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Viel trinken reicht nicht

Kaum Maßnahmen der Stadt, um Gesundheit der Bevölkerung an Hitzetagen zu schützen

  Viel trinken reicht nicht | Kaum Maßnahmen der Stadt, um Gesundheit der Bevölkerung an Hitzetagen zu schützen

Hohe Temperaturen in einer Stadt mit hoher Flächenversiegelung können schwerwiegende Folgen haben. Dehydration spielt dabei eine große Rolle, genauso wie Hitzeschläge und Kreislaufversagen. Eine hohe Schadstoffbelastung kann Allergien und Asthmaanfälle auslösen. Besonders betroffen von Hitzebelastung sind laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Menschen ab 65 Jahren, ältere alleinlebende Personen mit Mobilitätseinschränkung, Menschen mit akuten oder Vorerkrankungen, pflegebedürftige Menschen, sowie Säuglinge und Kleinkinder. Auch obdachlose Menschen sind besonders gefährdet, weil ihnen Rückzugsorte fehlen oder sogar Zugang zu trinkbarem Wasser. Constanze Anders, die das Gesundheitsamt Leipzig leitet, sagt, die Betroffenen würden im Sommer mit Sonnencreme und Wasser versorgt. Zudem dürfen sie laut Anders länger in den Unterkünften bleiben und müssen morgens nicht die Einrichtung verlassen, wie es sonst der Fall sei.

Im Gesundheitsamt liege der Schwerpunkt beim Thema Hitze vor allem auf der Beratung und der Kommunikation, sagt Anders. Zum Beispiel hat das Amt Flyer zum Verhalten bei großer Hitze für Seniorinnen und Senioren entwickelt. Vom Klimawandelanpassungsplan, den die Stadt 2016 beschloss und der bis vor kurzem noch öffentlich auf der Website der Stadt einzusehen war, wusste Anders zum Zeitpunkt des Interviews mit dem kreuzer nichts. Im Plan hieß es, dass sich 20 Prozent der in Leipzig lebenden Personen vorstellen können, eine ehrenamtliche Tätigkeit in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen als Trinkpaten für ältere Menschen wahrzunehmen. Eine gute Idee, findet Anders, konkrete Pläne habe sie dazu aber nicht.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sei »das Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit« von allen bei hohen Temperaturen eingeschränkt, Kinder und Jugendliche zählen ebenso dazu. Diese verbringen die heißeste Zeit des Tages, mittags bis nachmittags, meist in der Schule, doch staatliche Regelungen für Schulen im Fall von großer Hitze gibt es nicht. In neueren Schulen seien elektrische Fenster eingebaut, die nachts geöffnet werden können, um zu lüften, erklärt Constanze Anders. Eine weitere Möglichkeit wäre, »den Unterricht nach draußen zu verlegen« und den Schatten der Bäume zu nutzen. Der Umgang mit Hitze liegt also in der Verantwortung der Schulen. Dies betrifft auch die Hitzefrei-Regelung, beziehungsweise den sogenannten Hitzeplan.

Die Leipziger Ortsgruppe der Organisation Health For Future, die sich gegen den Klimawandel einsetzt, indem sie auf die gesundheitlichen Folgen aufmerksam macht, hält die getroffenen Maßnahmen des Gesundheitsamtes und der Stadt für nicht ausreichend. Sie nähmen die Arbeit der Stadt »gar nicht« war, kritisiert sie als »der Drastik nicht entsprechend«. Die Vorschläge des Gesundheitsamtes, Hitzeplan und im freien Lernen, sieht die Organisation nicht als Lösung. Klimaanlagen seien zwar eine kurzfristige Lösung, würden aber auf lange Sicht »durch ihren hohen Energieverbrauch das Problem Klimawandel letztlich nur schlimmer« machen. Karsten Haustein, Nikolaus Mezger und Katja Kühn von Health for future kritisieren vordergründig die schwache Thematisierung des Klimawandels, die Wahrnehmung der Problematiken sei der Schlüssel, um sich anschließend am besten vor Hitze zu schützen, sagen sie.

Ideen, wie es besser laufen könnte, gibt es viele. Hilfreich wäre unter anderem ein Hitzeaktionsplan, wie sich Health for Future ihn wünscht. Das Sozialministerium Sachsen sieht die Kommunen in der Verantwortung dafür, einen landesweiten Plan soll es nicht geben, weil die örtlichen Gegebenheiten die Basis für geeignete und sinnvolle Maßnahmen darstellen. Die Grünen in Sachsen haben im vergangenen Sommer gefordert, Pläne für die Städte zu erarbeiten.

Wie ein Hitzeaktionsplan erstellt werden kann, erklärt das Bundesministerium für Umwelt. Demnach soll ein solcher Plan nicht nur während des Sommers und akuter Hitzewellen greifen, sondern auch festlegen, wie eine Region sich auf den Sommer vorbereiten und langfristig Maßnahmen planen und entwickeln kann. Das Ministerium empfiehlt, eine zentrale Koordinierungsstelle einzurichten, die behördenübergreifend zuständig ist und bei der alle Fäden zusammenlaufen.

Als Basis der Pläne soll das Hitzewarnsystem des DWD dienen. Zudem muss der Plan festlegen, wer was wann und wie kommuniziert. Auch konkrete Maßnahmen schlägt das Ministerium vor: Wichtig ist, dass Hitze in den Innenräumen reduziert wird. Besonders zu beachten sind Risikogruppen wie ältere, isoliert lebende oder pflegebedürftige Menschen, sowie Säuglinge, Kleinkinder, Personen, die im Freien körperlich tätig sind und Obdachlose. Die Gesundheits- und Sozialsysteme sind auf die Hitze eingestellt und durch Fort- und Weiterbildungen des Personals vorbereitet. Durch Hitzeschutz von Gebäuden, hitzereduzierende Baumaterialien, Trinkwasserspender in öffentlichen Räumen und öffentliche, kühle Räumlichkeiten kann sich eine Stadt langfristig so ausrichten, dass die Hitzebelastung reduziert wird.

Noch hat kein Bundesland einen solchen Plan. Einige Städte wie Berlin haben ein Konzept für das Gesundheitswesen entwickelt, Hamburg soll bis spätestens 2025 einen Plan haben. Unsere europäischen Nachbarn sind besser aufgestellt: In Frankreich, England, Italien und Spanien gibt es bereits seit Jahren Pläne, um den Sommer zu überstehen. Besonders der Sommer 2003 hat Frankreich geprägt, als mindestens zwanzigtausend Menschen wegen der Hitze starben. Seitdem führen alle Städte ein Register mit allen alleinstehenden Personen über 60. Bei einer Hitzewarnung für mindestens drei Tage und drei Nächte werden sie systematisch angerufen, Sozialarbeiter bringen Wasser vorbei und beraten. Außerdem bietet jedes Rathaus gekühlte Räume an und viele Metropolen verhängen bei Hitze Fahrverbote für einen Teil der Autos.

Eine so gut auf die Hitze ausgerichtete Infrastruktur gibt es in Leipzig noch nicht. Die Wasserwerke betreiben mittlerweile 15 öffentliche Trinkbrunnen im Stadtgebiet, die Einwohner von April bis Oktober mit kostenlosem, reinem Trinkwasser versorgen. Seit 2018 können Interessierte online darüber abstimmen, wo weitere Trinkbrunnen aufgestellt werden sollen. Meist gibt es mehrere vorgeschlagene Standorte, das Ergebnis wird jeweils am 22. März zum Weltwassertag bekannt gegeben. Die Leipziger Wasserwerke antworteten bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht darauf, ob künftig mehr als zwei neue Trinkbrunnen pro Jahr installiert werden sollen.

Grafik: Julia Kluge


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