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Stadtleben

Grün und blau statt braun und grau

Die Straßenbäume leiden – um sie zu erhalten, braucht Leipzig schnell neue Lösungen

  Grün und blau statt braun und grau | Die Straßenbäume leiden – um sie zu erhalten, braucht Leipzig schnell neue Lösungen

Der Auwald, zahlreiche Parks, Kleingärten und Grüninseln, entlang der Straßen große Bäume – eine vielfältige Stadtnatur schützt vor Überhitzung. Doch es steht nicht gut um Leipzigs Grün im vierten Dürrejahr.

»Wir wissen, was eine lebenswerte Stadt ausmacht: kurze Wege, grüne Wege, Wege, die im Sommer Schatten spenden«, erklärt Anett Richter vom Amt für Umweltschutz im dritten Bürgerforum zum Masterplan Grün, einem Programm zur Entwicklung von Leipzigs sogenannter grün-blauer Infrastruktur. Das Programm bezieht verschiedene Akteurinnen und Ämter mit ein, in Umfragen zeigte sich: Grün bewachsene Wege und Straßen, die Entsiegelung von Flächen und die Umwandlung von Brachen in Freiräume sind die wichtigsten Anliegen der Leipzigerinnen und Leipziger. Doch in stark versiegelten Bereichen wie der Innen- und Südvorstadt oder dem eng bebauten Osten ist die Realität eine andere. Es mangelt an Freiflächen, Pflanzen und Bäumen, und das heißt: Neben zu wenig Wasserspeicherung findet auch zu wenig Verdunstung statt, Beton und Asphalt halten die Wärme. Nach einem heißen Tag ist so kaum Abkühlung möglich.

Im gesamten Stadtgebiet war die Erde rund um die Straßenbäume im Sommer oft so trocken, dass Gießwasser nicht versickerte, sondern abperlte und sich auf dem Asphalt verlief. Im Lene-Voigt-Park, eigentlich ein riesiger Grünstreifen, war spätestens im Juni die Wiese braun. Der BUND Leipzig warnt seit Jahren vor der Austrocknung des Auwaldes, drängt auf die Revitalisierung des für das Stadtklima unverzichtbaren Ökosystems. Durch Jahrzehnte der Überregulierung ist der Wasserhaushalt gestört, die Situation verschärft sich zunehmend. In der Folge sind verschiedene Baumarten wie Eschen und Ulmen im Auwald fast ausgestorben.

Da die Graswurzeln intakt bleiben, werden ausgetrocknete Wiesen sich erholen, sagt das Amt für Stadtgrün und Gewässer. Dagegen haben viele Tausend Stadtbäume in den letzten Jahren die wiederholte Dürre nicht überlebt – ihre langen Wurzeln erreichen in der Tiefe kaum noch Wasser. Besonders betroffen sind gerade die mächtig wirkenden Altbäume, die an vielen Stellen das Stadtbild prägen. Aber auch nachgepflanzte Jungbäume verdorren zu großen Teilen im spröden Oberboden. Die Überlebenden kämpfen mit Trockenstress, oft gehen Befall und Krankheiten damit einher.

Je rund zweitausend Bäume in Straßen, Parks und Grünanlagen wurde 2019 und 2020 gefällt, im folgenden Jahr noch knapp 1500, wie die Stadtverwaltung auf eine Anfrage der Grünen im März mitteilte. Es erfolgten allerdings nur jeweils knapp 500 Nachpflanzungen: »Durch die Trockenjahre konnte der zahlenmäßige Ausgleich nicht realisiert werden.«, hieß es von der Stadt.

Auch in diesem Jahr mussten zahlreiche gesunde Bäume weichen, weil sie kommunalen oder privaten Bauvorhaben im Wege standen. Für städtische Bauprojekte gilt, dass für jeden gefällten Baum ein neuer gepflanzt werden muss. Doch ein Ausgleich ist das nicht: Die Menge an CO2, die ein Jungbaum bindet, ist gering, zum echten CO2-Speicher muss ein Baum erst heranwachsen. Den verlorenen Lebensraum für Tiere kann ebenfalls kein nachgepflanztes Bäumchen aufwiegen, ebenso wenig den Schatten, den breite Laubdächer in der Hitze schenken. Bauplanern und Landschaftsplanerinnen fehle oft die Kenntnis darüber, wie wertvoll bestehende Bäume sind, findet Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Stadtrat. Generell werde »die Ökoleistung eines Baumes meist nicht vollständig erfasst.« Die Fraktion hat kürzlich eine Änderung erreicht: Ist es aufgrund eines Bauvorhabens nicht möglich, einen Baum an seinem Standort zu erhalten, soll zunächst geprüft werden, ob er verpflanzt werden kann. Nicht alle Bäume kommen dafür infrage, auch die Wirtschaftlichkeit spielt eine Rolle. Sicher sei eine Umsiedlung erst einmal teurer als eine Neupflanzung, erläutert Tobias Peter, Vorsitzender der Grünen Fraktion und deren Sprecher für Stadtentwicklungspolitik, in der Ratsversammlung im Oktober. Beachte man aber den gesamten Wert des alten Baumes sowie die intensive Pflege, die ein Jungbaum in den ersten Jahren benötigt, ergäbe sich »eine andere Kosten-Nutzen-Betrachtung«. Bis zum Jahresende soll ein Handlungsleitfaden das Prozedere regeln. Ein erster Baum-Umzug fand bereits statt: Für den Bau der neuen Schwimmhalle am Otto-Runki-Platz wurde im Frühjahr erstmals ein Teil der betroffenen Bäume umgezogen.

Noch ist das ein kleiner Lichtblick inmitten zahlreicher Verluste. Anwohnerinnen in der Südvorstadt deckten kürzlich (erneut) eine illegale Fällung auf, mindestens zehn Bäume wurden ohne Genehmigung beseitigt. Um solche Vorkommnisse zu vermeiden, gebe es zu wenige städtische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, erklärt Jürgen Kasek, und: »Die Bußgelder sind zu gering. Wenn dann mal einer ertappt wird, rechnet sich das trotzdem noch.« Normalerweise müsse der Eingriff in den Naturhaushalt kompensiert werden, das könne die Stadt nach eigener Aussage jedoch nicht wirksam kontrollieren. Stattdessen wird dann einfach weitergebaut. Bürgerinnen und Bürger, die eine Fällung beobachten, können helfen, indem sie diese zum Beispiel über den Rodungsmelder des BUND Leipzig melden.

Immer wieder zeigt sich: Die alten Strukturen reichen nicht aus, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die Stadtnatur heute steht. Ehrenamtliche versuchen auszugleichen, wofür es der Stadt an Kapazitäten fehlt. »Es geht nur gemeinsam«, findet Quentin Kügler von »Leipzig gießt«. Entsprungen aus der Stiftung Ecken Wecken, bündelt die Initiative bürgerschaftliches Engagement für eine bessere Versorgung der Straßenbäume. Gemeinsam mit BUND Leipzig und OK LAB entstand eine Gieß-App, die auf Daten des Amts für Stadtgrün und Gewässer zurückgreift. Eine stets aktuelle Karte zeigt, wo Bäume stehen, die dringend Wasser benötigen, gegossene Bäume werden registriert, sogar verfügbare Wasserquellen aufgeführt (bislang sind das allerdings zu wenige). Wer Gießwasser zur Verfügung stellen will, trägt den Standort in die Karte ein. Angesichts des gestiegenen Bewässerungsbedarfs ist man im Amt für Stadtgrün und Gewässer »sehr dankbar« für die Unterstützung durch die Aktiven, die wiederum sind »sehr zufrieden« mit der Kooperation der Stadtverwaltung.

Zum Ende der Gießsaison im Oktober zieht Quentin Kügler Bilanz: 870 Leipzigerinnen und Leipziger haben in diesem Jahr mithilfe der App knapp 700 Bäume versorgt, die gespendete Wassermenge hat sich mit über 110.000 Litern im zweiten Jahr fast verzehnfacht. »Das war aber auch dringend nötig«, fügt er hinzu. Auch die Verwaltung habe ihre Gießleistung seit dem ersten Dürresommer im Jahr 2018 deutlich erhöht, und doch werden längst nicht alle Bäume versorgt. Die Daten, um in der App auch Bäume in Parks und Friedhöfen berücksichtigen zu können, fehlen noch, und von 58.000 Straßenbäumen werden nur solche als gießbedürftig eingestuft, die nicht älter als fünfzehn Jahre sind. Altbäume gelten als Selbstversorger, sie könnten sich das Wasser aus den tiefen Bodenschichten holen – wäre nur der Grundwasserspiegel nicht so niedrig. »Das ist die große Schwierigkeit«, sagt Kügler. Die älteren Bäume ausreichend zu gießen, sei jedoch kaum machbar, für einen Jungbaum mache dagegen schon eine Gießkanne einen Unterschied. Im Westen, wo die Initiative am meisten Unterstützerinnen hat, habe er durchaus beobachten können, wie typische Signale des Trockenstresses – beispielsweise welke Blätter schon im Juni – bei einigen Bäumen zurückgegangen seien.

Pragmatismus ist gefragt bei »Leipzig gießt«, aber auch Kreativität: Mithilfe von Bewässerungsbeuteln kommt das Wasser doch noch in der kaum aufnahmefähigen Erde an. Umgebaute Biomülltonnen fangen Regenwasser aus Fallrohren auf, ein ausleihbares Exemplar (»Leipzig-gießt-Mobil«) soll im nächsten Jahr im Stadtgebiet zum Einsatz kommen. Für Quentin Kügler ist klar: »Die Wasserquelle ist der Schlüssel«. Neben der anstehenden Reaktivierung Leipzigs historischer Handschwengelpumpen (»Leipzig pumpt«) ist für 2023 ein Wettbewerb geplant, um weitere, kostengünstigere Pumpen bereitstellen zu können. Das städtische Bewässerungskonzept, das schon Ende 2020 vorgestellt werden sollte, wird Anfang des Jahres erwartet, »das ist für uns ein ganz, ganz wichtiges Anliegen«, betont Kügler. Am Johannes-Kepler-Gymnasium, seiner alten Schule, sind sie da weiter: »Schwammstadt macht Schule« heißt das Projekt, das ressourcenbewusst Regenwasser vom Schuldach in Tonnen und Containern sammelt, um im Schulhof zu gießen. Kügler ist optimistisch, dass das Engagement der Leipzigerinnen und Leipziger weiter steigen wird. Nach wie vor fehle es aber an städtischem Personal und öffentlichen Mitteln. Kügler hofft auf den neuen Doppelhaushalt. Wichtig sei, »das Stadtgrün integrativ und als Einheit zu betrachten, nicht nur die Bäume an sich.« Die grün-blaue Infrastruktur also – die Richtung stimmt.

Grafik: Julia Kluge


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