil einen schonungslosen Kommentar zur #MeToo-Debatte. Inspiriert wurde er vom »Stanford Fall«, bei dem der 19-jährige Elite-Student Brock Turner nach nur drei Monaten Bewährungsstrafe das Gefängnis verließ, nachdem er eine bewusstlose Studentin vergewaltigt hatte. Regisseur Yvan Attal (»Die brillante Mademoiselle Neïla«) adaptierte den Stoff als facettenreiche Studie über Machtausübung und machte daraus gleich ein Familienprojekt. Seine Frau Charlotte Gainsbourg spielt Claire Farel. Ihr gemeinsamer Sohn Ben Attal, Claires Sohn Alexandre. Die Farels sind angesehene Intellektuelle. Claire steht als feministische Essayistin im Fokus der Öffentlichkeit. Ihr deutlich älterer Ex-Mann Jean ist erfolgreicher Fernsehmoderator. Als der in San Francisco lebende Alexandre auf Heimatbesuch in Paris ist, lernt er Mila kennen, die Tochter von Claires neuem Lebensgefährten Adam. Bei einer Party nähert sich der 23-Jährige der 17-Jährigen. Am darauffolgenden Tag steht die Polizei vor der Tür der Wohnung von Jean und verhaftet Alexandre. Er soll Mila vergewaltigt haben. Yvan Attal zeigt in seinem ambivalenten, exzellent gespielten Familiendrama den Abend und seine Auswirkungen aus beiden Perspektiven und überlässt die Gedanken bis zu einem gewissen Punkt dem Publikum. In den finalen Plädoyers vor Gericht wird dann allerdings alles noch einmal zusammengefasst und abgewogen und Attals Erzählung dehnt sich so auf knapp zweieinhalb Stunden Laufzeit.

»Menschliche Dinge«: ab 3.11., Schaubühne Lindenfels

 

 

Weitere Filmtermine der Woche

Queer Music Night
R: Yann Gonzalez, Nicky Miller, 26 min
»Hideous« von Yann Gonzalez mit Oliver Sim (The XX) und Jimmy Somerville und »Lèvres Roses« von Nicky Miller: Zwei queere Kurzfilme und danach Party in der Ilse.
Kinobar Prager Frühling, 04.11. 22:15

All Our Fears
PL 2021, R: Lukasz Gutt, Lukasz Ronduda, D: Dawid Ogrodnik, Maria Maj, Andrzej Chyra, 90 min
Als ein lesbisches Mädchen in seinem Dorf unerwartet Selbstmord verübt, will der tiefreligiöse, homosexuelle Künstler Daniel eine Gedenkfeier für sie organisieren. In der Gemeinde regt sich Widerstand.
Cinémathèque in der Nato, 08.11. 19:00 (mit Diskussion, Neiße-Filmfestival Nachspiel, OmeU)

At Gunpoint
Der Thriller über die Aufklärung eines Mordes basiert auf wahren Begebenheiten und wird im arabischen Original mit deutschen Untertiteln gezeigt.
Cinestar, 06.11. 17:00 (OmeU)

Bodyguard
USA 1992, R: Mick Jackson, D: Whitney Houston, Kevin Costner, Gary Kemp, 139 min
In ihrer größten Filmrolle spielt Whitney Houston eine Starsängerin, die nach Morddrohungen einen Ex-Geheimagenten als Leibwächter erhält und sich in ihn verliebt.
Cineplex, 06.11. 17:00 (Jubiläums-Special)

Der Tod in Venedig
I 1970, R: Luchino Visconti, D: Silvana Mangano, Romolo Valli, Marisa Berenson, 125 min
Luchino Viscontis atmosphärisch eindrucksvolle Umsetzung der 1912 erschienenen Novelle von Thomas Mann.
Schaubühne Lindenfels, 11.11. 18:30 (mit Einführung von Margherita Siegmund und Alessandro Zuppardo, im Rahmen des Kolloquiums »Eros und Tod bei Marcel Proust«)

Die Geschichte des Streetdance
D 2021, Dok, R: Jean-Alexander Ntivyihabwa, Jamo Franz, 104 min
Mit atemberaubenden Tanzszenen und wichtigen Zeitzeugen erzählt der Zweiteiler die Geschichte vom globalen Siegeszug des sogenannten Streetdance.
Passage-Kinos, 09.11. 16:00 (euro-scene)

Gertrud Kolmar – Wege durch Berlin
D 2019, Dok, R: Sven Boeck, 76 min
Die jüdische Dichterin Gertrud Kolmar ist von 1941 bis 1943 Zwangsarbeiterin in einer Berliner Pappfabrik. Der Film folgt den Beschreibungen von Orten und Wegen in den Briefen Kolmars und sucht sie im Berlin von heute.
Kinobar Prager Frühling, 09.11. 16:00 (Filme gegen das Vergessen)

Heißer Sommer
DDR 1968, R: Joachim Hasler, D: Regine Albrecht, Chris Doerk, Frank Schöbel, 97 min
Mit den Schlagerstars Chris Doerk und Frank Schöbel prominent besetzt, avancierte die beschwingte Musicalkomödie zum absoluten Kultfilm.
Kinobar Prager Frühling, 09.11. 17:30 (Filme gegen das Vergessen, mit Modenschau und Einführung)

Maguy Marin – L’urgence d’agir
F 2019, Dok, R: David Mambouch, 108 min
Dokumentarisches Porträt von Maguy Marin, die sich seit mehr als 40 Jahren als eine bedeutende und unverzichtbare Choreografin auf der Weltbühne etabliert hat.
Passage-Kinos, 11.11. 16:00 (euro-scene, mit Einführung von Maguy Marin, OmeU)

Nahschuss
D 2020, R: Franziska Stünkel, D: Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer, 116 min
Lars Eidinger verkörpert einen Akademiker, der für die Chance auf eine Professur ein Angebot der Staatssicherheit der DDR annimmt und immer tiefer in den Strudel der Stasi gerät.
Zeitgeschichtliches Forum, 07.11. 19:00 (Reihe »Stasi. Macht. Familie – Vom Nachwirken der Staatssicherheit«)

Taxi Driver
USA 1976, R: Martin Scorsese, D: Robert De Niro, Jodie Foster, Harvey Keitel, 115 min
Ein traumatisierter Vietnamkriegsveteran driftet zunehmend in den Wahnsinn und will New York von Prostitution und Kriminalität befreien. Meisterwerk von Martin Scorsese mit Robert de Niro in der Hauptrolle.
Bibliotheca Albertina, 08.11. 20:00 (Eintritt frei, Filmreihe »New York! New York!«)

Under the Underground
A 2019, Dok, R: Angela Christlieb, 54 min
Zuerst taucht Angela Christlieb in die Underground-Musikszene Wiens der 1980er Jahre ein. Im Anschluss sprengt die dort verwurzelte Band »Blueblut« die musikalischen Grenzen.
Cinémathèque in der Nato, 11.11. 20:00 (Film & Musik, OmeU)


Titelfoto: Filmstill aus »Wir sind dann wohl die Angehörigen«. Copyright: Pandora Film. 


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